»Die rechte Mobilmachung« von Patrick Stegemann und Sören Musyal zeigen, wie aus dem Online-Hass rechter Hetzer offline Gewalt wird.

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Hass aus dem Netz und reale Morde – das eine ist ohne das andere kaum mehr denkbar. Nazis streamen ihre Anschläge live im Ego-Shooter-Stil und werden von einer rassistischen, frauenverachtenden, antisemitischen Fangemeinde dafür gefeiert. Ihre Taten kündigen sie online an. Und bis es so weit ist, bietet das Netz Kanäle zur Radikalisierung für jeden Geschmack: vom Retweeten angeblich ironischer Hitler-Memes über die heimattümelnde Kochshow des Österreichischen Identitären Martin Sellner auf Youtube bis hin zum gemeinschaftsstiftenden Shitstorm, in dem das einzelne arme Würstchen endlich mal das Gefühl von Macht und, wie heißt es so schön, von Selbstwirksamkeit erlebt.

Für ihr Buch »Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen« haben sich die Kommunikations- und Sozialwissenschaftler Sören Musyal und Patrick Stegemann unter anderem inkognito in die völkisch-rassistische Trollarmee »Reconquista Germanica« eingeschleust. Sie haben rechte Influencer interviewt. Und sie haben die Vernetzungen zwischen diesen, der AfD, der Identitären Bewegung sowie Nationalsozialisten alter Springerstiefel-Schule recherchiert. Als gemeinsame, für viele andere Szenen anschlussfähige Haltung stoßen sie immer wieder auf den behaupteten Tabubruch, die Selbstinszenierung als Widerstandskämpfer gegen einen angeblich »gleichgeschalteten« Mainstream und als Opfer von Zensur. Als Einstiegsdroge für Neulinge ohne geschlossen rechtes Weltbild fungieren oft sehr derber Humor und die Lust am politisch Unkorrekten – ob in Diskussionen auf geschlossenen Imageboards wie 8chan oder heute 8kun, oder offen via Youtube, Twitter, Instagram oder Tik-Tok. Ernüchternd einleuchtend ist, wie Stegemann und Musyal das sogenannte Gamer-Gate von 2014 einordnen. Es geht dabei nicht darum, Ballerspiele zu verdammen, wie es nach Amokläufen und Terroranschlägen in Medien und Politik zur kurzsichtigen Routine geworden ist. Es geht um die Frage, warum eine bestimmte Gamer-Subkultur tatsächlich anfälliger für gezielte Propaganda von rechts ist als andere Special-Interest-Communities: Der Shitstorm gegen die Spieleentwicklerin Zoë Quinn und ihr Indie-Game »Depression Quest« im Jahr 2014 weitete sich, unter tatkräftiger Mitarbeit netzaffiner Neonazis, zu einer breiten misogynen, rassistischen und antisemitischen Kampagne aus. Gamergate war letztlich, so die Analyse der Autoren, ein »Schlüsselereignis für die Entstehung der Alt-Right-Bewegung«. Die planlose Wut einiger »Incels« (eine Selbstbezeichnung für selbstmitleidige Singlejungs), die ihre männerverherrlichende Gaming-Welt bedroht sahen, wurde von rechten Netzprofis gezielt zur »Ausweitung der Kampfzone« genutzt und mit politischer Propaganda aufgeladen.

»Die rechte Mobilmachung« ist ein gelungener und erschreckender Überblick über rechte Strukturen im Netz und deren tödliche Folgen: Von Verschwörungstheorien, wie sie gerade auch angesichts der Covid-19-Pandemie fröhliche Urstände feiern, über die ungeheure Reichweite der AfD in den sozialen Medien, die ohne die Hilfe rechtsradikaler Infokrieger nie erreicht worden wäre, bis hin zu rassistischen und antisemitischen Morden – etwa in München 2016, in Kassel und Halle 2019, in Hanau und Celle 2020 – sind online Verbindungen nachweisbar. Täter radikalisieren sich im Netz, sie finden dort Vorbilder wie den Massenmörder von Christchurch und sie können auf eine menschenfeindliche Community zählen, die ihre Verbrechen bejubelt. ||

PATRICK STEGEMANN, SÖREN MUSYAL: DIE RECHTE MOBILMACHUNG. WIE RADIKALE NETZAKTIVISTEN DIE DEMOKRATIE ANGREIFEN
Econ, 2020, 290 Seiten, 17,99 Euro

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