Das sagt der 81-jährige Schauspieler Walter Hess. Und tut es bis heute im Ensemble der Münchner Kammerspiele. Dafür wird er in diesem Jahr mit dem Theaterpreis der Stadt München ausgezeichnet.
»Ich lasse mich ein auf das, was auf mich zukommt«
Ob die für Juli geplante Verleihung des Theaterpreises der gewohnte Festakt wird, entscheidet die Dramaturgie der Corona-Krise. Die Jurybegründung jedoch ist krisenfest: »Das Münchner Publikum erlebt seit fast zwei Jahrzehnten einen Schauspieler, der sich scheinbar mühelos den unterschiedlichsten Herausforderungen des zeitgenössischen Theaters stellt… Ob in Stücken, Projekten oder Performances… Walter Hess hat stets seinen künstlerischen Ausdruck gefunden, egal welche Arbeits- oder Spielweise von ihm gefordert wurde. Denn mit großer Offenheit und ohne vordergründigen Ehrgeiz nach großen Rollen, ist es vor allem seine Neugier, die ihn auszeichnet… Großzügig, hellwach und humorvoll ist es Walter Hess gelungen, im besten Sinne auf der Bühne zu vertreten, was das Schauspiel im Zentrum ist: Ensemblespiel in kleinen und großen Rollen und Aufgaben, stets im Dienst des Ganzen.«
Herr Hess, was haben Sie empfunden, als Sie von dem Preis erfuhren, der ja nur alle drei Jahre vergeben wird?
WALTER HESS: Überraschung und eine große Genugtuung. Dass ich mich auf Projekte einlasse, ohne mich zu verleugnen, bedeutet Langzeitbeobachtung und ist als Jurybegründung für eine Auszeichnung eigentlich unüblich. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Sie sind 2002, im zweiten Jahr der Baumbauer-Intendanz, an die Kammerspiele gekommen. Wie waren Ihre frühen Anfänge am Theater?
Mein erstes Engagement war 1963 am Stadttheater Konstanz, danach hatte ich Teilzeitverträge am Schauspielhaus Zürich und am Theater Basel. Das Stadttheater habe ich damals als diktatorisch von der Regie her erlebt, das wurde für mich wesentlich. In Zürich habe ich von 1972 bis 1980 im freien Theater an der Winkelwiese gearbeitet, unsere Stücke hatten politische Bezüge. Die meisten Theater haben die Zeitströmungen nicht aufgegriffen und ihr übliches Repertoire gespielt. Im Kollektiv haben wir das hierarchische Denken abgelegt. Ich habe erkannt, dass das Moment des Arbeitens stimmen muss, nicht das Ergebnis, sonst ist mein Selbstwert abhängig vom Erfolg. Ich habe dort auch erste Inszenierungen gemacht, also die Probenleitung, und das Theater eine Zeitlang geleitet. Es gab Körpertraining, wir haben die Ideen von Jerzy Grotowski oder dem Living Theatre aufgegriffen. Das hat mich geprägt: sich als Teil des Ganzen wahrzunehmen und nicht als einzelne Rolle. Ich lasse mich erst mal ein auf das, was auf mich zukommt. Dann ziehe ich meine Schlüsse daraus.
Wie hat es Sie nach dem freien Theater dann doch wieder ans Stadttheater verschlagen?
Ich hatte in Basel eine Rolle beim Regisseur David MouchtarSamorai. Der wollte mich dann für eine weitere Rolle in Bonn, und daraus wurden zehn Jahre Engagement. Mouchtar-Samorai hat viel mit Improvisation gearbeitet, das hat einen großen Spielraum eröffnet und mir den graduellen Übergang zum Größeren leicht gemacht.
Von Bonn holte Sie Andreas Kriegenburg für weitere drei Jahre nach Hannover.
Er hatte mich als Gast für den Stauffacher in »Wilhelm Tell« geholt, weil er alle Eidgenossen mit gebürtigen Schweizern besetzt hatte. Daraus wurde dann ein festes Engagement. Mit Kriegenburg habe ich am meisten gearbeitet, 15 Inszenierungen an vier verschiedenen Orten. Oft durch Zufall, unabhängig vom Engagement. Als ich an die Kammerspiele kam, probte ergerade die »Orestie« im damaligen Ausweichquartier Jutierhalle. Das war mein Einstieg in München.
Sie spielten auch in Kriegenburgs spektakulärer Inszenierung von Kafkas »Prozess«. Wie schwierig war das auf dieser schrägen Drehscheibe, die sich zeitweise extrem steil aufstellte?
Vor allem im zweiten Teil war das schon anstrengend für mich. Und in den warmen Kostümen haben wir furchtbar geschwitzt. Aber es war unser größter Erfolg, wir haben es 100 Mal gespielt.
Sie sind an den Kammerspielen immer wieder in experimentellen Aufführungen dabei, die Ihnen als Darsteller viel zumuten, etwa kübelweise Kunstblut wie in Christopher Rüpings »Hamlet«-Paraphrase. Sind Sie jemals aus einer Produktion ausgestiegen?
Nein, nie. Einmal hatte ich ein Problem mit einer Produktion, aber da konnte ich aus Solidarität nicht aussteigen. Also habe ich durchgehalten. Ich versuche immer, etwas zu finden, was ich gern mache. Mich zu langweilen oder etwas nicht zu
mögen, kann ich mir beim Spielen nicht vorstellen.
Ihre Erfahrung mit dem freien Theater lässt Sie offen auf die vielen performativen Kammerspiele-Experimente zugehen. Kommt Ihnen da nicht manches altbekannt vor?
Dass sich Dinge wiederholen, erlebe ich auch so. Was heute in Performances passiert, haben wir zum Teil schon vor über 40 Jahren ausprobiert. Aber das Theater hat sich verändert, das Performative findet auch an großen Häusern statt. Und Regisseure wie Kriegenburg haben einen ganz anderen Zugriff auf die Stücke. Auch bei Christopher Rüping interessiert mich sein Zugang.
Wie geht es an den Kammerspielen weiter mit, trotz oder nach Corona?
Das ist schwierig. Im April hätte die Choreografie »Mal« von Marlene Freitas herauskommen sollen, wo ich dabei bin. Aber das Training musste nach fünf Wochen abgebrochen werden.
Das wäre das zweite Mal gewesen, dass Sie als Tänzer auf der Bühne stehen. In Trajal Harrells Choreografie »Morning in Byzantium« haben Sie 2018 erstmals einen Tanz gewagt.
Ich hatte da eine Sonderrolle als Sprecher und Tänzer. Im zweiten Teil sollte ich ein Rilke-Gedicht lesen. Dann habe ich Harrell vorgeschlagen, das in Bewegung umzusetzen, also zu sprechen und zu tanzen. Er hat mich gewähren lassen und sich dann selbst tänzerisch in meine Bewegung eingefügt. Die Kombination von Text und Bewegung habe ich sehr geschätzt. Ich fand es toll, dass er das zugelassen hat. Die Bewegung sollte sich nicht verselbstständigen, sondern die Stimmung so einfangen, wie es mir möglich war.
Sie haben gerade auch ironisch gesagt, das Tanzen sei so eine Art Altersvorsorge.
Na ja, vielleicht breche ich damit zu etwas Neuem auf und kann künftig das Textlernen hinter mir lassen.
Hoffen wir auf die Chance, dass die kommende Intendantin Barbara Mundel die Produktion von Marlene Freitas in der nächsten Spielzeit herausbringen kann. Sie werden jedenfalls im Ensemble bleiben.
Ich bleibe gerne, solange ich spüre, dass man mich will. Das wird jetzt die vierte Intendanz, die ich an den Kammerspielen erlebe. 2002 kam ich für drei Jahre zu Baumbauer – so lange hatte ich noch zur Rente. Baumbauer wollte dann, dass ich weitermache. Und bei ihm war es ein richtiges Ensemble-Glück. Das sind Erfahrungen, die sich in Ergebnissen zeigen.
Sie haben in mehreren Inszenierungen von Susanne Kennedy gespielt, die ihre Darsteller unter Latex-Masken steckt. Wie reduziert ist das Spiel unter der Maske?
Ich finde Kennedys Ansätze interessant, mit ihr zusammenzuarbeiten, das ist gute Lebenszeit für mich. Sich unter der Maske nicht ausspielen zu können, liegt in der Natur der Sache. Ich bin manchmal bedauert worden, dass ich das machen muss. Aber müssen muss ich nichts. Man muss ein Konzept mittragen und ausfüllen. Oder aussteigen oder gar nicht erst anfangen. Aber wenn man zu oft nicht anfängt, muss man das Theater wechseln. Bei Susanne Kennedy geht es ohnehin immer mehr in Richtung Installation.
Verschwindet damit nicht der Beruf des Schauspielers?
Nein, weil es eine der verschiedenen Spielarten von Theater ist. Man muss akzeptieren, dass man Teil des Ganzen ist. Aber auf den Proben eine Umsetzung zu finden und jeden Abend zu spielen, das muss Freude machen. Nicht Spaß, sondern Freude.||
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