Das Valentin-Musäum huldigt dem anarchischen Kulturmünchen. Kurator Kalle Laar mäandert für uns durch diese wilde Landschaft.

Valentin-Musäum: Unter und über dem Pflaster in München

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Die Cover sind so eigen wie die Platten, die sie umhüllen | © Laar

München hat ein spezielles Verhältnis sowohl zum Absurden wie auch zu dessen möglichen Verkörperungen. Herbert Achternbusch hat die Sache in Bezug auf die Obrigkeit schon einmal mit Anspruch auf Endgültigkeit analysiert: »In Bayern gibt es 60 Prozent Anarchisten und die wählen alle die CSU.« Der Begriff des Anarchischen wird im Münchner Umfeld gerne auf alles irgendwie unangepasste oder so erscheinende Kulturgut angewandt. Karl Valentin und Achternbusch gelten dabei als Prototypen des Anarchisten-Künstlers, in der Haltung weiter entfernt von der Obrigkeit.

Dieses widerständig »Eigenbrötlerische« war den beiden Originalen wohl bewusst, und sie gestalteten ihre Rolle entsprechend aus. »Ich bin kein direkter Rüpel, aber die Brennnessel unter den Liebesblumen«, sagte Valentin einmal über sich selbst. Aber so sehr Valentin von allen Seiten gerne vereinnahmt und zitiert wurde, so bezeichnend bleibt es, dass nur Verwandte im Geiste es geschafft haben, sein Werk als Ganzes erstmals zu Gehör zu bringen: »Karl Valentin: Gesamtausgabe Ton – 1928-1947« erschien 2002 bei Trikont, wo sonst. Achim Bergmann und Eva Mayr-Holmes ist auch zu verdanken, dass Valentin hier nicht fremd unter Fremden blieb, sondern auf alte Bekannte aus der Ära der Münchener Volkssänger traf, Hans Blädel, Weiß Ferdl, August Junker, Alois Hönle und viele mehr, allesamt zu ihrer Zeit überaus erfolgreich weit über die Stadt hinaus.

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Aufbruchsstimmung und Revolte

Und mit durchaus anarchischer Tradition, auch wenn man Münchnern gerne ein gewisse Trägheit attestiert. Im Jahr 1962 beispielsweise lösten ein paar harmlose Straßenmusiker die legendären »Schwabinger Krawalle« aus. Es gab große Schlagzeilen zu kleinem Geschehen mit üppigem Polizeiaufgebot und alle 10 Jahre bekommen sie mediale nostalgisch-kleinweltstädtische Aufmerksamkeit. Alles eher unpolitisch im Gegensatz zum nicht weniger legendären, aber wesentlich berüchtigteren Polizeikessel zum G7-Gipfel 1992. Das eigenbrötlerisch Anarchische der Einheimischen wurde bei diesem Anlass institutionell kommentiert durch die »bayrische Art, gegen Störer etwas härter hinzulangen«, so damals Ministerpräsident Max Streibl.

Dank der schönen Bear Family-CD »Die München Szene – Smash …! Boom …! Bang …!« wissen wir auch um die durchaus bemerkenswerte Münchner Rock’n’Roll- und Beat-Szene der 1950er und 60er Jahre. Immerhin stammt der deutsche Vorzeige-Rock’n’Roller Peter Kraus von hier, auch wenn er später die Schwiegersohntauglichkeit des Genres repräsentierte. Die Eingeweihten schalteten dann auch eher um zu Paul Würges, dem »Bill Haley aus der Maikäfer-Siedlung«, oder Tess Teiges, markierte deren Musik doch eine gewisse Bereitschaft zur Aufmüpfigkeit. Es war eine Stimmung des Aufbruchs und die machte sich den späteren 1960er Jahren nicht nur politisch bemerkbar. Viele Kneipen verwandelten sich in Bühnen für einen wachsenden Fundus an Musikern, Kabarettisten, Schauspielern, Komödianten. Das »Musikalische Unterholz« (MUH), das KEKK (Kabarett & Engagierte Kleinkunst), die Drehleier oder das Song Parnass boten ein im wahrsten Sinne des Wortes buntes Programm. In solch einem »Lebensraum« (so Sigi Zimmerschied) wie etwa der Liederbühne Robinson mischten sich nach guter Münchner Volkssänger-Tradition Volkstümliches und mehr oder weniger Kunstvolles. Dieser inspirierenden Schule entstammen beispielsweise Konstantin Wecker, Willy Michl, Hans Söllner, Ringsgwandl oder die Biermösl Blosn.

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Der echte Underground

Das war noch nicht der »echte« Underground, aber ging in dessen Richtung. Denn an solchen tendenziell anarchischen Orten trafen sich zum Beispiel 1967 auch Julius Schittenhelm, prä- gende Figur der Underground- Szene, der später Platten von Amon Düül, Embryo und Guru Guru produzierte, und Christian Burchard, der zwei Jahre darauf Embryo gründete. Beide gehörten zu den Initiatoren von Schneeball Records, dem ersten unabhängigen Label, das komplett von Musikern organisiert und finanziert wurde. Krautrock traf Underground und Kommunardengeist, der bis nach Altötting und dem Bauernhof der »Sozialpädagogischen Initiative Sparifankal« ausstrahlte, wo Benno Höllteufel aka Carl-Ludwig Reichert wirkte, auf die subversive Kraft eines kritischen Traditionsverständnisses, für das Rockmusik und Mundart keine Gegensätze waren. So wie überhaupt die Erfahrungsbereiche ineinander übergingen.

»Das Private ist das Öffentliche und das Öffentliche das Private«, meinte der auch als Journalist und Publizist aktive Reichert, in Abwandlung des damals kursierenden Slogans der Schriftstellerin Karin Struck. Es war eine Haltung, die sich in den 70er Jahren durchaus eine Zeitlang leben ließ. Und es war eigentlich ein krasser Gegensatz zu einer demselben Umkreis entstammenden »Art-Band« wie F.S.K., die aber auch eine Land-Affinität hat. Thomas Meinecke und Michaela Melián sind noch immer stadtfern, allerdings auch hippiesken Kommunardentums unverdächtig. Überaus tröstlich, dass es sie immer noch gibt. Und außerdem Trikont, ein Label des ästhetischen wie auch künstlerisch konkreten Aufbruchs.

Frontal politisch waren die Anfänge dort, immerhin hieß die erste Platte »Wir befreien uns selbst«. Man definierte diesen Akt vorausschauend als »dauernden Auftrag innerhalb einer Gesellschaft, die frei sein will«. Und übernahm diesen Auftrag auch gleich, wenigstens auf musikalischer Ebene, obwohl die Trikontler Achim Bergmann und Eva MayrHolmes die Botschaft nicht zwingend in den Vordergrund stellten: »Wir hatten eigentlich nie eine richtige Agenda. Wir glaubten nur, dass viele Menschen ganz unterschiedliche und vielfältige Musik hören würden, wäre sie ihnen bekannt.« Das aber stellte eine folgerichtige Interpretation von Eigenbrötlertum dar und führte zu einem Label-Repertoire, das sich mit inzwischen über 500 Veröffentlichungen der Einordnung verweigert. Und die Wiederaneignung der Volksmusik, die auf den Kleinkunstbühnen begonnen hatte, nahm gerade durch Trikont-Schallplatten gehörig an lustvoller Fahrt auf, von den Fraunhofern über Hans Söllner zu Attwenger und der Express Brass Band, im weiteren Sinne von »La Paloma« und Trauermärschen bis »Russen-Disco« und finnischem Tango.

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Nicht zuletzt Theater

So viele Perlen. Allerdings wogte der Münchner Underground auch durch wechselnde Höhen und Tiefen. Als beispielsweise das wunderbare Theaterfestival von Thomas Petz 1985 zum letzten Mal stattfand, schien eine Ära zu Ende zu gehen. So wahrhaft anarchisch und gleichzeitig wohlorganisiert lud es widerständige Künstler aller Welt in seine Zelte. Diese circensische Atmosphäre steigerte noch die Empfindung eines besonderen Ereignisses, weil es dadurch fühlbar vergänglich und damit umso intensiver wurde. Bread and Puppet, Pina Bausch (bevor sie berühmt wurde), Squat Theatre, das legendäre Living Theatre und viele mehr bereicherten und inspirierten die Münchner Szene nachhaltig. Ein Trend lässt sich dabei durchaus ablesen: München hat ein Talent, großartige Kunst in die Stadt zu holen, nur um nach einiger Zeit wieder abzublocken. Einiges wird sich hoffentlich nie ändern, das proT mit Alexej Sagerer, der hochverehrte Franz-Xaver Kroetz mit dem Anspruch auf den Posten des »Chef-Grantlers«, der Zündfunk. Hans-Magnus Enzensberger und Alexander Kluge, der laut Klaus Lemke »eigentlich nur vorhatte: Seinen Jungs in Schwabing, deren Filme niemand sehen wollte, doch `ne Villa in der Toskana zu verschaffen«, sie leben immer noch hier. Mit Labels wie Gutfeeling, dem kreativen Musikergewächs Echokammer, Schamoni Musik, Compost kann man sich hier auch aus anarchisch-kritischer Perspektive gut versorgt fühlen. Und wie das geht, die Provinz mit der Welt zu verbinden, zeigen exemplarisch die Brüder Micha und Markus Acher. Die Weilheimer mit Münchner Dependancen haben der Stadt sichtlich gutgetan, mit Bands wie The Notwist und der Hochzeitskapelle, insbesondere, seit in den Kammerspielen immer wieder die Künstler ihrer Plattform Alien Transistor zwischenlanden – ein willkommener Widerstand gegen Dudelpop und Simpelrap. Man sieht: München kann, wenn München will. Es ist Zeit für eine neue Welle. ||

MUSIK, KRAWALL UND ANDERE SCHÖNE KÜNSTE
Valentin-Karlstadt-Musäum | Im Tal 50 (Isartor) bis 8.September | Mo, Di, Do 11.01–17.29 Uhr, Fr–So 11.01–17.59 Uhr | Tickets: 089 22 32 66

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