Staatsballett: Kommunikation und Moderation, darin sieht der neue Dramaturg Serge Honegger seine Aufgabenstellung. Ein Gespräch.

Staatsballett: Den richtigen Moment treffen

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Serge Honegger | © Susanne Schramke

Serge Honegger, ein aufgeweckter, neugieriger Mensch, folgte Carmen Kovacs zu Beginn der Spielzeit als Dramaturg des Bayerischen Staatsballetts nach. Der Lebenslauf des gebürtigen Schweizers liest sich beeindruckend. Dabei ist der promovierte Kulturwissenschaftler ähnlich wie seine Vorgängerin ein Mann der Theaterpraxis und deshalb nicht nur zeitlich weit entfernt von den Verfassern bücherdicker »Dramaturgenprosa« der Achtzigerjahre, deren Programmheftbeiträge kaum mit dem tatsächlichen Bühnengeschehen in Einklang zu bringen waren. Zu Honeggers bisherigen Stationen zählen das Opernhaus Zürich, die Staatsoper Unter den Linden, das Festspielhaus Baden-Baden sowie Bob Wilsons Watermill Center New York. Zu seinen Tätigkeitsfeldern gehören die Oper, das Schauspiel und der Tanz gleichermaßen. Als freischaffender Regisseur und Dramaturg realisiert er seit 16 Jahren Musiktheater und interdisziplinäre Theaterformen. Zurzeit ist er mit dem dreiteiligen Abend »Paradigma« mit Werken von Wayne McGregor, Sharon Eyal/Gai Behar und Liam Scarlett beschäftigt, der am 3. November Premiere hat. Dies allerdings weniger als Ideengeber denn als Corona-Krisenmoderator.

Wieso sind Sie Dramaturg geworden und dann noch ausgerechnet beim Ballett?
Zum einen hat sich der Beruf des Dramaturgen sehr stark gewandelt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist das eine Instanz geworden, die sich als eine partizipativ mitarbeitende Funktion versteht: Was ist das für ein Choreograf? Was gibt der Kontext, in dem das Stück stattfindet, gerade her? Man spricht und organisiert heute viel eher an einer Stückentwicklung mit. Und dieses organisierende Element, dass man die Schnittstelle ist zwischen Künstlern und Publikum und zwischen dem Theater als Institution und der Öffentlichkeit innerhalb von Produktionsteams, ist viel wichtiger geworden. Es ist etwas, das mich sehr fasziniert, diese Schnittstelle zu sein.

Wenn ich Sie recht verstehe, hat sich die Arbeit des Dramaturgen vom Theoretiker mehr zur Produktionsdramaturgie hinentwickelt. Worin sehen Sie Ihre Aufgaben?
Der kommunikative Aspekt ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit, der Austausch mit den Medien und dabei speziell den neuen Medien. Wir haben Blogs, wir haben Facebook, wo auch die Tänzer und Choreografen selbst aktiv sind. Das ist auch eine Informationsressource für uns, zum Beispiel, was Choreografen über ein Werk gesagt haben. Der Zugriff auf Texte, um an Stückinformationen zu kommen, ist heute viel leichter als früher, auch internationaler. Die neuen Medien sind alles Bühnen, die aber unterschiedliche Sprachebenen verlangen. Auf Facebook wird zum Beispiel eine ganz andere Sprachebeben verlangt als in einem Programmheft. Man muss sich auf dieser Klaviatur chamäleonartig bewegen können. Hinzu kommen die Übersetzungs- und Transformationsleistungen vom Ballettstudio auf die Bühne, damit man überhaupt sein Publikum erreicht.

Zuletzt gab es hier zwei Wiederaufnahmen, »Schwanensee« und »Giselle«. An der Choreografie ist da nichts mehr zu rütteln. Die Charaktere sind definiert. Was ist bei solchen Wiederaufnahmen Ihre Funktion?
Bei »Schwanensee« und »Giselle« war es meine Aufgabe, in Bezug auf die aktuelle Pandemie eine Gefährdungsanalyse zu machen. Das geschah im Austausch mit dem Ballettmeister Thomas Mayr, der das Ganze für die Bühne adaptiert hat. Man muss die Abgänge der Tänzer so organisieren, dass die Kunst auf der Bühne erhalten bleibt und das ursprüngliche Werk als solches für das Publikum erlebbar ist. Wir können ja derzeit keine Einführungen machen, aber mich bewegt bei den Klassikern die Frage: Ist das jetzt eine museale Geschichte? Aber ich finde beim Ballett das Tolle, dass es das nicht ist, weil immer wieder eine neue Generation von Tänzern kommt, die mit ihrer Persönlichkeit ihre eigene Farbe einbringen.

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Dmitrii Vyskubenko und Lauretta Summerscales in »Giselle« | © Wilfried Hösl

Nun sind ja bereits die beiden gemischten Ballettabende mit zeitgenössischen Choreografien angekündigt. Welche Funktion haben Sie bei der Planung?
Wie derzeit die Planung läuft, ist für mich völlig neu. Und für so ein riesiges Haus eine zusätzliche Schwierigkeit, weil so viele Abteilungen dranhängen. Wir planen im Moment bis Ende der Spielzeit, aber das Programm muss sich jeweils an die aktuellen Bedingungen anpassen. Da sind wir jetzt dauernd im Gespräch mit Igor Zelensky, aber auch mit den Produktionsleiterinnen: Was ist möglich? Welche Kombinationen passen? Wie bleibt es für das Publikum immer noch interessant? Das betrifft vor allem das Standardrepertoire, die Klassiker. Da liegen ja auch die Stärken der Tänzer, von denen wir möglichst viele einsetzen wollen.

Ihre Kreativität ist demnach völlig Corona unterworfen.
Das ist eine Situation, wo ich keine Entscheidung fälle, sondern eine Diskussion moderiere. Was ist möglich? Was sehen die Ballettmeister als gangbaren Weg? Man muss am Ende auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu einer Lösung kommen. Wir planen im Moment sehr kurzfristig. Wenn es um größere Produktionen geht, sind natürlich sehr viel längere Vorläufe nötig. Prinzipiell ist der Spielraum relativ groß. Man kann sagen, in welcher Kombination zeigt man die Stücke? Was für Erzählungen kann man daran knüpfen? Im Moment haben wir ja auch das 30-jährige Jubiläum des Staatsballetts. Wie fügt sich das in einen Spielplan ein? Ich würde das, was ich zu tun habe, als eine Art Moderator bezeichnen.

Wie arbeiten Sie mit Balletdirektor Igor Zelensky zusammen?
Wir diskutieren gerade über die Titel der nächsten beiden gemischten Ballettabende. Er ist jemand, der sehr schnell entscheidet. Und man muss diese Schnelligkeit mitmachen können.

Entspricht das Ihrem Naturell? Ich komme jetzt nicht mit dem Schweizer-Klischee …
(Er lacht schallend) Gerade als Schweizer fordert mich das etwas heraus. Die langsamen Prozesse der direkten Demokratie, um zu einem Konsens zu gelangen, haben mich bestimmt geprägt. Mir gefällt aber gerade dieses Rasche, Schnelle. Hinzu kommt, dass ich das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen als bereichernd empfinde. Es ist nun meine Aufgabe, herausfinden, in welche Zukunft er denkt, damit ich diese Vision optimal unterstützen kann. Man muss den Rhythmus und auch die Zeitpunkte finden, wann eine Entscheidung möglich ist. Und wie es ja auch in gelungenen Choreografien der Fall ist, geht es oft darum, den richtigen Moment zu treffen.

Hat Zelensky Sie ausgesucht?
Ja, er hat mich ausgewählt. Und das war ein spezieller Moment. Ich kam in sein Büro, er hat mich angeguckt und gesagt: »You are our first choice. Say yes.« Das gefiel mir. Er hatte so einen Schalk. Er hat mich gesehen und vielleicht auch durchschaut. Es funktioniert. ||

SCHWANENSEE
9., 11., 27., 30. Oktober, dann wieder ab Februar
GISELLE
23., 24., 30. Januar
PARADIGMA
Sunyata von Wayne McGregor/Bedroom Folk von Sharon Eyal
und Gai Behar/With a Chance of Rain von Liam Scarlett
3., 7., 11., 21., 23. November
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