Sapir Heller macht »Das hässliche Universum« zum Antistück der Stunde. Am 7. Oktober im Volkstheater.
»Das hässliche Universum«: Krisen-Euphorie
Wo ein kaputter Toaster kaum noch repariert, sondern am liebsten gleich durch das nächste kurzlebige Modell ersetzt wird, hat es eine Welt schwer, die von einer multiplen Krise in die nächste taumelt. Wer will sich da noch mit kleinteiligen Problemlösungsversuchen aufhalten? Man könnte doch auch »Das hässliche Universum« einfach abfackeln und dazu ein fulminantes Begräbnis mit allen Lieblingssongs inszenieren – vielleicht gibt es ja im nächsten Schlussverkauf ein neues zum halben Preis. Eine ominöse Rattenfängerin namens Rosa spukt in Laura Naumanns kruder Untergangsfantasie aus dem Jahr 2017 durch die digitalen Netzwerke besorgter engagierter Bürger, die ihrem finalen Aufruf »Alles muss brennen« bedenkenlos nachkommen. Mit doppelbödiger Ironie nimmt Naumann die krisenmüde Endzeitstimmung erschöpfter Selbstoptimierer aufs Korn, die mit einem Funken egal welcher Ideologie schnell brandgefährlich werden kann. Etwas diffuse Prototypen sind dabei eine alleinerziehende Mutter, die erst vom sinnstiftenden Kampagnenjob träumt und zum Schluss fatalistisch mit den Kindern auf dem kokelnden Sofa kuschelt, und der Woke-Typ von nebenan, der sich gern als weißer Ritter seiner PoC-Nachbarin sehen würde, die ihn ungerührt abblitzen lässt.
Regisseurin Sapir Heller sucht in der losen Szenenfolge mit überbordenden Abschiedslitaneien erst gar keine differenzierte Analyse grassierender Radikalisierungsprozesse, sondern bürstet das grummelnde Unbehagen in Naumanns disparatem Untergangslamento einfach mit erfrischender Euphorie gegen den Strich. »The Goodbye-Show« blinkt es bunt über der leeren Bühne, und es ist zum Heulen witzig und charmant, wie die vier Akteur*innen sich in diesen Showdown hineinsteigern, mit eigenwilligen Coverversionen von Blur bis Bon Jovi und bizarren Super(wo)men-Kostümen (Anna van Leen) – Nina Steils gibt das blumengeschmückte Frida-Kahlo-Double, Vincent Sauer performt wie Freddy Mercury, Anne Stein glitzert als Countrysternchen und Silas Breiding mimt den blonden Helden für alles irgendwo zwischen Siegfried und Gladiator. Mit ganz viel Spielwut und Lust am letzten Abgesang schwelgen die vier in verwirrtem Weltschmerz und trotzigen Verweigerungsarien und lassen dabei alle Corona-Einschränkungen prompt vergessen. Das mag nicht tief reflektiert sein, macht aber gerade deshalb Spaß, weil Krise hier mal ganz ohne Betroffenheitsgebot schlicht und absurd ausgespielt wird. Und der Schwung, den alle Beteiligten dabei an den Tag legen, würdegewiss auch noch für eine nächste Runde reichen. ||
DAS HÄSSLICHE UNIVERSUM
Volkstheater | 7. Okt. | 20 Uhr | Tickets: 089 5234655
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