Der lange geplante Konzertsaal für Klassikfreunde steht plötzlich wieder im Zentrum einer hitzigen Debatte.
Konzertsaal München: Tristesse am Bauzaun
Corona kostet Nerven. Und Geld. Noch ist vor den ersten Steuer-(Ausfall-)Schätzungen und Kassenstürzen noch gar nicht abzusehen, wie groß die von der Krise gerissenen Löcher konkret sein werden. Und doch haben die Verteilungskämpfe am Abgrund längst eingesetzt. Besonders trübe sieht es aktuell im Werksviertel aus, wo das Riesenrad einen bangen Blick über die Brachfläche erlaubt. Von oben schaut man über den Bauzaun – in ein Nichts. Frühestens im Jahr 2025 soll sich dort bekanntlich der neue Münchner Konzertsaal für die ortsansässigen Orchester mit Weltruhmanspruch – allen voran das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – als lichtdurchfluteter Kubus in die Ostbahnhof-Lüfte erheben. Den entsprechenden Architekturwettbewerb hatten, wie im Oktober 2018 offiziell wurde, die Bregenzer Architekten Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm gewonnen. Der Zuschlag für die Akustikausgestaltung ging an den weltweit anerkannten Experten Tateo Nakajima, der in der Fachwelt vor allem für seine »Nachhallkammern« geschätzt wird.
Soweit die Planung. Dass es auf dem Gelände eines hoffentlich nicht mehr ganz fernen Tages zum Spatenstich kommen würde, stand längst fest. Immerhin trocknet seit Ende 2015 die Tinte auf einem Erbpachtvertrag zwischen dem Grundstückseigentümer Werner Eckart und dem Freistaat. Doch dann kam Corona und neue wie alte Baugrubenkämpfe flammten wieder auf. Den Anstoß gab der ehemalige CSU-Justizminister Winfried Bausback, der Mitglied im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst im Landtag ist. Angesichts der zu erwartenden hohen Kosten für die Corona Bewältigung steht das einstige Prestigeprojekt, das unter dem Ministerpräsidenten Horst Seehofer verabschiedet wurde, nun wieder auf der Debattenliste. Und die Aussichten für den »Leuchtturm« verdüstern sich täglich. Kurios dabei: Bausback saß ja einst selbst im sogenannten Seehofer-II-Kabinett. »Der Freistaat Bayern und Deutschland insgesamt nehmen hohe neue Schulden auf, damit unsere Gesellschaft möglichst gut durch die Krise kommt. Aber Schulden müssen irgendwann einmal zurückgezahlt werden, und in der Krise ist es wichtig, mit allen Geldern – geliehen oder regulär vereinnahmt – die richtigen Schwerpunkte zu setzen«, sagt Bausback nun auf Nachfrage des »Münchner Feuilletons«. »Deshalb müssen Projekte, die in einem frühen Stadium sind, auf die Schwerpunktsetzung und ihre Durchführbarkeit in der konkreten aktuellen Situation neu bewertet werden. Dazu gehört meines Erachtens auch das geplante Konzerthaus in München mit seinem hohen Kostenbedarf. Gegebenenfalls muss hier, was Umfang und zeitliche Perspektive angeht, in der Tat neu gedacht werden.«
Ein bisschen schieben
Doch beim »Neu-Denken« für ein Projekt, das bereits seit rund zwei Jahrzehnten nicht nur in Expertenkreisen hin- und hergewälzt wird, dürfte es allem Anschein nach nicht bleiben. Immerhin werden die zu erwartenden Baukosten jetzt schon gegen die vielen anderen Forderungen gehalten, die den Erhalt der viel beschworenen kulturellen Vielfalt im Freistaat zumindest in Ansätzen gewährleisten sollen. Was genau der Konzertsaal kosten wird, steht in den Münchner Sternen. Zuletzt stand konkret die Zahl 370 Millionen Euro im Raum, bis Ministerpräsident Markus Söder Anfang des Jahres von deutlich höheren Ausgaben sprach, ohne diese jedoch damals beziffern zu wollen. Nun zeichnet sich Gefeilsche ab. »Kulturelle Leuchttürme stehen einer Landeshauptstadt zwar grundsätzlich gut zu Gesicht. Wenn es aber um die Frage geht, ob ein neuer Leuchtturm geschaffen wird, gilt, dass der Erhalt der Leuchtkraft des Kulturstaates Bayern und bestehender herausragender Einrichtungen Vorrang genießt. Dies ist bei der Schwerpunktsetzung in der Krise zu berücksichtigen«, meint Bausback weiter. Und er folgert für den Münchner Konzertsaal forsch: »Bevor man faule Kompromisse macht, sollte man auch über eine Verschiebung nachdenken.«
Einen Hebel haben die Verantwortlichen ohnehin aktuell in der Hand: Bis Mitte des Jahres soll eine Machbarkeitsstudie vorliegen. Der muss dann zu entnehmen sein, was von den einst hochfliegenden Plänen für den leuchtenden Konzertsaalbau überhaupt noch bleiben werden. Und welche der ursprünglich geplanten drei Säle bleiben werden, fürs große Orchesterpublikum, für kleinere Ensembles und als Werkstatt für Experimentelles. Wahrscheinlichstes Szenario: Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. »Welche der Planungsvarianten dann diesen Anforderungen entspricht, werden die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zeigen«, sagt Robert Brannekämper, ebenfalls CSU Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Wissenschafts- und Kulturausschusses, dem »Münchner Feuilleton«. »Der verantwortliche und sparsame Umgang mit Steuermitteln muss dabei immer im Blick gehalten werden.« Ergebnisoffenes Denken? Hört sich anders an!
Beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das lange am stärksten auf einen möglichst raschen Baubeginn gehofft hatte, bleibt man derzeit noch ostentativ gelassen. »Dass insbesondere in schwierigen Zeiten neue Großprojekte kritisch diskutiert werden, überrascht erst mal nicht«, heißt es im Büro des Orchestermanagers Nikolaus Pont. »Wir haben aber keine Signale, dass die Planung für das neue Konzerthaus
grundsätzlich in Frage gestellt wird.« Gut möglich, dass man beim BR das Aufziehen der Gewitterwolken nicht wahrhaben möchte, solange sich diese Sicht halten lässt. Denn die aufgefrischte Debatte rund um den Werksviertel-Konzertsaal zeigt eben auch: Schon vor Corona hatte es der Konzertsaal, dessen Planungen eigentlich längst zementiert sind, meist schwer. »Die Corona-Kulturkrise ist nun willkommener Sündenbock,
um zu begraben, was in der aktuellen Legislaturperiode bei der Söder-Regierung offenbar noch nie Freunde hatte«, sagt Sanne Kurz, Landtagsabgeordnete der Grünen, ebenfalls Mitglied des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst und zudem auch Rundfunkrätin des BR.
Symbolisches und Sinnvolles
Ihr kommt es – vorsichtig gesprochen – zumindest verdächtig vor, dass unter Corona-Vorzeichen nun Debatten weitergeführt würden, die eigentlich nicht neu sind. So hatte sie schon im Januar überrascht, als Ministerpräsident Markus Söder die erwähnte Machbarkeitsstudie wie beiläufig ins Spiel brachte – »als ob es normal wäre, wenn man vier Jahre nach Beschluss zu einem Bauprojekt und nachdem bereits knapp acht Millionen ausgegeben wurden, noch mal schaut, ob es denn überhaupt machbar ist, so ein Konzerthaus«, so Sanne Kurz heute. Dass sie selbst trotzdem auch gerne umverteilen möchte, ist aber mehr als deutlich. »Meiner Meinung nach braucht es Raum für Kultur gerade in der Krise. Aber muss alles immer gleich das Größte und Tollste sein? Reicht uns nicht auch einfach nur ›sehr gut‹?«, so Kurz. »Braucht es den weltbesten Akustiker, die größte Orgel? Ich halte das für fragwürdig, gerade, wenn dafür Breitenwirkung – wie zum Beispiel die Werkstattbühne – wegfiele.«
Was Kurz fordert, klingt griffig, könnte aber noch einmal den Einstieg in eine komplette Umplanungsarie des umstrittenen Konzertsaals enden. Damit meine ich nicht, einen schmucklosen Zweckbau mit akustischen Qualitäten einer Turnhalle hinzustellen. Aber ein gesundes Mittelmaß hat noch niemandem geschadet«, sagt Sanne Kurz. »Krisen können reinigende Kraft entwickeln«, lautet ihr Fazit. Über den Konzertsaal darf und muss wohl wieder diskutiert werden. Und es passiert bereits abseits der großen Gesten. Allerdings ist zu befürchten, dass Hoch- gegen Breitenkultur sowie die Symbolkraft eines zukunftsweisenden »Leuchtturms« und die Wirkungsmacht einer beherzten Sparmaßnahme gegeneinander ausgespielt werden. Was im schlimmsten Fall bleibt, ist Tristesse am Bauzaun. Und trotz allem keine wirkliche Hilfe für niemanden – von Parteienzank abgesehen. Es bliebe dann nur Stillstand und Frust für die aktuell existenziell gebeutelten Kulturschaffenden und ihr trotz allem treues Publikum. Es bleibt ungemütlich im Werksviertel auf der Baustelle des Prestigeobjekts. ||
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