Das Staatstheater Nürnberg startet mit Monteverdis »L’Orfeo« in einen Opernherbst voller Unwägbarheiten.

Staatstheater Nürnberg: Das Prinzip Hoffnung

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So viel Raum war nie: das Staatstheater Nürberg mit aktueller Distanzbestuhlung | © David Klumpp

So langsam kehrt Leben zurück in unsere Theater. Ob allerdings die Saison glanzvoll sein wird, kann man zu diesem Herbstbeginn so wenig absehen, wie man weiß, was das Virus sonst noch in unserem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben verursachen wird. Das Staatstheater Nürnberg unter ihrem Intendanten Jens-Daniel Herzog federt diese Ungewissheit mit ganz eigener Taktik ab. Eine Mischung aus Regel- und Sonderspielplan gibt Termine erstmal bis November bekannt. Dann wird man weitere und neue Aufführungen setzen. Man fährt also auf Sicht. Welch ein Vorteil, dass man mit dem Intendanten einen Künstler und Kapitän an Bord hat, der nicht nur Anweisungen für Richtung und Kurs gibt, sondern auch selbst Segel setzt und das Steuerruder in die Hand nimmt. So inszeniert Herzog die erste Oper der Saison wieder höchstpersönlich. Sein »L’Orfeo« (Premiere, 2.10.) zeigt ein Leben voll Freude, Lust und scheinbarer Zukunftsgewissheit, in das durch Euridices plötzlichen Tod das Unglück unerwartet und unvermittelt hereinbricht. Und als es Orpheus zwar gelingt, seine Geliebte aus dem Hades zurückzuholen, verliert er sie ein zweites Mal, weil er sich entgegen des Göttergebots nach ihr umdreht. Wenn man so will, erklärt Herzog seine Sicht auf den antiken Stoff, ist das Unglück in diesem Stück damit auch in einer zweiten Welle angelegt. Weh’ dem, der sich in Gewißheit wähnt! Das passt für diesen Herbst.

Neben dieser aktuellen Anspielung hat Monteverdis Oper natürlich auch den Vorteil, dass keine Wagnerschen Großorchester im Graben wabern. Joana Mallwitz, die musikalische Chefin des Hauses, hat dafür die Orchesterfassung erarbeitet und wird ihre Musiker so setzen, dass alle Vorschriften der Bayerischen Staatsministerien erfüllt sind. Denn die haben es in typisch bayerischer Primusqualität in sich – bis in die Details. So muss die Generalmusikdirektorin gar nicht nachdenken, wo sie etwa die Holzbläser hinsetzt. Das schreiben die Infektions-Schutzmaßnahmen vor. Und wie das Blech mit dem Kondensat seiner Instrumente umzugehen hat, ist dort auch penibel geregelt.

Über dem Graben hat in diesen Monaten die Stunde des Ensembles geschlagen. Wohl den Theatern, die dort stark besetzt sind. Denn wer kann es in dieser Situation riskieren, teure Gastsolisten zu verpflichten? Da wird man in den nächsten Monaten den Trend in den Vertragsbüros der Spielhäuser beobachten müssen. Den »L’Orfeo« schafft man in Nürnberg jedenfalls ohne Gastgesang. »Wir sind auch gespannt, ob die Corona-Krise dazu führt, dass Festengagements – zwar nicht so lukrativ, aber verlässlich – für die Sänger wieder interessanter werden«, sagt Herzog gegenüber dem MF. »Da ich ein großer Verfechter des Ensembletheaters bin, würde mir das durchaus gefallen.« Ähnliches gilt für die Regisseure. Wer will schon von weit her anreisen, um seine Arbeit wegen eines Coronafalles während des Spielbetriebs abbrechen zu lassen? In Nürnberg weiß man, wie weh das tut. Als das Schauspiel Ende Juni endlich für eine Premiere auf der Freilichtbühne bereit war, musste man in genau so einer Situation absagen und verschieben.

Auch am Sprechtheater hat man in Nürnberg mit Kleists »Das Erdbeben in Chili« (1807) das Wechselbad menschlichen Geschicks auf dem Spielplan. Wenn die Wirklichkeit so neu ist, muss sich das Theater damit befassen, sagt Schauspielchef Jan Philipp Gloger. Weil er im Kammerspiel nur 40 Karten pro Aufführung verkaufen darf, lässt er zweimal am Abend spielen. Im Großen Haus sind es auch nur 200 Gäste am Abend. Nach Kleist steht für Mitte Oktober eine »Antigone« von Sophokles auf dem Spielplan. Andreas Kriegenburg wird Regie führen. Und am 30.10. wird René Pollesch sein Werk »Take the Villa and Run« uraufführen. Da kann man dem Haus nur Glück und Erfolg wünschen. Ambitioniert sind da auch die Opernpläne mit Verdis »Il Trovatore« unter dem renommierten Peter Konwitschny im November. Das Ballett, das in seinem Kern vom direkten, verbundenen Kontakt zweier Menschen lebt, wird zunächst die Geschichte von »Peter und der Wolf« auf die Bühne bringen.

Aber Theaterspiel braucht Nähe zwischen den Protagonisten. Was wird aus den großen Liebespaaren Tristan und Isolde oder Rodolfo und Mimi? Und was aus den großen Widersachern wie Graf Luna und Manrico im kommenden Nürnberger Troubadour? Liebe wie Hass kommen ohne Handgreiflichkeit nicht aus. Die Vorhänge gehen wieder auf und viele Fragen bleiben offen, um ein altes Theaterzitat einmal umzudrehen. ||

CLAUDIO MONTEVERDI: L’ORFEO
Staatstheater Nürnberg | 2./10./14./17./25./30. Okt
16.30/19/19.30/20 Uhr | Tickets: 0180 1344 276

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