Georg Büttel inszeniert Hofmannsthals »Jedermann« im Hofspielhaus als Livehörspiel.

Jedermann stirbt für sich allein

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Diana Marie Müller, Markus Böker und David Hang (v.l.) in »Jedermann« | © Chris Hirschhäuser

Beim »Jedermann«, Hugo von Hofmannsthals berühmtem »Spiel vom Sterben des reichen Mannes«, denkt man an Salzburg, an den Domplatz, an Menschenmassen und Opulenz. Dass es auch anders geht, das wollte das Hofspielhaus in diesem Sommer zeigen: »Ich hatte mit Christiane Brammer den wagemutigen Plan entwickelt, eine ›Jedermann‹- Fassung für zwei bis drei Darsteller*innen zu konzipieren«, erzählt Regisseur Georg Büttel. »Ein Jedermann, eine Buhlschaft und ein Tod, wobei letztere auch die weiteren Rollen übernehmen. Wir haben auch ein tolles Team gefunden mit Markus Böker, Diana Müller und David Hang. Wir dachten an sekundenschnelles Switchen zwischen den Rollen, aneinander Rumklettern und Aktionen mitten im Publikum.« Das war der Plan. Dann kam Corona. Und selbst das ohnehin reduzierte Konzept war auf einmal viel zu groß und nah.

Unterkriegen lassen wollte sich Büttel aber nicht: »Hier ist keiner Verschwörungstheoretiker, wir haben die medizinischen Notwendigkeiten zur Kenntnis genommen – aber uns war immer klar: Sobald es wieder möglich ist, wollen wir wieder Theater als Live-Erlebnis zeigen. Denn was nun so online geschah, war zwar mitunter spannend, aber doch immer nur eine Notlösung und kein Vergleich zum Spielen vor wirklichem Publikum.« Gemeinsam mit Christiane Brammer, der Leiterin des Theaters, überlegte er also Perspektiven in einer diffusen Lage. Klar war: Es würde etwas wirklich anderes werden. Nur ein Drittel der eigentlichen Plätze können angeboten werden. Hautnah miteinander agieren, durcheinander und durch das Publikum wirbeln, das war natürlich nicht mehr denkbar. Auch so zu tun, als wäre das unter Hygienevorschriften Gezeigte eine ganz normale Theatervorstellung, war keine Option.

»Also haben wir uns auf das Genre des Livehörspiels besonnen, machen nun quasi ein Hofhörspiel. Die Darsteller*innen haben feste Stationen, es wird nun im Prinzip eine Lesung mit Soundeffekten, bei denen wir das Publikum einbeziehen können«, so Büttel. »So wird es bei Jedermanns großem Fest animiert, sich mit Gläsern und Flaschen am Platz zu beteiligen und eine Geräuschkulisse zu erzeugen.« Und er fand heraus: Die Andeutung dessen, was szenisch möglich wäre, kann auch spannend sein. »Das ist dann ein bisschen wie bei konzertanten Opernaufführungen: Ich spiele meine Geliebte an, auch wenn die am anderen Ende des Hofs steht. Man muss das dann einfach konsequent denken und sich der Situation stellen, darf nicht sagen, ach wie schade, dass das oder das nicht möglich ist.« Außerdem sei es auch gar nicht so schlecht, bei einem Text mit »so viel Substanz mal alle barocke Überladung beiseite zu lassen und 100 Prozent im Text zu sein«. Büttel kennt das Stück gut, früher war er bei den Festspielen in Schwäbisch-Hall tätig, wo er ihn schon mal parodiert hat. Seitdem trägt er ein paar Grundideen dazu mit sich herum. Wenn der Regisseur Texte adaptiert, möchte er sein gedankliches Gerüst sichtbar machen, dem Text in seiner Vielschichtigkeit Raum geben, aber auch eine lebendige Spielsituation mit vielen virtuosen Rollenwechseln schaffen.

Der »Jedermann« hat gerade eine besondere Aktualität gewonnen, denkt Büttel: Einerseits sei er eine handfeste Kapitalismuskritik, stelle die Frage, wohin uns dieser führt. »Jedermann hat einen Finanzkreislauf benutzt und von ihm profitiert, ist aber nicht mehr Herr der Angelegenheit. Das gerät oft in barocker Opulenz in den Hintergrund, aber die Kritik an unserem Finanzsystem ist in ihrer Schärfe nur noch treffender geworden.« Noch brisanter aber ist in diesen Tagen »die Isolation des einzelnen Menschen, der getrennt ist von allem, was ihm lieb und teuer ist«, so Büttel. »Dieses einsame Sterben ist ein Thema der Stunde: Wie ist es, wenn du auf der Intensivstation oder im Altersheim liegst und dich niemand besuchen kann? Wie komme ich allein mit meinen letzten Lebensstunden zurecht? Das ist von jetzt auf gleich brennend aktuell geworden.« So ist der »Jedermann« nicht auf eine christliche Geschichte zu reduzieren, er stellt vielmehr allgemein menschliche Grundfragen. ||

JEDERMANN
Hofspielhaus | Falkenturmstr. 8 | 31. Juli, 1., 7. August | 20 Uhr | Tickets: 089 24209333

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