Resignation hilft niemandem. Deshalb suchen Münchner Popkünstler nach Auswegen für sich und andere. Dirk Wagner hat sich in der Musik-Szene umgehört.
Musik in München: Eine Frage der Haltung
München ist ein Dorf. Wie oft hatte man diesen Satz schon bemüht? Und dabei ist er nicht einmal abwertend gemeint. Gut, einige assoziieren damit sehr wohl, dass in der Landeshauptstadt zum Beispiel popkulturell nur wenig geboten würde. Die meisten freilich rühmen damit eher die sprichwörtliche Gemütlichkeit der Stadt, die mit ihren Biergärten und Straßencafés scheinbar unentwegt zum Verweilen einlädt. Tatsächlich war es dann auch die Abstinenz eben solcher Freischankflächen im Stadtbild, die München heuer während der coronabedingten Lockdownphase für einige Wochen so irritierend leer erscheinen ließ. Abendspaziergänge führten zudem vorbei an verwaisten Gasthäusern, die bald schon nicht einmal mehr so wirken wollten, als hätten hier jemals gesellige Abende stattgefunden. Alles war von einer dunklen Stille verhüllt, die schließlich erstmals in der Geschichte der Stadt ihrem Ruf als Dorf gerecht wurde.
»Mir wurde da erst bewusst, wie wertvoll die kulturellen Angebote hier sind«, sagt dazu Marcus Grassl, der seit 2014 zusammen mit Flo Kreier alias Angela Aux und Cico Beck alias Joasihno in der Indie-Supergroup Aloa Input spielt: »Viele wohnen ja in der Stadt, weil sie das kulturelle Angebot schätzen. Aber wie oft machen sie davon denn wirklich Gebrauch? Ich kann mir vorstellen, dass die Pandemie hier eine größere Wertschätzung bewirkt, wenn man endlich wieder in die Konzerte gehen darf.« Weil jetzt auch für ihn sämtliche Auftritte weggefallen seien, könne er mit Aloa Input umso entspannter am neuen Output sprich Album arbeiten, versucht Grassl seine derzeitige Situation schönzureden. Weil sein zweites Standbein als Veranstalter und Booker zurzeit allerdings auch kein Geld einbringt, lebt der zweifache Familienvater gerade von seinen Ersparnissen: »Wenn die Konzerte ausfallen, verlierst du ja nicht nur die Gage. Da werden sonst ja auch Schallplatten verkauft, was jetzt fehlt. Und die Tantiemen fallen auch weg, sodass die Künstler nächstes Jahr weniger Geld von der GEMA bekommen.« Die propagierten Soforthilfen wurden ihm bislang trotzdem nicht zugestanden. Dennoch mag Grassl, der nebenbei noch fürs Theater komponiert, sich nicht von pekuniären Nöten treiben lassen. »Geldsorgen haben andere auch«, sagt er, »da hoffe ich nur, dass viele Spielstätten die Krise überdauern.«
Mit einem wöchentlichen Livestream des Labels Trikont aus dem Heppel & Ettlich, für das Grassl Konzerte bucht, konnte man immerhin so viel Spenden sammeln, dass drei Monatsmieten gezahlt sind. Solche Spendenbereitschaft findet die Rapperin Fiva zwar lobenswert, aber auf Dauer nicht zielführend. »Ich selbst sammle jedenfalls keine Spenden für mich. Die anderen Menschen haben ja selbst kein Geld«, sagt sie. Stattdessen fordert sie staatliche Unterstützungen: »Ich konnte mein Tournee nicht zu Ende spielen und sitze jetzt auf meinen Merchandise-Platten und einer geprobten Show.« Vor allem um ihre Mitarbeiter täte es ihr leid, ihre Tontechnikerin, ihre Tourleiterin sowie der gesamten Crew, die anders als sie auch nicht von der GEMA-Ausschüttung profitieren kann. Die frei gewordene Zeit nun anders nutzen, könne sie indes auch nicht: »Das ist ja so eine romantische Vorstellung. Ich sitze eh zu Hause, dann könnte ich ja mal neue Songs schreiben. Aber die Kreativität kommt so unter Druck nicht.« Diese Diskrepanz von Klischee und Wirklichkeit teilt Fiva mit vielen Kolleg*innen der Münchner Subkulturszene. Keine Konzerte heißt zwar viel Zeit einerseits, mangelnde Planungssicherheit aufgrund ungewisser Zukunft sorgt aber auch für ein magmatisches Grundgefühl, das Schaffenskraft einbremst oder Umorientierung fordert.
Ein Schlag für den Feminismus
Weil auch ihre Tournee dem Virus geopfert wurde, arbeitet beispielsweise Valerie Trebeljahr von Lali Puna derzeit verstärkt als Journalistin. Darüber hinaus stemmt sie als Mutter einen von Kita- und Schulschließungen erschwerten Familienalltag, für den ihrer Erkenntnis nach vorwiegend die Frauen gefordert werden: »Corona ist für den Feminismus ein Megabacklash. Ist ja klar. Es sind natürlich mehrheitlich die Frauen, die jetzt Job, Homeschooling und den Haushalt wuppen. Stichwort Mental Load. Und dabei versucht die Frau auch noch alle aufzumuntern, damit die Stimmung nicht vollends kippt und die Kinder keine Angst haben, dass jetzt die Welt untergeht. Was sie ja nicht tut. Wenn wir alle schlau genug sind und die Verschwörungstheoretiker sich wieder einkriegen, wird das alles irgendwann vorbei sein. Und vielleicht können dann ein paar Musiker zur Musik zurückkehren«, meint Trebeljahr. Wobei sie sehr wohl auch mit Verlusten rechnet: »Es war schon vorher nicht leicht, von der Musik zu leben. Viele werden sich in der Corona-Zeit jetzt etwas anderes suchen müssen, um den Alltag zu bestreiten. Meine Bookerin beispielsweise sucht jetzt einen Nebenjob, ich befürchte, dass der vielleicht irgendwann ihr Hauptjob wird – und wir dann keine Touragentur mehr haben.«
Deutlich zuversichtlicher wirkt dagegen Veronica Burnuthian von Friends Of Gas. Ihr Job als Pflegerin sichert der Kunstakademiestudentin die Miete. Trotzdem hat Burnuthian, die selbst schon Konzerte im Kafé Kult gebucht hatte und das Magazin »München ist Dreck« herausbrachte, auch noch Zeit für ihre zweite Band, die Noise-Formation Atatakakatta. Die Veröffentlichung ihres zweiten Albums mit Friends Of Gas beim Berliner Label Staatsakt wurde coronabedingt auf den Juni verschoben. Die dazugehörige Tournee findet aber erst im Herbst statt, sagt Burnuthian, und selbst das sei noch nicht sicher. Schließlich wisse man ja immer noch nicht, in welcher Form und ab wann wieder Konzerte stattfinden dürften, und ob es die Clubs, in denen sie mit Band hätten spielen sollen, dann noch gibt. Dass die gesamte Combo das allerdings relativ gelassen nimmt, hat vielleicht auch damit zu tun, dass niemand von ihnen mit diesem überregionalen Erfolg ihrer Mischung aus Can, Talking Heads, Krautrock, Punk und Wave gerechnet hatte: »Unser erstes Album hatten wir eigentlich für uns selbst gemacht. Irgendwas, was man festhalten kann, wenn es das Projekt nicht mehr gibt.«
Ähnlich freizeitorientiert begreift auch der Goya-Royal-Mastermind Michael Kröger die Entwicklung seiner Band: »Da wir alle anderweitig berufstätig sind, leiden wir zumindest nicht finanziell unter Corona«. Während andere Formationen wie die Bluesrockband The Whiskey Foundation die Zwangspause nutzt, jetzt ohne Zeitdruck am neuen Album zu basteln, entschlossen Goya Royal sich sogar dazu, ihre neue Platte früher als geplant zu veröffentlichen. Nach dem Motto: Wenn Bob Dylan es in diesen Zeiten schafft, mit einer 17-Minuten-Nummer auf Platz eins der Charts zu landen, wird für die spannendexperimentellen Stücke aus dem Münchner Untergrund auch was drin sein. Und sei es nur wegen des sprachbefreiten Instrumentals »Virus is a language from outer space«. Manche Hoffnung allerdings hat sich nach einigen Isolationswochen deutlich relativiert. »Anfangs hatte ich glatt gehofft, die Krise würde unsere Gesellschaft rücksichtsvoller und überhaupt besser machen. Da schien man echt bereit zu sein zusammenzurücken. Plötzlich wurden auch neue Werte diskutiert. Aber mittlerweile ist da nur noch Hass, Neid, Konkurrenz, Verschwörungstheorien. Und ich befürchte, die Musik bleibt da eh auf der Strecke. Ich hab jedenfalls Angst, dass nicht viel übrig bleibt von den Läden, die ich mag«, sagt Kröger, der schon einige Clubs und Bars unterstützt hat. »Aber für alle kann ich auch nicht spenden.« Noch ist Kröger zuversichtlich, dass die gemeinsame Tournee mit Tom Liwa von den Flowerpornoes im späten Herbst stattfinden wird.
Geisterkonzerte als Zwischenlösung
Für den Berufsmusiker Markus Acher ist die Corona-Krise hingegen eine Katastrophe. Erst wird die Tournee zum aktuellen Album-Release seiner chinesisch-englisch-deutschen Supergroup Spirit Fest auf den November verschoben, dann bröckelt auch dort ein Festival in Belgien, weswegen die Flugkosten der japanischen Musiker wieder nicht gedeckt sein könnten. Zugleich sind einige Festivalauftritte und Konzerte seiner Band The Notwist abgesagt. Auf denen wollten die Musiker Songs vorstellen, die im Winter auf einem neuen Album erscheinen. Dass darüber hinaus auch die Filme nicht gedreht werden können, zu denen Acher den Soundtrack hätte liefern sollen, stürzt auch ihn in eine Finanzkrise. Vor allem aber vermisst der ehemals Weilheimer das Touren: »Ich lebe gerne in München, aber ich muss auch regelmäßig raus hier. Hinein in andere Kulturen, wo ich mit anderen Verhaltensweisen konfrontiert werde. Ich genieße diesen Austausch mit dem Fremden. Und das fehlt mir gerade eigentlich am meisten.« Dass der Bayerische Rundfunk seine Band Hochzeitskapelle zwischenzeitlich zu einem Geisterkonzert ohne Livepublikum in ein Wirtshaus eingeladen hatte, genoss Acher darum auch weniger finanziell: »Es war einfach toll, mal wieder zusammen spielen zu können.«
Der Rapper Fatoni indes versucht es mit dem Experiment eines Autokinokonzerts, zu dem er sich hat engagieren lassen: »Natürlich ist so ein Konzert im Autokino auch ausgrenzend. Schließlich haben ja nicht alle ein Auto. Aber ausgrenzend ist so gesehen jedes Konzert, weil sich nicht jeder ein Ticket kaufen kann. Da gibt’s Platz für gut 200 Autos à zwei Personen. Das ist schon eher was für echte Fans, die ich mit so was in der Quarantäne bespaßen kann«, sagt der mittlerweile nach Berlin gezogene Rapper. Vor allem ginge es ihm ja darum, etwas von den 70 Prozent Einnahmen, die ihm durch das Veranstaltungsverbot weggebrochen sind, zurückzuholen. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, mit dem Livestream eines Wohnzimmerkonzerts zusammen mit Mine 14.000 Euro Spenden für die Organisation Sea Watch zu sammeln, deren Engagement im Angesicht des Virus aus dem Blickfeld gerät. »Die Arbeit von Organisationen wie Seawatch ist einfach extrem wichtig und unterstützenswert«, meint Fatoni, der sich trotz aller momentanen Verdienstausfälle als privilegiert begreift, zumindest so weit, dass er auch anderen helfen kann. Tatsächlich scheint das eine verbreitete Einstellung der Münchner Musiker zu sein: Auf der einen Seite fürchten sie um ihre eigene Existenz sowie um den Fortbestand der Spielstätten und Szenen, in denen sie sich bewegen. Auf der anderen Seite sorgen sie sich noch mehr um Menschen, die durch den Covid-19-Virus direkt oder indirekt in Not geraten. Oder um die, deren Notlage infolge der vielen Corona-Berichterstattungen kaum noch thematisiert wird. »Dass unsere Konzerte ausfallen, ist dabei doch nebensächlich«, sagt die Sängerin Seda. Ein bisschen würde sie sogar die Entschleunigung genießen, »jetzt basteln wir zu Hause halt an neuen Songs, mit denen wir dann auffahren, wenn wir wieder live spielen dürfen.« Immerhin kann sie sich mittlerweile wieder mit ihrer Band im Proberaum treffen, um dort die neuen Songs auszuprobieren, die sie daheim mit ihrem Gitarristen schreibt, via Internet, weil der künstlerische Partner in Italien lebt.
»Er zum Beispiel kommt da gerade gar nicht raus. Dagegen haben wir es hier in München gut erwischt«, resümiert die Münchnerin, die auf der Bühne mit ihrer souligen Stimme längst schon so international wie einst Amy Winehouse wirkt. Und Marcus Grassl von Aloa Input fügt mit dem Blick des Veranstalters auf die Diskussion um öffentliche Unterstützung hinzu: »Ich bin gespannt, ob auch Popkonzerte subventioniert werden, wenn die dann nur noch vor einem kleineren Teil der Zuschauer stattfinden dürfen.« Kulturvermittlungen über Livestreams hält er auch unabhängig von irgendwelchen Gesundheitsmaß- nahmen für eine ausbaufähige Möglichkeit, Musik unabhängig von konkreten Orten zu
präsentieren. Alleine können aber auch sie kein Dorf zur Stadt ausleuchten. ||
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