Zum Glück gibt es die Wells und Gerhard Polt. Seit vier Jahrzehnten mischen sie die Welt der Einfalt auf. Zeit für ein Gespräch.

Gerhard Polt & Michael Well: Revolution, bitte!

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Zwei von kritischem Geiste: Michael Well und Gerhard Polt | © Ralf Dombrowski

Die Bühne ist etwas anderes. Da schlüpfen Michael Well und Gerhard Polt in Rollen. Und auch wieder nicht, denn die Skepsis ist echt, die Aufmerksamkeit, mit der sie die Menschen beobachten. Das gehört zum Handwerk des Kabaretts, das die Wells und Gerhard Polt seit vier Jahrzehnten prägen. Zum Jubiläum der Gemeinsamkeit haben sie einige ihrer satirischen Anmerkungen auf Tonträger gepackt, an einigen Stellen von den Toten Hosen – alte Freunde und Gleichgesinnte im Geiste – dezent als Ghost Band begleitet. Es sind scharfe, wenn auch im Kern versöhnliche Anmerkungen zum Allzubayerischen, Dokumente produktiver Empörung auf der Basis profunder Humanität. Ralf Dombrowski traf die beiden Denker aus diesem Anlass zum Gespräch über Feindbilder, Bierzeltlogik und das hässlichste Wort des Sommers.

MF: Vier Jahrzehnte, hat sich etwas verändert?
Polt: Natürlich, wir haben schleichende Revolutionen überall. Zum Beispiel die Medizintechnik. Wenn ich mir vorstelle, woran man noch vor 10 bis 15 Jahren gestorben ist. Ich kenne da einige Kandidaten, die überlebt haben, weil es da heute eben Dinge gibt, die unglaublich sind. Oder schauen Sie auf die digitale Welt, diese Shitstorms, diese Mitteilungsorgien, wo jeder Mensch sein eigener Sender ist. Ich bin ja noch ein vom Radio geprägter Mensch. In meiner Jugend gab es nicht mal Fernsehen, das kam erst langsam auf, als ich dann 18 war. Auch die Kommunikation ist grundlegend anders. Fragen sie ein Kind mal nach einem Misthaufen! Kaum ein Kind hat heute jemals einen Misthaufen gesehen. Es sind auch viele Gerüche nicht mehr da, für immer weg.

Well: Als wir als Biermösl Blosn 1976 angefangen haben, hat es zum Beispiel die Grünen noch gar nicht gegeben. Das war eine umtriebige Bürgerbewegung, noch keine Partei. Aber bei uns auf dem Dorf hat sich viel getan, das ist mir damals schon aufgefallen. Thema Flurbereinigung zum Beispiel. Das Bauerndorf ist mutiert zu einem Pendlerdorf, für uns war das ein Antrieb, unsere Musik zu machen. In der Familie haben wie eine schöne, heile Welt besungen, aber draußen war es anders. Ich bin zum Beispiel noch in eine Zwergschule gegangen, die wurden später alle geschlossen. Die Achtziger dann waren eine unheimlich polarisierte, aufgeregte Gesellschaft…

Polt: … auch die Sowjet-Union, was das für uns bedeutet hat. Der Russ’, der kommt …

Well: … das Feindbild damals. Oder auch die RAF-Geschichte, das waren alles Reibungspunkte, Stationen einer Demokratie-Entwicklung, die es im Osten wiederum nicht gegeben hat. Für mich ist das ein wesentlicher Unterschied. Denn Demokratie ist eine Entwicklung, bei uns aus den vermufften Fünfzigerjahren heraus bis in die heutigen Tage, mit viel Diskussionen und Reibungen. Die RAF, wie gesagt, der Paragraph 218, Wackersdorf und die Bürgerbewegungen, Pershing II …

Polt: … in Italien der Andreotti mit der Mafia, ich mein’, wo fängt man da an!

MF: Als ich mir das Jubiläums-Programm auf CD durchgehört habe, klang das für mich so, als wäre die Wut an vielen Stellen die gleiche geblieben. Und auch der Vorbehalt gegenüber der menschlichen Dummheit.
Well: Da sind zum einen die kabarettistischen Belange, aktuelle Themen, die man in immer kürzeren Intervallen aufgreift. Auf der anderen Seite stehen die menschlichen Geschichten, Sachen, die sich Gerhard auch immer wieder vornimmt.

Polt: Ich bin wirklich dankbar, dass der Mensch lustig ist. Und wenn er das nicht ist, ist er meistens noch komischer. Das ist das Paradoxe dabei. Wenn es menschelt, dann können die ganzen anderen Dinge hinzukommen, die Ironie, die Satire. Ich sehe mir groteske Situationen an, wie Menschen sich in ihrer Rolle wiederfinden, als Marionette, als Souverän und wie sie sich darin verhalten.

MF: Im Programm selbst sind einige schon historische Namen gefallen, das fängt bei Strauß an und geht dann mit Streibl quasi bis heute weiter. Da scheint mir doch eine Kontinuität der Entwicklung zu bestehen.
Well: Die gibt es und man sieht das derzeit an der Karriere von Söder. Er ist ein typischer Instinktpolitiker, der die Lücken entdeckt, in die er hineinspringen kann. So hat er sich hochgehangelt und da ist er gut, das muss man ihm lassen.

MF: Und die heile Welt?
Well: Es ist die heile Welt, die in der Volksmusik besungen wurde. Die hat sich schon in den Siebzigern geändert. Der Chemieeinsatz in der Landwirtschaft nur als Beispiel.

Polt: Die Idee der Verbiedermeierung der Gesellschaft ist ja alt, das haben Kunstgeschichte oder Literatur gerne abgebildet. Schon im Römischen Reich hat es in Friedenszeiten Phasen gegeben, wo Ausdrucksformen wie die Idyllisierung und das Sich-Selbst-Beweihräuchern populär waren, solange bis durch Gefahren wieder andere Verhaltensweisen wichtig wurden. Mit ein bisschen Geschichtsbewusstsein entdeckt man immer das Vorrevolutionäre, die Revolution, das Nachrevolutionäre, das Establishment.

MF: Nehmen wir den Konservatismus als Reibungspunkt. Einerseits möchte man ihn haben, andererseits geht er auf die Nerven. Wie bekommt dann das unter eine Haube?
Well: Wenn wir in den aufgeregten Achtzigern in Bierzelten gespielt haben, war es für die Leut’ manchmal schwer zu verstehen. Da sind grundkonservative Menschen gekommen, ein Querschnitt der Gesellschaft. Und die haben es immer geschätzt, dass wir die Musik draufhaben, nicht imitiert oder als bestimmte Form eingesetzt, sondern dass wir das waren, so wie wir es gelernt haben. Wir waren authentisch, haben Musik gemacht, die ihnen gefallen hat. Das war die Brücke, mit der man die Leute zumindest mal erreicht. Wir ändern sie nicht, die haben dann bestimmt wieder die Gleichen gewählt. Aber sie haben mal etwas anderes gehört und eine leichte Veränderung hat sich vielleicht doch ergeben. Eine Gesellschaft ist wie ein Großtanker, der sich nur sehr langsam manövrieren lässt. Wichtig ist außerdem der Live-Charakter. Wenn die Leute uns erleben, dann verstehen sie uns besser.

MF: Ich bin besonders von der Fähigkeit fasziniert, aus einem Detail das Ganze entwickeln zu können, dieses Steigerungsmoment, das auch fest in der Sprache verankert ist…
Polt: Das hat viel mit Sprache zu tun und mit Mentalität. Mich fasziniert, dass Menschen in sich, wie sie argumentieren, oft sehr plausibel sind. Beim Ansatz kann man streiten, aber was sie dann sagen, hat eine Semi-Logik, die eigentlich nie total falsch ist. Auf diesem wackligen Konstrukt bewegen sie sich und dann fehlt doch etwas, zu wenig Wissen, zu wenig Bildung. Die Forschheit aber, das Unerschütterliche, mit dem sie argumentieren, ist faszinierend. Und das betrifft ja nicht nur den normalen Menschen im Alltag, sondern auch die Politik. Da frage ich mich oft, wo die einzelnen diese Sicherheit hernehmen. Schauen sie sich zum Beispiel die Virologen an, wie unsicher sie sind und mit »könnte, würde, dürfte« sprechen. So etwas haben andere Leute nicht. Die sagen: So isses doch, oder? Das Nicken des Gegenübers wird gleich vorweggenommen und das hat ja auch was Komisches. Da wird verifiziert, aber nichts falsifiziert.

MF: Und die Wut?
Polt: Ein Beispiel: Das Wort »systemrelevant«, das hängt mir inzwischen zum Hals raus! Mich wundert es, dass es in der Erzürnungskultur zur Zeit so wenig vorkommt. Denn ich finde es eines der schlimmsten Wörter, richtig gemein, und wenn das dann auch noch von oben kommt! Wenn man sich überlegt, was das wirklich bedeutet! Ich erinnere mich, als ich jung war, da wurde von kriegsrelevant geredet und wer für den Krieg nicht in Frage kam, fiel durch der Rost und wurde nicht versorgt. Und dann heute »systemrelevant« neben Solidarität oder Solidargemeinschaft. Ja wie bekommt man denn so etwas zusammen?

Well: Vor hundert Jahren ist man als Musikant irgendwie so mitgelaufen, das Ansehen war miserabel. Das hatte sich geändert, kommt jetzt aber wieder durch. Ich habe das gespürt, als Politiker das Wort »Kultur« über Wochen hinweg gar nicht in den Mund genommen haben. Das war eine Geringschätzung, die mir weh getan hat. ||

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