Im Hofspielhaus jongliert Georg Büttels »Jedermann«-Inszenierung eher vordergründig mit Abstandsregeln. »Anaerob« von Sascha Fersch aber gibt der Risikogruppe ein Gesicht.

»Anaerob« / »Jedermann«: Spielen mit Corona-Regeln

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Mira Huber spielt in »Anaerob« eine Frau, die Abstand braucht | © Chris Hirschhaeuser

Seit kurz vor der Sommerpause dürfen die Theater in Bayern unter strengen Auflagen wieder spielen. Und so nutzt das Hofspielhaus die Ferienmonate für ein »Open-Air-Festspielchen« im Hof (und bei schlechtem Wetter drinnen). Die erste Post-Lockdown-Premiere, Hugo von Hofmannsthals »Jedermann«, ist der Freiluft-Festspielklassiker schlechthin. Doch wer jetzt ein Minisalzburg in der Münchner Innenstadt erwartet, mit Domtreppe und viel Tamtam, der liegt völlig daneben. Regisseur Georg Büttel hat das Drama vielmehr als »Hof Hör Spiel« inszeniert.

Heißt: Die drei Schauspieler*innen verteilen sich in den Ecken des winzigen Hofs, lesen auch die Regieanweisungen, die sie nicht ausführen können, und erinnern sich und das Publikum immer wieder daran, dass sie unter Ausnahmeregeln spielen. So ruft Diana Marie Müller aus dem Fenster »1,5 Meter Abstand!«, wenn ihre Kollegen sich zu nahe zu kommen drohen. Eine allzu große Nähe ist aber leider nicht wirklich die Gefahr an diesem Abend. Markus Boeker spielt den Jedermann so abgehoben, dass man sich schwerlich selbst erkennen kann und will in diesem Mann, der nur für sein Geld gelebt hat und am Ende einsam stirbt. Wie er da schwarz gekleidet steht, den Blick in die Ferne schweifen und seine dicken Ringe im leeren Weinglas klimpern lässt – das hat mit uns, mit der Isolation in Corona-Zeiten, mit dem heutigen Kapitalismus wenig zu tun. All das wollte Büttel erzählen, doch es überträgt sich nicht. Und irgendwie ist der »Jedermann« halt doch nicht das tiefsinnigste Stück.

Was in dieser Inszenierung Spaß macht, ist das Spiel von David Hang, der von einer Rolle in die nächste schlüpft, die einzelnen Charaktere durch Stimme und Körperhaltung voneinander unterscheidet und sichtbar werden lässt. Er braucht nicht mehr als sich selbst, um zu spielen. Ansonsten verharrt die Inszenierung leider in einer Schockstarre. Statt mit den nun mal gegebenen Umständen kreativ umzugehen, betont Büttel auch im Programmheft so stark die Einschränkungen (Mindestabstand, Auftritte mit Maske, keine gemeinsamen Requisiten), dass man nicht anders kann, als den ganzen Abend als eingeschränkt wahrzunehmen.

Eine Woche später dann die zweite Sommer-Premiere, die vollkommen konträr daherkommt. Sascha Fersch inszeniert seinen Monolog »Anaerob«, es spielt Mira Huber. Weil es diesmal regnet, findet das Ganze drinnen statt, was der Intensität des Abends aber keinen Abbruch tut. Im Gegenteil. Huber bahnt sich ihren Weg durchs Publikum, gehüllt in einen Überwurf aus transparenter Folie, eine Art Schutzzelt. Das nicht nur die Corona-Auflagen erfüllt, sondern gleich mitten ins Thema führt: Denn Huber spielt eine, die die Isolation gewohnt ist, weil sie eine Autoimmunerkrankung hat. Weil jede Infektion für sie tödlich sein kann. Sie berichtet dennoch mit einer begeisterten Faszination von all den Einzellern, die auf Meteoriten durch das Universum reisen; von Milben, die aus Eiern in unseren Haaren schlüpfen und über unseren Körper wandern, um auf unserer Haut allerlei abgestorbenes Zeugs zu fressen; von Desinfektionsmittel, das natürlich auch all die guten Bakterien abtötet »wie eine Atombombe«. Sie hat sich mit dem Thema beschäftigt, kennt sich aus. Seit Corona fühlt sie sich nicht mehr als Außenseiterin: Auf einmal tragen alle Masken, denken alle über den Tod nach, halten alle Abstand. Sie fühlt sich sicherer. Nicht mehr als Außenseiterin. Und auch das Dating ist einfacher geworden, weil das obligatorische Treffen nach dem Online-Chatten für alle zum Problem geworden ist. Nicht mehr nur für sie. Huber ist urkomisch, wenn sie ihre Internet-Flirtdialoge nachspielt. Sie berührt, wenn sie die traurigen Momente, die der Verzweiflung nicht auslässt. Wenn sie wütend wird und trotzig. Sie weiß, dass sie immer ein »Freak« sein wird, nie nach Bali reisen oder aufs Oktoberfest gehen wird. »Ich werde immer in diesem unsichtbaren Gefängnis bleiben«, sagt sie.

Oder aber sind am Ende die anderen die wahren Freaks? Die aus Panik Klopapier kaufen und Nudeln, die den ganzen Tag rennen, ohne zu wissen, wohin – und nicht wissen, wohin mit sich, wenn die Welt auf einmal stillsteht. Fersch endet seinen dichten Monolog mit einer augenzwinkernden Utopie. »Anaerob« ist ein erfrischender Abend, der von einer Not erzählt, die so viel größer ist als die eigene. Von der Einsamkeit, der Angst, aber auch von der eigenen Einstellung, die oft den Unterschied macht zwischen Verzweiflung und Zuversicht. Ganz unaufdringlich stellt Fersch die Frage, was wir Gesunden schon wissen über das Kranksein, das chronische. Er gibt der »Risikogruppe« ein Gesicht, ein sehr einnehmendes. ||

ANAEROB
16. Sept.

JEDERMANN
12., 13., 25., 27. Sept.
Hofspielhaus | Falkenturmstr. 8 | 20 Uhr | Tickets: 089 24209333

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