»Written Imagery« in der Neuen Galerie in Dachau demonstriert an fünf zeitgenössischen Positionen den Umgang mit Schrift und Text in der bildenden Kunst.
»Written Imagery«: Alphabet bis Zickzack
»Alles erzählen«: so liest man auf dem Schildchen neben der großen Spiegelglas-Arbeit von Babak Saed. Das total-poetische Programm dieser Betitelung kann und will das Bild nicht einlösen, denn ins Glas sandgestrahlte Groß buchstaben formieren in einem gewundenen Bogen die Botschaft »Alles lässt sich nicht erzählen«. Dazu mäandern unzählige kleine, ähnlich gekurvte, an Bakterien erinnernde grafische Elemente über die Spiegelfläche: »MANCHMALBEUGSTDUDICH«, so lautet das stets gleichförmige Schriftband, aus dessen Kontur sie gebildet sind. Das gibt Rätsel auf: Ein Zitat? Ein Sprechakt in welchem Kontext? Der 1965 im Iran geborene Künstler lebt seit 1978 in Deutschland und ist seit 1998 als Installations- und Medienkünstler erfolgreich. »DASPERFEKTEBILD« Babak Saeds, ein Wandobjekt aus Acrylglas, konstituiert sich aus eben diesen drei Worten, mit denen es auch in Form von sich kreuzenden SchriftLinien bedruckt ist.
Einen anderen Weg als diese konzeptuellen Montagen verfolgen die Text-Bild-Collagen der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller: Jedes einzelne Wort ist ein Einzelfall, und die poetischen Texte sind wie ein Erpresserbrief aus lauter ausgeschnittenen vorgefundenen Wörtern zusammengesetzt. Schon die Kubisten collagierten Zeitungsfragmente und Buchstaben in ihre Bilder, und die Futuristen und Dadaisten hoben die konventionelle Gattungstrennung von Text und Bild auf, indem sie explosiv mit Schriftmaterial komponierten oder Parolen figurierten. Lesbare Bilder, seien es Text-Bilder oder Bild-Texte, gehören seither zum traditionellen Experimentierfeld der Moderne. Und wenn Herta Müller – statt zur Schreibmaschine – zu Schere und Klebstoff greift mit ihren Wörtern aus der Schublade, die aus Zeitungen und Zeitschriften und alltäglicher Kommunikationspraxis stammen, auch selbst geschrieben oder koloriert sein könnten, entsteht eine aus vielen Bildchen zusammengepuzzelte Textdynamik. Ergänzt um Illustrationselemente, die weitere Referenzen und Resonanzen eröffnen. Müllers zwölf Bilder, in Passepartouts gerahmt, lassen sich auch als eine Geschichte lesen. Ein Dialog zwischen dem Beamten und der Ich-Figur, die mit dessen Aussagen, Fragen und Prozedere konfrontiert ist.
Wie Paukenschläge ziehen sich die monumentalen Großbuchstaben der Nürnbergerin Dagmar Buhr über die Ecke des Raumes: »LACK SPUCKEN«. Ein irritierendes Statement, eigens für diese Ausstellung konzipiert, deren fünf Künstler*innen – mit je ganz unterschiedlichem kulturellen Hintergrund – Hans-Peter Miksch für die kunst galerie fürth zusammenstellte. Weil dort die Präsentation coronabedingt nicht gezeigt werden konnte, ist Dachau nun die einzige Station dieser kleinen Schau zum Spannungsfeld von Schrift und Bild. Alphabetisch der erste ist Aatifi, der in Afghanistan eine Ausbildung zum Kalligrafen durchlief, bevor er Malerei studierte. Der Grenzgänger zwischen Bielefeld und Kabul schafft abstrakte Malerei in leuchtenden Farben. Die dynamischen Farb-Bänder, eine Zickzack-Linie, ein monumentaler Pinselschwung, Farbschlieren und -spritzer erinnern daran, dass Schrift auch als Bild gesehen werden kann und als bewegte Spur grafisch der menschlichen Hand entsprang.
Während Aatifi und auch der Konzeptualist Saed die Verbindung von grafischem Ornament, Kalligraphie und Schrift deutlich machen, reflektiert Elizabeth Thallauer die Informationsverarbeitung bei der Wahrnehmung und Kognition: mittels geometrischer Elementarformen und deren Komposition, nämlich Pixeln, aus denen sich alles zusammensetzen kann. »conscious – unconscious« betitelt sie sowohl ein computergeneriertes Video wie ein aus MDF-Rechtecken zusammengesetztes Relief, wobei sich hier das Schriftband räumlich über alle vier Seiten einer Mauer zieht. Wo ist der Textanfang? Ein grauer senkrechter Strich kann als Markierung dienen. Wo findet sich beim Wort »conscious« die Silbe »un«? In der zitternden, sich ständig transformierenden, den Betrachter überfordernden computergenerierten Schriftund Formen-Animation des Videos taucht sie geisterhaft auf. Wenige Informations-Bausteine ergeben ein abstraktes Bild, detaillierter geformte Kombinationen formieren Schriftzeichen; stören, überlagern oder überstürzen sich die Informationseinheiten, verliert sich die Wahrnehmung in einem überfordernden Rauschen. Die Materialität der Schrift wie des Bildes ist damit über die Grenze der Instabilität, der noch möglichen Teilhabe getrieben.
In Dachau kann man auch, schräg gegenüber der Neuen Galerie, noch eine kleine Retrospektive des ZERO-Künstlers Otto Piene besuchen, der mit Feuer, Rauch und Luft neue Dimensionen in der Materialität des Bildes erkundete. Neben Druckgrafiken seit den späten 60er Jahren präsentiert die Galerie Locher auch eine Brandarbeit in Wellpappe von 1996, Reliefsiebdrucke und zwei späte Feuer-Gouachen des 2014 verstorbenen Klassikers, deren Blasen und Krusten sowohl die Oberfläche des Bildes dramatisieren wie eine magische Tiefenwirkung erzeugen. ||
WRITTEN IMAGERY
Neue Galerie Dachau | Konrad-Adenauer-Str. 20, 85221 Dachau | bis 15. November
Di–So/Fei 13–17 Uhr | Führung: 15. Nov., 14 Uhr, nur nach Anmeldung: 08131 567513
OTTO PIENE
Galerie Lochner | Konrad-Adenauer-Str. 7
bis 15. November | Do 16–19 Uhr, Sa 12–15
Uhr, So/Fei 14–17 Uhr und nach Vereinbarung: 0162 4559699
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