Wo könnte man besser über Tugenden und Laster nachdenken als in einem Kloster? In Beuerberg hoch über der Loisach geht es in der nunmehr fünften Ausstellung um »Alte Werte« in »Neuen Zeiten«.

Kloster Beuerberg: Hoffnung für ein Fuchzgerl

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Erste Station auf dem Tugendpfad ist der Münzautomat © Thomas Dashuber

»Gib eine Münze Deiner Wahl und erhalte eine Tugend meiner Wahl.« Zu lesen ist das auf einem hölzernen Automaten, von dem eine dezent lächelnde Salesianerin ihrem Gegenüber direkt in die Augen blickt. Wirft man jetzt einen Euro durch den Schlitz oder bloß ein Zehnerl? Das dürfte gleich die erste Prüfung sein: Geld geben, also auf gut Glück investieren und nicht wissen, was am Ende rauskommt. Im Mittelalter war der Handel noch klar: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Aber eine Tugend? Für Geld? Egal, im Kloster, am geweihten Ort, gibt man freilich keinen Chip vom Einkaufswagen, sondern ein Fuchzgerl – das ist ein Kompromiss und immerhin kein lausiger. Dann schließt die Nonne die Augen, und im Schacht liegt eine runde Pappplakette.

»Haltung der Regel« steht darauf, und bis die letzten Schwestern Beuerberg im Jahr 2014 verlassen haben, war das die Grundlage für ihr Ordensleben im Isartal, hoch über der Loisach. Man braucht sich in diesem ersten Raum übrigens nur umzudrehen zum großen Gitter mit dunklem Vorhang. Hinter dem saßen die Nonnen, wenn zu bestimmten Zeiten Besuch kommen durfte, und wenigstens konnten sie so die Stimmen ihrer Lieben hören. Klausur hat bei den Salesianerinnen sehr viel mehr als Rückzug bedeutet. Natürlich gilt das Einhalten von Normen oder Ordnungen für jede Form von Zusammenleben, wir spüren das vor allem, wenn es nicht funktioniert. Aber bei Regeln und Reglementierungen regt sich tief im Inneren ein gewisses Unbehagen, ein Widerstand. Doch warum eigentlich? Darüber kann man in der Klosterausstellung »Tugendreich – Neue Zeiten. Alte Werte?« ausgiebig sinnieren. Und genauso über die Losung der nächsten Plakette, die gerade in diesen Tagen sympathischer scheint: »Hoffnung«.

Überall im Kloster sind die Tugenden präsent und konkreten Heiligen zugeordnet. An der Pforte, wo früher regelmäßig Bettler angeklopft haben, ist es die Heilige Elisabeth von Thüringen, die im 13. Jahrhundert für Arme und Bedürftige da war. Und Beuerberg ist genauso erhalten, wie es von den Ordensfrauen verlassen wurde. Auf Türstücken oder Wandinschriften wurden die Nonnen bald bei jeder Tätigkeit an die Ideale ihrer Ordensberufung erinnert. Ob das die Wut auf eine Mitschwester dann tatsächlich gemildert hat, sei dahingestellt. Die Tugend hat das Laster eben gleich mit im Schlepptau, das ist der ewige Kampf und nicht nur derer, die es besonders gut machen wollen.

In einem kurzen Seitenabschnitt des Rundgangs, der auf ein Gemälde mit dem Jüngsten Gericht samt üppigem Höllenteil zuführt, geht es dann auch durch ein eindrucksvolles Spalier dieser Kombattanten: Die Worte Klugheit, Gerechtigkeit, Maßhalten oder Liebe stehen in kraftvollen Lettern dem Geiz, der Völlerei oder – das Internet ist voll davon – dem Hass gegenüber. Und damit ist man schneller im Hier und Jetzt angelangt, als es einem im Kloster lieb sein kann.

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Wegweiser im Innenhof des Klosters
Beuerberg © Thomas Dashuber

Der Hass lässt sich nicht wegbeten und leider selten wegdiskutieren. Doch gerade dieses dauernde Einbeziehen der Gegenwart macht die mittlerweile fünfte Ausstellung des Freisinger Diözesanmuseumsteams im Süden Münchens auch anziehend lebensnah. Selbst wer mit frommen Sprüchen und Ordensgehorsamkeit so gar nichts am Hut hat und um Heiligenbildchen und Kreuze, Keuschheitsschleier und Bußwerkzeuge zur fragwürdigen Selbstkasteiung einen großen Bogen macht, findet genügend Anregungen, um über Werte und Wertesysteme nachzudenken. Sei es bei Überlegungen zur Zivilcourage und Demut, die als abstrakte Begriffe allzu leicht über die Lippen gehen, oder in einem nachempfundenen Gerichtssaal. Auf einem Richterstuhl darf man auf einem Bildschirm über die angemessene Strafe in realen Fällen von Steuerhinterziehung, Beamtenbeleidigung oder Drogenhandel entscheiden. Das schaut simpel aus, erweist sich dann aber doch als mühsam. Dabei hat man – bedingt durch die aktuellen Hygienebestimmungen – noch nicht einmal Ankläger, Zeugen und schon gar keinen Schuldigen vor sich.

Es dürfte auch nicht ganz einfach gewesen sein, dieses Hin und Her von Tugenden und Lastern einer übersichtlichen Struktur zu unterwerfen. Am besten gelingt das im quasi humanistischen Bereich des Parcours mit den vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Klugheit, Mäßigung und der arg missbrauchten Tapferkeit. Die Bilder sprechen für sich, wenn Christus auf einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs auftaucht und ein gefallener Musketier von einem Engel mit Eichenlaub bedeckt wird. Gerade die Tapferkeit ist ein gutes Beispiel für den Wandel der Werte. Was früher das Höchste war, nämlich fürs Vaterland zu sterben, wird heute mindestens kritisch gesehen. Viel lieber sprechen wir in diesem Zusammenhang von Mut und Offenheit, wobei man sich dann auch wieder fragen muss, wie weit es mit der Courage her ist, wenn sie in erster Linie im geschützten Raum zelebriert wird. Oder anonym im Netz.

Der Münchner Philosoph Wilhelm Vossenkuhl bringt solche Wertekategorien erhellend in Beziehung zueinander, oft genug ist eine Tugend ohne die andere nicht denkbar, die Gerechtigkeit etwa nicht ohne eine gewisse Klugheit. Und Vossenkuhl erklärt, weshalb es ohne Mäßigung kein Glück gibt. Wahrscheinlich ist die Lust an der Schokoladentarte gleich noch größer, wenn man sich für die gut zwölf Minuten seiner Ausführungen an der Hörstation zusammennimmt – das ist sehr wohl ein geistiges Vergnügen – und erst dann in die Klosterküche marschiert. Im ehemaligen Refektorium könnte es allerdings schwierig werden, zwischen Schweinebäckchen und Saibling das rechte Maß zu finden.

Das Spiel von Tugenden und Lastern lässt sich in Beuerberg jedenfalls auch empirisch erkunden. Der neuerdings geöffnete Totengang mit Schädeln und Gebeinen auf der anderen Seite des Kreuzgangs ist weit genug weg, um sich noch für einen ausgedehnten Moment den Gedanken an die Sterblichkeit zu entziehen. Das Ende hat seinen Schrecken ja keineswegs verloren. Im Gegenteil. Corona zeigt der Welt mit fataler Wucht, wie fragil das Leben doch ist. 50 Cent hat die Plakette mit der Hoffnung gekostet, das Gummiarmband gibt es dazu sogar gratis. Und wer dran glauben kann, verlässt Beuerberg voll schöner Erwartungen. ||

TUGENDREICH – NEUE ZEITEN. ALTE WERTE?
Kloster Beuerberg | Königsdorfer Str. 7, 82547 Eurasburg-Beuerberg | bis 1. November
Mi bis So und Fei 10–18 Uhr | wegen Corona keine Führungen | maximal 70 Personen dürfen sich gleichzeitig in der Ausstellung aufhalten, Mund und Nase müssen bedeckt sein
08179 92650

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