Die Schauspielerin und Sängerin Barbara Sukowa ist weltweit eine Filmautorität. Ein Gespräch über ihre Rolle im Liebesdrama »Wir beide«.
Barbara Sukowa: »Normal« ist da noch gar nichts!
»La terra, la terra, la terra sarà senza frontiere« (deutsch: »Auf der Erde wird es eines Tages keine Grenzen mehr geben«) heißt es hoffnungsvoll im Refrain von Betty Curtis bekanntem Schlager von 1963, der »Wir beide« musikalisch wie inhaltlich umrahmt. Wie »normal« ist Ihrer Meinung nach der Umgang mit lesbischer Liebe inzwischen im öffentlichen Diskus? Und wie sehr unterscheidet sich diese Debatte im deutschen wie im amerikanischen Kontext? Sie leben schließlich bereits seit den frühen 1990ern in Brooklyn.
Barbara Sukowa: Man kann diese Diskussion nicht im Sinne von Deutschland vs. Amerika führen, sondern muss sie vielmehr in puncto Stadt- versus Landbevölkerung betrachten. »Wir beide« spielt schließlich in der französischen Provinz. Die Handlung des Films würde man in einer Metropole wie New York sicherlich ganz anders erzählen, wobei das dort zu spielen für mich sicherlich auch sehr reizvoll wäre. Nur eben ganz anders. Im Kern hat diese Debatte oft mit Familiengeheimnissen zu tun, so wie es sie auch in Meneghettis Film gibt. Wie das eigene familiäre Umfeld dagegen in der Wirklichkeit reagieren würde, kann man zwar trotz aller Offenheit vorher sowieso nie sagen, weil es einen dann einerseits selber betrifft und zum anderen die Debatte generell noch nicht zu Ende geführt wurde.
Die von Ihnen und Martine Chevallier intensiv gespielte Liebe zwischen zwei älteren Frauen steckt nicht nur voller dunkler Geheimnisse, sondern sie findet lange Zeit nur im Verborgenen statt. Wie blicken Sie selbst als nicht homosexuelle Frau und dreifache Mutter mit Enkelkindern auf diese ungleiche Liebeskonstellation? Was hat Sie an dieser Rolle gereizt und wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Im Prinzip habe ich es genauso gemacht, wie Sie es gerade gesagt haben (lacht). Ich habe natürlich zuerst meine lesbischen Freundinnen nach ihren Erfahrungen gefragt, wobei es gerade in der Kulturszene von Haus aus viel durchmischter ist als anderswo. Zugleich denke ich, dass diese Liebesgeschichte grundsätzlich viel universeller ist, auch wenn es im Kern natürlich um eine lesbische Beziehung geht. Denn Geheimnisse und Lügen gibt es in jeder Paarbeziehung, und so könnte diese Geschichte natürlich genauso gut zwischen zwei homosexuellen Männern oder in einer anderen Konstellation spielen. Ich bin ja im Theater groß geworden: mit all den Tänzern, Kostümbildnern und Requisiteuren, und habe selbstverständlich auch im meinem New Yorker Umfeld viele homosexuelle Freunde. Im Falle meiner Filmfigur hat mich gerade ihre Komplexität gereizt sowie die surrealen Elemente des Plots, von denen mir Filippo Meneghetti bereits bei unserem ersten Treffen erzählt hatte. Er ist ja noch recht jung, selbst heterosexuell, und »Wir beide« ist überhaupt sein erster Langfilm. Das kann dann in alle Richtungen gehen, was ich sehr mag.
Trotz vereinzelter Beispiele von Künstlern und Politikern in der Vergangenheit bleibt ein Outing sowie ein gewisses Pochen auf »Normalität« in der Öffentlichkeit weiterhin oft ein Tabu. Wie sehen Sie das als halbe Amerikanerin?
»Normal« ist da noch gar nichts! Erst recht nicht abseits der Großstädte. Denken Sie zum Beispiel an den Politiker Pete Buttigieg in den USA. Der hatte sich zwar zunächst überraschenderweise gegen seine demokratischen Konkurrenten Joe Biden und Bernie Sanders durchgesetzt, musste dafür aber vor allem die Landbevölkerung in Iowa für sich gewinnen, was sicherlich nicht einfach war. Denn ein offen schwul lebender Präsidentschaftskandidat ist für viele in meiner Heimat immer noch ein massives Problem. Da heißt es schnell: Das ist abartig, was ich absolut widerlich finde. Und natürlich wäre das in einigen Teilen der muslimischen Welt, in der es viele Fundamentalisten gibt, nicht anders. Dort wird homosexuelle Liebe gesellschaftlich meistens überhaupt nicht akzeptiert.
Zumindest in der Welt des Kinos ist man da schon ein Stück weiter: Ein Film wie »Blau ist eine warme Farbe« konnte die Goldene Palme in Cannes gewinnen, wo im letzten Jahr auch Céline Sciammas »Porträt einer jungen Frau in Flammen« für Furore sorgte.
Wobei das sicherlich mit den jungen attraktiven Frauen im Film zu tun hat. Das hat für manche männliche Zuschauer einen zusätzlichen erotischen Effekt, im Gegensatz zu unserem Film, wo es zum ersten Mal bewusst um zwei ältere Frauen geht. Und da gibt es das ja wahrscheinlich nicht (lacht). Obwohl wir auf der Leinwand auch miteinander ins Bett gehen, handelt »Wir beide« in erster Linie von Liebe und Begierde zwischen zwei Frauen jenseits der 60 und weniger von Erotik.
Sie sind inzwischen 70 Jahre alt geworden und künstlerisch weiterhin sehr vielseitig unterwegs: Sie haben fremde Menschen in der New Yorker Subway fotografiert und zuletzt eine Hauptrolle in der amerikanischen Science Fiction-Serie »12 Monkeys« gespielt. Im deutschen Film sind Sie für »Enkel für Anfänger« und »Rocca verändert die Welt« sogar ins Komödienfach und Kinderfilmgenre gewechselt. Von Ruhestand keine Spur. Was soll jetzt noch kommen? Wieder einmal Theater, eine Musikproduktion, eine Zusammenarbeit mit Ihrem Mann Robert Longo oder ein Wechsel ins Regiefach?
Alles ist möglich! Das mache ich schon mein ganzes Leben lang so. Deshalb gehe ich auch mit diesem runden Geburtstag ganz entspannt um. Das meiste was ich in meinem Künstlerleben gemacht habe, ist mir im Rückblick fast immer von anderen zugetragen worden wie zum Beispiel das Singen. Inzwischen würde ich tatsächlich selber gerne einmal einen Film machen. Trotzdem war ich noch nie ein Fan all dieser Masterpläne oder Karrierestrategien, wie das im heutigen Berufsleben üblich ist. Ich kann heute meinen Kindern in diesem Bereich nie wirklich weiterhelfen. Es freut mich aber, dass alle ihren Weg gefunden haben. So habe ich nun extra viel Zeit für mich. Das schätze ich, weil ich mir jetzt die Welt weiter ansehen kann. Zuletzt war ich zum Beispiel auf Bali, Sumatra und im Himalaya. Es gibt also immer noch viel zu entdecken. Zu Hause gehe ich das Altern genauso offensiv an. Ich habe da zum Beispiel vor Kurzem mein Badezimmer neu machen lassen: im dritten Stock. Und da soll es auch bleiben! Genauso wie mein Schlafzimmer, obwohl das meine Freunde überhaupt nicht verstehen. Ich sage ihnen aber: Bis jetzt quietschen meine Knochen noch nicht, und müssen tue ich eh gar nichts! (lacht) ||
WIR BEIDE
Frankreich, Luxemburg, Belgien 2019 | Regie: Filippo Meneghetti | Mit: Barbara Sukowa, Martine Chevallier, Léa Drucker | 96 Minuten
Kinostart: 6. August
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