Am 3. Oktober erschien unsere 100. Ausgabe. Die Redaktion und ehemalige MitstreiterInnen haben noch einmal zurück geblickt und ihre Gedanken zu diesem Ereignis formuliert. Hier gibt es wöchentlich eine Auswahl davon.

Begeisterung, Sturheit und einen langen Atem braucht, wer ein Kulturblatt gründet.

 

Eine Rede, die ich nicht zur Feier der 100. Ausgabe halten kann.

Christiane Pfau, Gründerin des »Münchner Feuilleton«
Warum gründet man eine Kulturzeitung? Darauf gibt es diverse Antworten. Weil es niemand anderer macht. Weil man von naiver Wut erfüllt ist. Weil sich Energie angestaut hat, die dringend ein Ventil braucht. Weil machen und gestalten, statt passiv zuzuschauen, die interessantere Variante war. Weil die Überzeugung »besser auf hohem Niveau scheitern, als es gar nicht probieren« stärker war als das Raunen der Zweifler.

Als im April 2010 der Alarm in der Münchner Kulturlandschaft losheulte, weil die AZ einen großen Teil ihrer Redaktion entließ, darunter die Theaterkritikerin Gabriella Lorenz, kam das einem Erdbeben nah und verlangte nach einer neuen Statik. Gabriella galt als Fels in der Theaterbrandung, die vor allem auch der freien Szene Platz in der AZ erkämpfte. Ohne Gabriellas Engagement drohte vielen kleinen Theatern und Gruppen die Unsichtbarkeit. Jede Form von Kunst und Kultur braucht aber die mediale Präsenz, um über den Zuschauerraum, das Museum oder den Konzertsaal hinaus bekannt zu werden. Außerdem ist die feuilletonistische Sprache per se ein unverzichtbares Phänomen: Lesbares Nachdenken über Kunst ist immer auch ein differenziertes Nachdenken über die Welt, aus einer Perspektive, die oft mehr und anderes, für die Gesellschaft Relevantes, erkennt.

Deshalb darf die Kunst der Kulturbetrachtung nicht aussterben. Der zweite Gedanke war so lästig wie nicht totzukriegen und schrie nach Aktion: Jammern ist unsexy. Also musste etwas getan werden. Auf einem Blatt Papier schrieb ich wild und entschieden zusammen, was lange schon, wenn auch gut versteckt, in den Hinterhöfen meines Hirns nistete – eine Konzeptskizze, die ich meinem Mann Ulrich Rogun abends auf den Tisch legte. Dieser meinte nur: Du bist wahnsinnig.

Aber warum nicht? Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei und der Nervenzusammenbrüche, der konspirativen Zusammenkünfte mit den Urgesteinen der feuilletonistischen Münchner Landschaft – wie Rolf May, Malve Gradinger, Petra Hallmayer, Christiane Wechselberger, natürlich Gabriella Lorenz und einigen anderen verführbaren Skeptiker*innen –, bis die Idee nach und nach Gestalt annahm. Ulrich Rogun war es, der mir in den verzweifelten Momenten, vor der eigenen Hybris in die Knie zu gehen, moralisch beisprang und immer wieder verhinderte, dass die Flinte zu früh ins Korn flog. Er war es auch, der darauf bestand,
dass wir eine Gesellschaftsform mit Haftungsbeschränkung, also eine UG gründeten. HansGeorg Küppers, ehemals Kulturreferent in München, fürchtete, wir könnten uns heillos verschulden. Das geht gar nicht, weil wir bis heute noch nicht einmal einen Dispokredit haben. Wir versuchen seit neun Jahren, nicht draufzuzahlen, und das gelingt uns auch aus drei Gründen. Erstens: Ulrich Rogun hat die Zahlen im Blick und sorgt dafür, dass unsere Kunden ihre Rechnungen bezahlen. Der zweite Grund sind unsere Abonnent*innen. Sie sind das ideelle und auch anteilig wirtschaftliche Fundament des Blattes. Und der dritte Grund sind unsere Anzeigenkunden, denen wir hier von Herzen danken möchten. Ohne Sie und Euch gäbe es das Blatt nicht. Ich musste schmerzvoll lernen, nicht jede abschlägige Antwort persönlich zu nehmen. Umso größer ist die Freude über jede Zusage, denn alles führt jeden Monat neu zum Ziel, das heißt: zu etwa 20.000 Euro, die uns das Blatt inklusive Herstellung und Verteilung inzwischen kostet. Wir sind noch immer weit davon entfernt, jedem und jeder Beteiligten 1000 Euro pro Ausgabe zu bezahlen, wie es das Konzept vorsah und wie wir es bis heute gern täten. Dafür haben wir schlicht zu wenig Einnahmen. Alle Beteiligten, das sind heute: sechs Redakteur*innen, ein Pool aus sechs Grafiker*innen, ein Pool aus etwa 250 Autor*innen, eine Homepage-Expertin, eine Druckerei, ein Spezialist für die Druckabwicklung (bislang aus dem Hause Ulenspiegel, das aber coronabedingt – es ist ein Jammer – die Segel streichen musste) und drei Eintütlerinnen. Als Geschäftsführer kümmert sich Ulrich Rogun ums Geld, um den Vertrieb und ums Marketing, während ich die Ansprechpartnerin für redaktionelle Abläufe, Grafik und Anzeigen bin.

»Nicht Jammern« führt nicht automatisch zum wirtschaftlichen Erfolg, das haben wir inzwischen auch gelernt. Und trotzdem machen wir weiter, Monat für Monat, von einer Ausgabe zur nächsten. Warum, lesen Sie in den Kommentaren unserer (Ex-)Redakteur*innen und auf Seite 16. Unser größter Dank gilt dem gesamten MF-Team, allen, die daran mitdenken, die schreiben, die dafür sorgen, dass jede Seite schön wird, und dass die Zeitung zu den Leser*innen kommt. Das »Münchner Feuilleton« ist eine Arche Noah, die voller erstaunlicher Wesen von Ausgabe zu Ausgabe durch die Welt schippert. Wir sind arm, aber frei. Begleiten Sie uns jetzt durchs zehnte Lebensjahr. Und sobald die Situation es zulässt, werden wir ein rauschendes Fest feiern. Halten Sie so lange durch! Dann tun wir es auch. ||

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