Viele Theater versuchen den Shutdown mit Onlineangeboten zu überbrücken und experimentieren mit Netzformaten, um präsent zu bleiben.
To stream or not to stream
Die Theater sind auch in der Zwangspause nicht verstummt. Mittlerweile ist ein reiches Onlineprogramm entstanden, dessen Spektrum von selbst gebastelten Clips bis zu Livecam-Performances und -Lesungen reicht. Die Schauburg stellt regelmäßig Aufzeichnungen ihrer Aufführungen ins Netz. Das ehrgeizigste Programm haben die Kammerspiele geschaffen. Das Residenztheater zeigt unter dem Titel »Tagebuch eines geschlossenen Theaters« auf seiner Website, Youtube und IGTV witzige, melancholische und kluge gesungene und gesprochene Clips von Künstlern, darunter kleine Kunstwerke wie der poetische Videoessay »Die letzte Vorstellung«, in dem Oliver Stokowski einen Schimmelpfennig-Text zur Coronakrise vorträgt. Zudem bietet das Resi Überraschungslesungen am Telefon mit anschließenden Gesprächen an.
Da liest einem dann etwa Michael Wächter aus dem Briefwechsel von Bachmann und Celan vor, ein wunderschönes Geschenk, das den ganzen Tag erhellt.Auch die freie Szene hat sich einiges einfallen lassen, allen voran das Metropoltheater, das sich mit der sehenswerten Videoclip-Reihe »Utopia – auferstanden aus der Krise« der Resignation entgegenstellt, in der Schauspieler, Regisseure und Freunde des Hauses wie Christian Ude oder Konstantin Wecker über eine neue, bessere Gesellschafts- und Weltordnung nach dem Shutdown nachdenken. Das Pathos Theater startete nach einem Coronablog von Lena Gorelik Videolesungen von Camus’ »Die Pest«, das TamS stellt Produktionen ins Netz und feiert am 9. Mai die Onlinepremiere von »Womöglich weltfremd«, einer »kinotheatralen Wiederverwertung« von Arno Friedrich.
Vieles ist noch im Experimentierstadium. So begann die Zoom-Meeting-Reihe im dasvinzenz technisch holperig und mündete nachkurzen Reflexionen über »Das Recht auf Faulheit« und den Fluch der dauernden Erreichbarkeit im Homeoffice in wechselseitige Ratschläge für eine bessere Bild- und Tonqualität und eine pausenreiche Plauderei unter Freunden.Einen echten Netzspielplan bieten die gegenüber den neuen Medien besonders aufgeschlossenen Kammerspiele an. In der neu eröffneten Kammer 4 versprechen sie jeweils 24 Stunden lang »Theater für zu Hause«. Dort kann man Livecam-Lesungen mit Schauspielern erleben, wie den erschütternden Bericht des kurdisch-iranischen Journalisten und Dichters Behrouz Boochani »Kein Freund außer den Bergen«. Den größten Raum nehmen interne Mitschnitte und Aufzeichnungen von älteren und jüngeren Inszenierungen von Johan Simons’ »Hiob« bis zu Stemanns Jelinek-Adaption »Wut« ein. Man kann große Theaterabende ins Gedächtnis rufen, nachholen, was man versäumt hat, und auch mal einen virtuellen Ausflug nach Berlin machen zur Uraufführung von She She Pops »7 Schwestern«. Das ist toll und völlig umsonst (also längerfristig kein sinnvolles Modell). Ein Geschenk an die Zuschauer für die Krisenzeit.
Ganz ohne Frust läuft der Besuch im virtuellen Theater allerdings nicht ab. Während das Theater aus der Konserve technisch perfekt wie Kulturfernsehen funktioniert, bleiben neu kreierte Angebote gern mal hängen, lassen sich nur mittels Vorklicken fortsetzen, Gespräche stocken, weil die in Bildchen eingeblendeten Schauspieler nicht wissen, wann sie sprechen sollen. Die fesselnde Livecam-Lesung »Schicksale« über verfolgte und ermordete Künstler der Kammerspiele in der NS-Zeit geriet zwischenzeitlich ins Ruckeln und gegen Ende, als plötzlich Anfangssequenzen erneut erschienen, in eine Art Drehwurm. Aber solche Kinderkrankheiten sind verzeihlich, Experimente müssen nicht fehlerfrei ablaufen.
Problemlos schnurrt die Serie »Hogwarts-Exkursionen« vorbei, in der Gro Swantje Kohlhof »Harry Potter« nacherzählt. In cooler Teenagersprache saust sie durch den Roman, mimt grimassierend Figuren wie Lord Voldemort (»also er ist ein krasser Nazi, ein ziemlicher Assi«) und spielt mit ihren Socken und Plüschtieren, während die erwachsenen Zuschauer im Zoom-Meeting fleißig mitchatten. Da ploppen dann Bemerkungen auf wie »Haha mega«, »wuuuh – wunderbar« und »Supi!!!«, ehe sich die Schauspielerin mit »Oh cool. Ihr seid süß« verabschiedet. Man geniert sich etwas herumzunörgeln, das alles macht ihr sichtlich einen Riesenspaß, allein, man braucht schon ein sehr kindliches Gemüt, um ihn zu teilen.
Keine Frage: Der Einsatz der Schauspieler ist klasse. Mit wie viel Engagement und Kreativität viele Theater versuchen den Dialog aufrechtzuerhalten, das ist beeindruckend. Man kann online köstliche, tröstliche, traurig berührende und nachdenkliche Clips und spannende Lesungen und Gespräche entdecken. Doch bei Formaten, die locker konsumierbare Zeitspannen sprengen, erweist sich das Internet als das, was es nicht zuletzt ist: eine große Aufmerksamkeitszerstreuungsmaschine. Im realen Theater fällt es nicht schwer, drei oder vier Stunden lang in das, was auf der Bühne geschieht, einzutauchen. Vor dem Computer ertappt man sich dabei, in seinen Papieren herumzublättern, erfordert es strenge Disziplin, die parallel eingehenden Mails zu ignorieren, nicht irgendwann doch kurz anzuklicken.
Man muss das Netztheater nicht so böse ablehnend sehen wie Uwe Mattheis, der in einem Artikel im »Falter« kategorisch forderte: »Hört auf zu streamen!« Aber entsteht hier tatsächlich ein Enthierarchisierungs- und Demokratisierungsschub des Theaters, etwas ästhetisch Neues und richtungsweisend Relevantes, wie euphorische Internetfans glauben? Vielleicht wird das irgendwann wahr, derzeit hat man nicht den Eindruck. In den Zoom-Gruppen trifft man sehr viele bekannte Gesichter. Um Theaterabstinente in Scharen zu bekehren, dafür sind die Streaming-Angebote der Bühnen nicht poppig genug. Und gerade dann, wenn sie versuchen, den Livecharakter von Theaterabenden nachzuahmen, machen sie nicht wirklich glücklich. Letztlich zeigen uns die neuen Formate vor allem eines: Wie unersetzbar und unverzichtbar das Theater ist. Wie richtig und wichtig es ist, dass wir dort unsere Smartphones ausschalten, einmal den Mund halten müssen, nicht quasseln, chatten und herumklicken dürfen. Dass wir selbst bei quälend langweiligen oder böse nervenden Passagen sitzen bleiben, weil sich ihre Bedeutung mitunter erst am Ende einer Inszenierung, einen Tag oder eine Woche später erschließt und weil es manchmal sogar sinnvoll sein kann, sich zu langweilen oder genervt zu werden.
»Ihr fehlt uns, wir vermissen euch«, schreibt Thomas Hauser in einem Brief an die Zuschauer im Namen des Kammerspiel-Ensembles. In der Zeit der Quarantäne, erklärt uns auch der Resi-Intendant, hätten alle in seinem Haus erfahren, »wie sehr wir Sie brauchen für unser tägliches Tun, für unser tägliches Denken, für unser tägliches Spiel.« Ja, wir vermissen sie alle auch. Ach, wir wollen es wieder erleben dürfen, das gemeinsame Lachen und das gemeinsame Atemanhalten, die Momente, in denen es in einem vollen Saal mucksmäuschenstill wird, wenn der Applaus schließlich anschwillt, wir alle zusammen jubeln. Nach wochenlangem Streamen sehnt man ihn schmerzlich zurück, den, so Roland Schimmelpfennig, geliebten »analogen Dinosaurier« Theater. ||
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