Ein kleines, buntes Buch über die deutsch-britische Gruppe Gob Squad bringt einem die Performer und vor allem ihre Strategien näher.

Gob Squad: Die Mühen der kollektiven Ebenen

gob squad

Gob Squad 2013 | © Garrett Davis/Capture Imaging aus »Gob Squad: What are you looking at?«, Alexander Verlag

Die Anekdote ist wunderbar 90er-Jahre-like: Ein paar britische Theaterstudenten wollen gratis zu einem Festival und tarnen sich als Band. Und irgendwo auf der Fahrt von Nottingham nach Glastonbury finden sie ihren Namen: Gob Squad – was etwas wie »Maulkommando« oder »Rotztrupp« heißt und witzigerweise schon zwei Grundmerkmale der freien Theatergruppe abdeckt, die zu den prägendsten der letzten 25 Jahre gehört und gerade mit dem Tabori-Preis geehrt wurde: das unverstellte Mundwerk mit Hang zum Ausplaudern intimer Details und ihre Arbeit als Kollektiv.

Mit 144 Seiten über Gob Squad geht eine neue Buchreihe der Kunststiftung NRW in Serie. »What are you looking at? Postdramatisches Theater in Portraits« heißt sie, wendet sich an ein breites Publikum und ist deshalb statt auf akademisches Gewicht auf die Nähe zu den Porträtierten aus. So ist denn auch Band eins flockig leicht und schnell gelesen. Viele der Fotos wirken wie Schnappschüsse eines langjährigen Freundeskreises mit Hang zu trashigen Looks. Neben einem Text der Herausgeberin, der HAU-Dramaturgin und langjährigen Gob-Squad-Wegbegleiterin Aenne Quiñones, bildet ein Interview mit den heutigen Mitgliedern der Squad das Herzstück des Büchleins. Und auch wenn die Fragen des Medienkünstlers Phil Collins bisweilen zur Essayform tendieren, bringen knackige Antworten sie schnell auf den Boden zurück.

Mitte der Neunziger, als sich die Kernschmelze ereignete, aus der die deutsch-britische Truppe hervorgehen sollte, fühlten sich die Studenten der Nottingham Trent University wie die des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft gleichermaßen von konventioneller Dramenausdeutung angeödet und »urbanen Interventionen« zugeneigt. Ihre theoretischen Fundamente aber hätten nicht unterschiedlicher sein können. Im Fluxus-bewegten Nottingham galt die Devise »shoot first, ask questions later« (Sean Patten), während man in Gießen sicher war: »Du musst erst Lacan rezipiert haben, bevor du etwas Bedeutungsvolles erschaffen kannst« (Johanna Freiburg).

Unter diesen Vorzeichen mutet die Entscheidung, künftig alle Fragen im Kollektiv zu lösen, heroisch an. Gob Squad haben keine Hierarchien, keine festen Zuständigkeiten und schon gar keine Stars. Inhaltlich gehen ihre ersten Stücke von persönlichen Alltagserfahrungen aus und finden in Hotels oder auf Parkplätzen statt. Die grob umrissenen Parts kann jeder übernehmen, auch Zuschauer ohne jede Expertise. Virtuosität ist Geschichte, das Gob-Squad-Credo ist Nahbarkeit und Ersetzbarkeit, ihre Performances sind der Versuch, gemeinsam mit dem Publikum etwas Neues und oft Unmögliches zu versuchen – wie zum Beispiel Robotern Gefühle beibringen oder den Brexit verhindern.

Münchner, die die Gruppe von etlichen Spielart-Einladungen her kennen, erinnern sich vielleicht an das gemeinschaftliche Reenactment von Andy Warhols Film »Kitchen« oder die grandiose Studie über das Vergehen der Zeit »Before your very eyes« – ja, das Stück mit den Kindern. Zuletzt konnte es mit »Western Society«, »Creation« oder dem an den Kammerspielen entstandenen »War and Peace« auch mal albern, pathetisch oder banal werden. Das Eis ist dünn, wenn es – in den selbst bisweilen zum Pathos neigenden Worten der Herausgeberin – darum geht, »unter der digitalen und gepixelten Oberfläche des 21. Jahrhunderts […] Sehnsucht und Begehren frei(zulegen)«. Vor allem von Strategien handelt das Buch; in erster Linie von der besonderen Form des Mitmach-, nein: Gastfreundschaftstheaters und den Mühen der kollektiven Ebene. Was die Ästhetik angeht, muss man sich an die Bilder halten. ||

GOB SQUAD: WHAT ARE YOU LOOKING AT? POSTDRAMATISCHES THEATER IN PORTRAITS. BAND 1
Hg. von Aenne Quiñones | Alexander Verlag Berlin, 2020
144 Seiten, mit zahlr. Abb. | 12,90 Euro

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