Alles ist anders, irgendwie. Aber auch die Münchner Philharmoniker trotzen dem Stillstand auf vielfältige Weise.
Münchner Philharmoniker: Philharmonische Alternativen
Am 11. Juli hätte das Saisonfinale mit »Klassik am Odeonsplatz« angestanden, Valery Gergiev sollte dirigieren, Klaviervirtuosin Hélène Grimaud den Solopart übernehmen. Doch im März war mit der Corona-Zäsur auch für die Münchner Philharmoniker die Saison plötzlich zu Ende, die 122. seit ihrer Gründung, und wann eine Wiederaufnahme des Konzertbetriebs in voller Besetzung möglich wird, steht in den Sternen. Unter anderem fielen die verheißungsvollen philharmonischen Debüts der Dirigentinnen Karina Canellakis und Oksana Lyniv ins Wasser.
Letztlich dann aber doch nicht ganz, denn seit der offiziellen Erlaubnis, wieder in kleiner Besetzung – freilich ohne großes Publikum – gemeinsam auf die Bühne zu dürfen, hat sich das Orchester das Format #MPhilWeekend ausgedacht: Die überdimensionierte Gasteig-Philharmonie erwies sich dabei einmal als Vorteil, bietet sie doch dem reduzierten Ensemble auf dem Podium genug Platz, den geforderten Abstand zu wahren. So machte man aus der Not eine Tugend und improvisierte bis zur Sommerpause Anfang Juli acht Konzerte – falls alles geklappt hat, die letzten waren nach Redaktionsschluss angesetzt. An den vergangenen Wochenenden waren sie als Videoproduktion auf der Website gratis zu bestaunen und wurden auf BR Klassik übertragen, Lyniv (mit einem Mozart-Silvestrov-Haydn-Programm) und Canellakis (mit »Shaker Loops« von John Adams und Beethovens Vierter) inklusive. Auch Chefdirigent Gergiev kam für zwei Programme wieder nach München. Für die Musiker waren diese acht Auftritte wie frische Luft zum Atmen, keine Frage, auch wenn sich beim Zuschauen die traurige Assoziation zu den Geisterspielen der Bundesliga aufdrängt.
Zuvor waren die auf einmal »arbeitslosen« Orchestermitglieder dem Aufruf des Oberbürgermeisters gefolgt und für die Stadt aktiv geworden: im Sozial- und im Umweltreferat, in der Telefonzentrale der Feuerwehr, im Logistikzentrum für Corona-Masken, im Telefondienst für Abonnenten, als Performancekünstler im Streamingformat #MPhilDahoam. Alles sinnvoll und ehrenwert, aber wie plant man weiter, angesichts der allgemeinen Misere? Das Programm der Spielzeit 2020/21 liegt seit Februar vor. Managementdirektor Christian Beuke bekräftigt auf Nachfrage das ambitionierte Ziel, ab Saisonstart im September sämtliche Termine zu halten, und zwarmit den vorgesehenen Künstlern. Programmanpassungen wird es selbstverständlich geben, denn Orffs »Carmina Burana« (September), Janáčeks »Glagolitische Messe« (Januar 2021) oder das Verdi-Requiem (Mai) sind wegen ihres Riesenapparats zurzeit undenkbar. Also müssen Alternativen her, kleinere Besetzungen, Repertoireerweiterungen auch in die Vergangenheit. Überhaupt werde man aus einem Orchester zwei machen, sagt Beuke, für alle (Quarantäne-) Fälle, und plane immer zwei zeitversetzte Aufführungen, um mehr Publikum zu erreichen.
Fortschritte machen unterdessen die Bauarbeiten für das Gasteig-Ausweichquartier in Sendling; das müssen sie auch, wenn der große Umzug wie geplant im Herbst 2021 stattfinden soll. Und solange es keine ganz großen Liveauftritte geben kann, darf sich das Publikum nach wie vor mit alten und neueren Konzertmitschnitten trösten. Gerade ist einer aus dem Jahr 1986 erschienen: Sergiu Celibidaches faszinierende Aufführung der »Symphonie fantastique«. Selten hat man Hector Berlioz’ egomanes Meisterwerk so plastisch und subtil musiziert gehört. Die hauseigene CD-Reihe wird fortgesetzt, bestätigt Beuke, und bald soll auch Valery Gergievs Zyklus der Bruckner-Symphonien aus St. Florian komplett vorliegen, neben der CD- parallel als DVD-Edition.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte Gergiev sich Bruckners Riesenwerke immer überzeugender erschließen. Die Fünfte, Sechste und Siebte könnten das bestätigen, trotz der heiklen Akustik des Kirchenraums. Doch zuvor erscheint noch Anfang Juli eine DVD (Unitel): das Barcelona-Gastspiel von 2019 mit Mahlers Zweiter unter Gustavo Dudamel. ||
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