Der Kunstverein zeigt Copy Art der Künstlerin Pati Hill.

Pati Hill: Ein Kotelett auf dem Kopierer

Pati Hill

Pati Hill: »Section of Corset« | 1976 | Xerographie auf Elfenbeinpapier, 22,2 x 14,6 cm | © Pati Hill Collection, Arcadia University

Wie Corona unser Verhalten und unsere Wahrnehmung beeinflusst, spürt man nicht nur durch die ungewohnten Hygienemaßnahmen der Ausstellungshäuser, sondern auch bei der Rezeption von Kunst. Nichts haben die künstlerischen Fotokopien, Bücher und Skizzen der Künstlerin Pati Hill mit Corona zu tun. Aber dass sie in den 60er Jahren nach der Geburt ihrer Tochter plötzlich als Hausfrau »ans Haus gefesselt« auf die Idee zu ihrer »Copy Art« gekommen sein soll, lässt uns wissend nicken. Ja, so ein Lockdown setzt kreative Kräfte frei, das haben wir jetzt gelernt. Bei Pati Hill war es jedoch nicht nur ein kurzes Flackern, sondern ein ganzes Feuerwerk an Inspiration, das über Jahrzehnte anhielt. Das Werk der autodidaktischen Künstlerin, die 1921 in Kentucky geboren und 2014 im französischen Sens gestorben ist, ist so umfassend und vielfältig, dass es in den Räumen des Kunstvereins nur ausschnitthaft beleuchtet werden kann. Im Nachlass finden sich 20 000 Fotokopien, zahlreiche Romane, davon vier veröffentlichte und siebzehn im Manuskript, Kurzgeschichten und Gedichte sowie Skizzen, Zeichnungen und umfangreiche Künstlerinnenbücher.

Die Retrospektive in München ist die erste posthume Einzelausstellung von Pati Hill in Europa. Im Blick auf die vielen Frauen, deren Werk derzeit kunsthistorisch ans Licht der Öffentlichkeit geholt wird, sticht diese Künstlerin in ihrer Vielfalt, Konsequenz und Originalität hervor. Ihre Bild-Serien, die mit dem Fotokopierer entstanden sind, bilden das visuelle Zentrum ihres Schaffens, auch wenn sie damit weder die erste noch einzige war (was ihr aber erst in späteren Jahren bewusst wurde). In den 60er Jahren war sie auf die Idee gekommen, Alltagsgegenstände auf den Fotokopierer zu legen: Kleidungsstücke, Haushaltsutensilien, Lebensmittel. Das Ergebnis sind Abbildungen, die die Gegenstände in einer eigentümlichen Räumlichkeit zwischen Zwei- und Dreidimensionalität zeigen; grafi sch wirkende Zeichnungen, die jedes Detail in einem harten Schwarz-Weiß-Kontrast wiedergeben. In den ersten Jahren ging Pati Hill dazu in den Copy-Shop. 1977 erfüllte sich über die Bekanntschaft mit einem IBM-Mitarbeiter ihr Traum: Er stellte ihr einen eigenen IBM Copier II zur Verfügung, der zu ihrem wichtigsten Medium wurde und mit dem sie ihre bedeutendsten Serien schuf: Allen voran das ästhetisch kraftvolle und prägnante »Alphabet of Common Objects«, in dem sie Fotokopien von 45 Gegenständen, unter anderem einer Käsereibe, einer Audiokassette, einer Wäscheleine und eines Koteletts, zu einer Art Bildalphabet arrangierte. Oder die Serie der »Garments«: Kleidungsstücke wie ein zusammengelegtes Hemd, eine Anzughose, Spitzenwäsche, Handschuhe etc., die eindeutig weiblich und männlich konnotiert sind.

Ausgehend von ihren schriftstellerischen Werken seit den 50er Jahren begann sie schon früh, sich für das Verhältnis von Text und Bild zu interessieren. In kritischer Reflexion ihrer Rolle als Frau hatte sie nach der Geburt ihrer Tochter 1962 zunächst die Faszination von Diagrammen und grafi schen Gebrauchsanweisungen entdeckt: Sie sammelte Anleitungen für Hausfrauen etwa zum Aufklappen eines Bügelbretts oder zum richtigen Zerlegen von Fleisch, die sie als Abfolgen kleiner narrativer Sequenzen zu »Informational Art« montierte. Dies führte sie zu den Fragen, die sie ein Leben lang beschäftigten: Was ist der Aussagewert einer bildlichen Information? Wie kann unsichtbare häusliche Tätigkeit in eine öffentlich sichtbare Sprache übersetzt werden? Wie ist das Verhältnis von technisch neutraler Bildproduktion eines Fotokopierers zur individuellen Aussage? In ihrer künstlerischen Praxis werden die Fotokopien zu Dokumenten ihres Tuns – zunächst in ihrer Rolle als Hausfrau. Dass sie damit ein dem Klischee nach mit weiblicher Bürotätigkeit konnotiertes technisches Gerät zum künstlerischen Medium wählt, erscheint dabei nur konsequent.

Während viele feministische Künstlerinnen in den 60er und 70er Jahren den eigenen Körper zum Medium ihrer Kunst machten, distanzierte sich Pati Hill von der Selbstdarstellung, da sie in ihren jungen Jahren als Fotomodell ihren Körper nach eigener Aussage lange genug zur Schau gestellt hatte. Ihre Experimente mit dem Fotokopieren von fremden Körperteilen gehören auch eher zu den schwächeren Arbeiten. Schriftstellerisch hat sie sich schon früh mit dem weiblichen Rollenverständnis auseinandergesetzt, etwa in der Kurzgeschichte »An Angry French Housewife« sowie 1975 in »Slave Days«, wo sie erstmals ihre Fotokopien mit eigenen Texten zusammenstellte und auf kritische wie humorvolle Weise die Produktionsstätte ihrer Arbeit thematisierte.

Da Pati Hill in den USA wie auch in Frankreich lebte, entwickelte sie nicht nur den Entwurf für eine universelle Zeichensprache, um Sprachprobleme zu überbrücken, sondern widmete sich seit den 80er Jahren auch einem konzeptuellen Mammutprojekt, dem Kopieren von Schloss Versailles: Anfangs waren es Gegenstände, die Touristen im Außenbereich verloren haben, sowie kleine Details aus dem Garten. Später erhielt sie die Erlaubnis, Interieurs auf den Kopierer zu legen. ||

PATI HILL: SOMETHING OTHER THAN EITHER
Kunstverein München e.V. | Galeriestr. 4 | bis 16. August
Di–So 12–18 Uhr (feiertags geschlossen) | Führungen für bis zu 4 Personen: Anmeldung an info@kunstverein-muenchen.de
Der Nachdruck von Pati Hills »Letters to Jill. A Catalogue and Some Notes on Copying« von 1979 (128 Seiten) kostet 8 Euro

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