In seinem aktuellen Spielfilm interpretiert Christian Petzold den Undine-Mythos neu. Jetzt spricht der Regisseur über Kinosehnsucht und Corona, über Hitchcock und James Bond, und über klares, uneitles Filmemachen.
Undine: »Männer leben, Frauen überleben«
Nach der wunderbaren Premiere Ihres neuen Films auf der Berlinale, wo »Undine« mit dem Preis der Internationalen Filmkritik und Paula Beer als beste Hauptdarstellerin prämiert wurden, hätte eigentlich am 26. März der Kinostart folgen sollen. Doch dann kam Corona. Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?
Ich bin genauso untergegangen wie der Film in dieser Zeit. Denn ich hatte mir in Paris bei den Pressetagen für den französischen Start von »Undine« das Virus eingefangen und lag im Anschluss hier in Deutschland zweieinhalb Wochen im Bett. Damals dachte ich nicht unbedingt an den Kinostart. Ich hatte nur so ein bisschen das Gefühl, dass der Film sich wie »Undine« unter Wasser begeben hatte und wie seine Protagonistin schon wieder auftauchen würde.
Das heißt, Ihr Optimismus war ungebrochen?
Den habe ich nie verloren. Ich war ja nicht alleine betroffen. Corona ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Für viele Menschen liegen die Perspektiven momentan im Dunkeln. Und wenn man rumjammern würde, dann wäre das nicht anständig gegenüber denjenigen, denen es noch viel schlechter geht. Ich persönlich habe aus 100 Jahren Filmgeschichte gelernt, dass Kino immer der Ort ist, an dem sich eine Gesellschaft nach einer Krise befragt: Wer sind wir, was machen wir hier eigentlich und wie soll es weitergehen? Der italienische Neorealismus war ja auch eine Reaktion auf Faschismus und Krieg und hat sein Land neu betrachtet. Und vielleicht ist Kino der Ort, wo man diese Blicke wieder gemeinsam teilen kann.
Wenn man diese nur wieder füllen könnte! Denn Kino steht ja auch für Emotion, Umarmung, Berührung, Mitfiebern. Aber das ist derzeit wegen der strengen Corona-Regeln nicht möglich.
Dazu fallen mir zwei Dinge ein: Zum einen finde ich, dass die Sehnsucht nach der Umarmung fast so schön ist wie die Umarmung selbst. Denn wenn die Sehnsucht erhalten bleibt, sind wir gerettet. Zum anderen genieße ich Kino noch mehr, wenn der Platz vor mir nicht besetzt ist, weil ich dann einen freien Blick auf die Leinwand habe.
Das kennen auch Journalisten, da bei den sogenannten Pressevorführungen nur wenige Menschen anwesend sind.
In meiner Zeit als Student habe ich Filmkritiken geschrieben. Da gab es auch diese Pressevorführungen. Aber manchmal hätte ich die Filme lieber bei einer öffentlichen Premiere gesehen, weil bei diesen Journalisten-Veranstaltungen immer so eine seltsame Atmosphäre herrschte. Da fehlte eben die Umarmung, die Emotion.
Kritiker zeigen nun mal keine Gefühle … Aber was bedeutet Kino für Sie persönlich?
Für mich ist es einer der wichtigsten Orte. Ich lebe nicht in Berlin, weil hier das Brandenburger Tor steht, sondern weil es dort so viele Kinos gibt. Abends um acht noch ein kleines Abendessen einzunehmen und zu wissen, dass man danach noch in irgendein Kino gehen kann, ist ein wunderbares Gefühl.
Leider ist die Kinokultur in München längst nicht so ausgeprägt wie in Berlin.
Ich habe in München drei »Polizeirufe« gedreht und in dieser Zeit hier gewohnt. Und es sind tatsächlich viele Kinos, die ich
in den 1970er Jahren schätzen gelernt habe, verschwunden. Aber die Stadt selbst besitzt eine große Kinosehnsucht, die langsam wieder erfüllt wird.
UNDINE
Deutschland, Frankreich 2020 | Buch & Regie: Christian Petzold
Mit: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree
Länge: 90 Minuten | Kinostart: 2. Juli
Die Fortsetzung des Interviews folgt. Den kompletten Text gibt es ab Samstag, den 4. Juli, in der aktuellen Ausgabe:
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