Nix wie nach Österreich: In Graz, in der Steiermark und im Burgenland und auch am Fuße des Vernagtferner-Gletschers tobt das kulturelle Leben.

Kultur in Österreich: Die Welt neu vermessen

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Österreich ist das Ziel: »L’Effet Papillon«, Mechanische Landschaft, Island (Filmstill) | 2008 | Hochsommer 2020 | © Christian Ruschitzka

LEBENSHILFE IN GRAZ

Auch Graz ist ein Ort, den man unbedingt immer wieder aufsuchen sollte. Ganz besonders im Kulturjahr. In Graz dauern die Jahre länger, dieses nämlich bis August 2021. Von den 630 Einzelveranstaltungen, die zwischen März und Juni 2020 abgesagt werden mussten, werden nun zumindest einige, zum Teil als Corona-Adaptionen nachgeholt. Das Kulturjahr-Motto »Wie wir leben wollen« verdichtet sich vor dem Hintergrund der aktuellen weltweiten Ereignisse wie unter einem Brennglas. Inklusive Kunstprojekt, Ausstellungen und Interventionen im öffentlichen Raum, ein summender Kunstraum mit Bienen und künstlerisch-urbanistische Stadtplanungsprojekte rund um die Frage, wie die ideale Stadt sein müsste – da wird ein Wochenende kaum reichen. Allein die Maßnahme »5000 Desinfektionssprays für Graz« (bis August 2021) spricht für eine Reise in die steirische Hauptstadt, in der wie überall in Österreich einzigartige Phänomene bei der Realitätsbewältigung Blüten treiben. In der Projektbeschreibung heißt es: »Besondere Zeiten erfordern besondere Maß- nahmen: Destillerien, die üblicherweise hochprozentige Alkoholika herstellen, produzieren nun Desinfektionsmittel, Textilbetriebe erzeugen Mund- und Nasenschutz statt Tischwäsche, Autozulieferer fertigen Schutzanzüge und Einweghandschuhe. Auch die Neigungsgruppe K.O. (Johanna Hierzegger, Markus Wilfling, Martin Behr) reagiert, wird zur Neigungsgruppe O.K. und offeriert ab sofort statt Pfeffersprays Desinfektionssprays.‹Covid-19 hat unsere Welt verändert. Das Sicherheitsthema ist nun noch bedeutsamer geworden. Die Gesundheit der Menschen ist das höchste Gut, und wir wollen das subjektive Sicherheitsgefühl noch weiter verstärken«, sagen Behr, Hierzegger und Wilfling. Deshalb bieten sie der Bevölkerung 5000 Gratis-Desinfektionssprays an. Dabei handelt es sich um Betonskulpturen, die nummeriert und signiert sind. Wichtig: Die schwarzen Samtbeutel, in denen sich die Objekte befinden, können mit zwei Schnitten einer Schere in eine praktische und formschöne Gesichtsmaske – also einen Mund- und Nasenschutz – umfunktioniert werden. Die Neigungsgruppe O.K. macht damit einen Schritt gegen die zunehmende Verunsicherung und Depression in der Bevölkerung: »Bleiben Sie gesund und bleiben Sie – im Zweifelsfall – zu Hause. Sicher ist sicher.« ||

GRAZ KULTURJAHR 2020:WIE WIR LEBEN WOLLEN
bis August 2021

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DRINGLICHKEITEN UND VISIONEN

Heuer beschäftigt sich der steirische herbst, das weit über die Steiermark hinaus blitzende Kunstfestival, mit dem Zusammenhang von Vergnügen und Katastrophe. Dazu erfindet sich der steirische herbst 2020 als Medienkonzern neu: »Paranoia TV« nennt sich der Kanal für das Unheimliche und Beunruhigende, der aus einem Paralleluniversum sendet, in dem es Kultur zur Besänftigung der Gemüter nicht gibt. Paranoia TV antwortet künstlerisch (analog und digital) auf die globale Pandemie und die durch sie verursachten Einschnitte. Unter Intendantin Ekaterina Degot zeigt das Festival ausschließlich neue Auftragswerke. Rund vierzig Künstler setzen sich mit den Dringlichkeiten unserer Zeit auseinander: mit den neuen Verwundbarkeiten, den Komödien und Dramen der Häuslichkeit und der wiedergefundenen Begeisterung für die klassische Oper, mit der Choreografie von Bewegungseinschränkungen, Klasse, Geld und Umarmungen bis hin zur Biopolitik der Ansteckung und zur »Selbstisolation des weißen Mannes in sterilen autonomen Zonen und der Hoffnung auf eine unerwartete Zukunft«. ||

STEIRISCHER HERBST 2020: PARANOIA TV
24. September bis 18. Oktober

ALPINES WANDERTHEATER

Dies ist ein Ausflug für alle, die alles auf einmal haben wollen: Natur und Kunst in Reinkultur. Hubert Lepka, ansässig in der Nähe von Salzburg, realisiert mit seiner Gruppe Lawine Torrèn seit etwa 25 Jahren immer wieder erstaunliche Theater-Kunst-Projekte. Das Künstlernetzwerk aus Tänzern, Schauspielern, Technikern, Autoren, Mediakünstlern, Fotografen und Musikern verwandelt Räume und Plätze in Bühnen für unvorhersehbare Performances, auf Fabrikdächern, Abraumhalden, Baustellen, auf riesigen Trucks, in der Luft oder hoch im Gebirge. Manch einer mag Lepka für größenwahnsinnig halten, aber man muss neidlos zugeben: Hier wird nie gekleckert, sondern immer geklotzt. Friedl geht mit seiner leeren Tasche durchs Niedere Tal (von wegen: es geht auf 2600 Meter hinauf!), um seinen Verfolgern zu entkommen. Eine kleine Zuschauerschar folgt dem Erzherzog Friedrich von Tirol auf seiner Flucht von Konstanz nach Meran und erlebt ein alpines Drama, live gespielt in der Landschaft, die einer gotischen Kathedrale gleicht. Um die Fluchtgeschichte des Herzogs türmt sich ein Dickicht vonLegenden. Lawine Torrèn entwirrt das Geflecht und legt ein mittelalterliches Roadmovie frei, in dem auch die Liebe nicht zu kurz kommt. Das Wandertheater beginnt mit einer kurzen »Wanderschule« in Vent auf 1900 Höhenmetern und endet auf der Martin-Busch-Hütte auf dem Niederjochferner, etwa 800 Meter höher. Auf einem der schönsten Wanderwege der Alpenregion hat man auch den noch vorhandenen Vernagtferner-Gletscher im Blick. ||

LAWINE TORRÈN: FRIEDL MIT DER LEEREN TASCHE
Ötztal/Tirol | 10.–13. und 17.–20. September
8.45–15 Uhr | Ausrüstung, feste Schuhe, Trittsicherheit und ausreichende Kondition erforderlich | Tickets

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