Max Weber und München: Die Ausstellung »Bürgerwelt und Sinnenwelt« in der Seidlvilla zeigt die Stadt zur Zeit des berühmten Soziologen.
Max Weber: Eintauchen in reiner Schönheit
Nein, der Max-Weber-Platz wurde 1905 nicht nach dem berühmten Soziologen benannt: Gegenüber der Geliebten Else Jaffé- von Richthofen soll Max Weber beim Überqueren des dem gleichnamigen Haidhauser Magistratsbeamten gewidmeten Platzes beklagt haben, hier könne keine Straße mehr nach ihm benannt werden. Nur kurz, von April 1919, als er einen Ruf an die hiesige Universität annahm, bis zu seinem überraschenden Tod am 14. Juni 1920, war Weber tatsächlich Münchner Bürger. Erarbeitet von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit der Volkshochschule, informiert eine feine Ausstellung über die gleichwohl zentrale Bedeutung der Isarstadt für den Wissenschaftler – und umgekehrt.
Drei Semester lang lehrte Weber in München Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie. Schon zuvor hatte er hier viel zitierte Reden gehalten, über »Wissenschaft als Beruf« (1917) und »Politik als Beruf« (1919), und war mit seinen Thesen zu »Deutschlands politischer Neuordnung« 1918 in die politischen Wirren des instabilen neuen Freistaats geraten, wovon Autoren wie Oskar Maria Graf und Rainer Maria Rilke aufschlussreich Zeugnis ablegen. Nach dem Ende der Räterepublik setzte sich der unbestechliche Liberale vor Gericht für Revolutionäre wie Ernst Toller oder Otto Neurath ein und legte sich wegen der Begnadigung des Kurt-Eisner-Mörders Graf Arco mit völkischen Studenten an. Umso befremdlicher wirkt ein Brief des als »Polen-Schlächter« berüchtigten NS-Verbrechers Hans Frank an die Witwe Marianne Weber, in dem sich der ehemalige Student frech-dreist in die Tradition Weber’schen Wahrheitsstrebens stellt – zu hören wie viele andere Dokumente im digitalen Rundgang sowie per QR-Code in der Ausstellung.
Erste Besuche »in dieser gesegneten Stadt mit ihrem unvergeßlichen Zauber« fallen noch in die Vorkriegszeit. In Begleitung der Pianistin Mina Tobler besuchte das Ehepaar Weber 1912 nach den Bayreuther Wagner- auch die Münchner Mozart-Festspiele. Die Aufführung von »Così fan tutte« ist für Weber »ein Eintauchen in reiner Schönheit […] trotz des frivolen Sujets«. Die »arationalen oder antirationalen« Sphären von Musik und Erotik repräsentieren die antibürgerliche »Sinnenwelt«, in die sich der Geistesaristokrat aus seiner »Bürgerwelt« zu flüchten sucht. Berichte über musikalische und künstlerische Erlebnisse zeugen davon ebenso wie gesellschaftliche Begegnungen – etwa mit Thomas Mann und der den passionierten Erotiker erstaunlich wenig beeindruckenden Franziska zu Reventlow. Für bohèmehafte Sinnlichkeit sorgt eine der beiden Richthofen-Skandalschwestern: Else Jaffé, die Max Weber bereits aus Heidelberg kannte, wurde in München zur intimen Freundin bis zum Tod, großzügig geduldet von Ehefrau Marianne.
Der vorbildliche, von Friedrich Wilhelm Graf und Edith Hanke herausgegebene Begleitband liefert zu all diesen Aspekten zusätzliche Dokumente und Zitate, die zum Weiterschmö- kern über Max Webers München anregen. Und so steht das blauweiße Straßenschild nun doch zu Recht im Foyer der Ausstellung: 1998, der Magistratsbeamte war längst vergessen, dehnte die Stadt die Dedikation auf den weitaus Berühmteren aus. ||
AUSSTELLUNG BÜRGERWELT UND SINNENWELT. MAX WEBERS MÜNCHEN
Seidlvilla | Nikolaiplatz 1b | bis Ende August geschlossen, 1.–25. September, täglich 10–19 Uhr, und virtueller Rundgang | Eintritt frei || Der gleichnamige Begleitband ist im Volk Verlag erschienen und kostet 25 Euro
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