Der coronabedingte Shutdown trifft freie Künstler besonders hart, weil sie ökonomisch meist ohnehin schon am Limit operieren. Warum also nicht von ihnen lernen, wie das geht? Eine Serie: Numero 3 – Die Ballettrucksackträgerin Claudia Senoner.

Claudia Senoner: Die Freiheit, sich immer neu zu erfinden

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Claudia Senoner | © Frank Post

Allmählich hat sich unsere kleine Serie erschöpft. So etwas geht in diesen Tagen schnell. Der Shutdown ist vorbei, die Bühnen füllen sich wieder, wenn auch fürs erste nur spärlich. Doch die Einzelfälle, die wir hinter dem nivellierenden Schleier der Corona-Krise hervorholen und plastisch machen wollten, haben schon jetzt gezeigt, dass das (künstlerische) Überleben auch in pandemischen Zeiten viele Gesichter hat. Diesmal schauen wir in das der Performerin und Choreografin Claudia Senoner, die am 18. und 19. Juli gemeinsam mit dem Musiker Mark Lorenz Kysela drei Kurzstücke ins Schwere Reiter bringt.

»Mmmooz« heißt der Abend, rekurrierend auf ein Solo Senoners, das sie als »Zzzoom« in Stuttgart gezeigt hat, wo die gebürtige Münchnerin und hiesige Förderpreisträgerin Tanz seit acht Jahren lebt. Der Ursprungs-Titel, bei dem man heute unwillkürlich an Zoom-Konferenzen und -Performances denkt, hat mit den Lautmalereien in Comics zu tun; der Tanz mit Spannungszuständen im Körper, die Senoner derzeit mit den
Methoden der Alexander-Technik erkundet und zu lösen versucht. Das Kurzstück »Rücksturz in Formalhaut« ist ein schon etwas älteres, als »Duett für zwei Außerirdische und Nebel« firmierendes Rollentausch-Experiment: »Ich versuche mich an der Gitarre und Mark an der Bewegung«, erklärt Senoner, »und es wird lauter, emotionaler und weniger formal als das, was wir sonst so machen.« Der dritte Mosaikstein ist das eigens für diesen Abend konzipierte Zwischenspiel »Aufrechter Gang für 2«, in dem ein live getanztes Duett mit einem filmischen Auszug aus der 2010 zum Rodeo-Festival eingeladenen »Suite mit Vogel« kommuniziert. Hätte das Ganze wie ursprünglich vorgesehen im März stattgefunden, wäre noch ein viertes Stück dabei gewesen und Sononer und Kysela hätten wohl alle vier hintereinander gereiht. Warum sie nun stattdessen wild an einer »Variation über die drei Stücke« und der Auflösung ihrer Konturen basteln, weiß Senoner selbst nicht so genau. Das habe wohl mit der Freiheit zu tun, die man sich in diesen Zeiten wenigstens in Bezug auf die eigene Arbeit nicht nehmen lassen will.

Und mit Freiheiten kennt Senoner sich aus. Gerade weil ihr die Liebe zu ihrem Beruf so teuer ist, dass sie sie nicht schal werden lassen will, genehmigt sie sich alle sechs bis sieben Jahre eine Pause von der jährlichen Antragschreiberei. Und weil es jetzt zufällig gerade wieder so weit war, hat sie der Shutdown viel weniger hart getroffen als andere. Pausen dienen Claudia Senoner zum Atemholen, aber auch ihrer Neuerfindung. Das war so nach ihrer Ausbildung am Münchner Staatsballett, als sie an einigen Theatern tanzte und schließlich zu choreografieren begann. Das war so, als sie den zeitgenössischen Tanz entdeckte und schließlich als freie Choreografin unter dem Label LOOP-tanzperformance in Nürnberg, dann vor allem in München arbeitete, während sie parallel bei Coac in Stuttgart tanzte. Lange hat Senoner daneben in kleinen Projekten mit zeitgenössischen Musikern immer minimalistischere Bewegungsforschungen betrieben. Aber das ist jetzt durch: »Das habe ich zehn Jahre lang praktiziert. Ich kann nicht mehr.«

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Claudia Senoner | © Frank Post

Auch, um wieder zu neuen, größeren Bewegungen zukommen, ist Senoner der Stuttgarter Impro-Gruppe Instant PIG beigetreten, die einmal im Monat vor Publikum Choreografien zeigen, die im Moment entstehen, bei denen die zwischen drei und acht Performer unglaublich genau aufeinander achten müssen. Und auch auf sich selbst: »Wir fangen nicht einfach an rumzuhampeln«, erklärt Senoner, »sondern müssen schauen, wo im Körper was passiert. Das Ziel ist, die Bewegung kommen zu lassen, ohne sie bewusst zu forcieren. Dafür muss ich, wenn ich meinen Kopf bewege, auch spüren, was mein kleiner Zeh macht.« Man sieht Senoners Bewegungen diese umfassende Bewusstheit an. Dieses »Ganzkörpergefühl«, wie sie es nennt, das sie auch ihren Schülern beizubringen versucht. Denn ihre Miete bezahlt das Unterrichten – derzeit vor allem an der privaten New York City Dance School in Stuttgart und an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg, wo sie angehenden Tänzern, Kindern und Schauspielschülern Ballett, Impro-Techniken und Körperarbeit beibringt. Auch deshalb, sagt Senoner, »führe ich ein ziemlich anstrengendes Leben. Dauernd unterwegs zwischen Studio und Studio, fällt es oft schwer, dazwischen noch schnell kreativ zu sein.«

Die Fahrten sind während des Shutdowns weggefallen, wobei sich Senoners finanzielle Einbußen in Grenzen hielten, weil sich ihre Auftraggeber schnell Online-Alternativen überlegt hatten. Kein Ballett natürlich, von dem sich für sie immer noch ein roter Faden zieht zu allem, was sie heute macht. »Ich komme total vom klassischen Ballett und habe es immer in meinem Rucksack dabei« – und damit wohl auch die Disziplin, die sich selbst in dieser sehr eigenen Form der Selbstfürsorge zeigt, mit der sie immer wieder fragt: Was muss ich ändern? Was brauche ich jetzt? Gerade nimmt sie Kurs auf den Text, ein wenig zu ihrer eigenen Überraschung: »Vor 15 bis 20 Jahren habe ich meinen Mund nicht aufgebracht auf der Bühne. Etwas zu sagen war die Hölle.« Jetzt hat die inzwischen 56-Jährige das Gefühl, Sprechen könne sie bereichern und vielleicht auch noch in zehn Jahren funktionieren, wenn es eng wird mit dem Tanzen. Die Pause, sagt sie, habe auch die Lust aufs Unterrichten wieder gefördert und darauf, ein neues Solo zu machen – »um beim Forschen noch etwas bei mir zu bleiben«.

Und vielleicht wäre es nach sechs, sieben Jahren auch mal wieder an der Zeit, für jemand anderen zu choreografieren. Sie hat dafür auch schon eine ehemalige Schülerin im Blick, »die super improvisiert, eine tolle Energie hat und vor allem nicht diese typische Tänzer-Attitüde, die mir auf den Wecker geht. Ich kann nicht arbeiten mit jemandem, mit dem ich ständig kämpfen muss. Ich brauche eine gute Atmosphäre und Leute, die die auch brauchen.« Das ist wohl einer der Gründe für Claudia Senoners in der Regel sehr lange Arbeitsbeziehungen. Mit dem Choreografen Fabian Chyle arbeitet sie seit 2001, mit Mark Kysela etwa ebenso lang zusammen. Und seit 40 Bühnenjahren arrangiert sie sich immer wieder neu mit sich selbst. ||

MMMOOZ
Schwere Reiter | Dachauer Straße 114 | 18./19. Juli | 20.30 Uhr
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