Grandfilm und Eksystent, zwei bayerische Independentfilm-Verleiher, sorgen mit spontanen Solidaraktionen dafür, dass doch ein bisschen Geld in die ausgetrockneten Kassen der Filmtheater tropft.
Kreativ durch die Krise
Das Kino hat es ja schon seit einiger Zeit ziemlich schwer. Angesichts eines medialen Überangebots und der damit einhergehenden Reizüberflutung, der man per Laptop, Tablet oder Smartphone permanent ausgesetzt ist, auch kein Wunder. Doch bisher konnte das Kino immer wieder den digitalen Angriffen trotzen und durch seine Alleinstellungsmerkmale punkten – als Flaggschiff für Filmpremieren, die nur oder als Erstes auf der großen Leinwand zu sehen waren, vor allem aber auch als Hort eines einzigartigen Miteinanders, an dem gemeinsam geweint und gelacht, gezittert und gejubelt werden konnte.
Dieses Miteinander wird nun durch die Coronakrise auf brachiale Art und Weise verhindert. Die Kinos sind seit Wochen geschlossen, und angesichts der weiterhin strengen Auflagen in Bezug auf Abstandsregelung und Hygienemaßnahmen scheint es, dass dieser Zustand auch noch länger anhalten wird. Und sollte es tatsächlich zu einer Lockerung, sprich, Öffnung der Filmtheater, kommen, wie soll das dann in der Praxis umgesetzt werden? Werden dann an Kasse, Eingang und auf den Toiletten Behälter mit Desinfektionsmittel installiert? Bleibt jeder zweite und dritte Sessel im Saal frei, um die 1,5 Meter Abstand wahren zu können? Und zieht man sich dann alle 30 Sekunden den Mundschutz vom Gesicht, um sich eine Handvoll Popcorn zwischen die Kiemen schieben zu können? All das erscheint schwer vorstell- und umsetzbar. Zudem stellt sich die Frage, ob sich ein derartiges Modell für die Kinobesitzer wirtschaftlich überhaupt rechnet, wenn bei jeder Vorstellung zwei Drittel des Saales unbesetzt bleiben müssen.
Doch wie so oft eröffnen sich durch diese, obschon vehementeste Krise seit Jahrzehnten auch neue, andere Möglichkeiten. Und hier sind es ausgerechnet die Streamingdienste, die ja immer wieder als ärgste Bedrohung des Kinos ausgemacht werden, die mit kreativen und originellen Ideen daherkommen. Bestes Beispiel ist der Nürnberger Independentverleih Grandfilm, der eine bemerkenswerte Solidaraktion ins Leben gerufen hat. Denn Grandfilm teilt seinen »Gewinn 50/50 mit den Kinos, die regelmäßig unsere Filme zum Start spielen«. Und weiter heißt es dort: »Unterstützt mit uns den Erhalt dieser engagierten Orte der Filmkultur während der Coronavirus-Krise!« Angeboten werden unter dem Motto »Support your local cinema« unter anderem Werke wie Nadav Lapids »Synonymes«, der 2019 den Goldenen Bären gewann. Corneliu Porumboius Komödie »Der Schatz«, die in Cannes mit dem Talentpreis ausgezeichnet wurde, oder der 2015 in Locarno mit dem Goldenen Leoparden prämierte »Right Now, Wrong Then« des Südkoreaners Hong Sang-soo. Darüber hinaus gibt es jede Woche einen Film zum »Sonder-Appetizer-Preis von 99 Cent«, um auch Cineasten, die wegen der Krise knapp bei Kasse sind, etwas anbieten zu können. Dazu gehörte zuletzt der Dokumentarfilm »Maidan« über die Unruhen im Winter 2013/14 am Kiewer Maidan. Nutznießer dieser außergewöhnlichen Aktion sind etwa das Theatiner und das Werkstattkino in München sowie das Lichtspiel Bamberg, die Filmgalerie Regensburg und das Filmhaus Nürnberg.
Wer nun glaubt, diese aus der Krise geborene Idee hätte lediglich Symbolcharakter, der irrt. Denn wenige Wochen nach Beginn der Initiative konnte Tobias Lindemann von Grandfilm bereits konstatieren: »Natürlich ersetzt unsere Aktion nicht das, was ein Kino im normalen Spielbetrieb einnimmt, aber es ist schon jetzt absehbar, dass wir jedem Kino einen dreistelligen Betrag überweisen können.« Dabei legt Lindemann Wert darauf, dass Grandfilm »keinen Film plötzlich auf Video-on-Demand herausbringt, der eigentlich noch ins Kino kommen sollte. Was wir zum Streamen anbieten, sind alles Werke, die schon eine Auswertung auf der Leinwand hatten.«
Eine andere Strategie fährt dagegen der Münchner Indieverleih eksystent. Auf seiner Homepage appelliert er an alle Filmbegeisterten, »dass uns nur Zusammenhalt durch diese Krise bringen kann«. Und weiter ist zu lesen: »Wir haben uns daher entschlossen, unseren Kinostart des Locarno-Gewinners Isadoras Kinder vorzuziehen und ihn über die Plattform Kino-on-Demand zu starten.« Eine nicht unumstrittene Vorgehensweise, sehen doch manche dadurch die Flaggschiffposition der Lichtspielhäuser ernsthaft bedroht. Doch Jakob Kijas von eksystent erläutert: »Als irgendwann klar war, dass wir den 23. April als Starttermin für Isadoras Kindernicht halten werden können, zählten wir zu den Ersten, die auf unserer Streamingplattform diesen neuen Content unter der Beteiligung der Kinos angeboten haben.« Bei dem eksystent-Modell werden die Einnahmen an alle teilnehmenden Kinos, das sind rund 500, verteilt. »Die Kinos«, so Kijas weiter, »erhalten bei Kauf unseres Films einen Anteil, der in etwa dem Umsatz eines regulären Kinotickets entspricht.« Dabei hat der Nutzer des Streamingangebots die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, an welches Kino der Anteil ausgezahlt werden soll. Laut Kijas ist die aus der Not geborene Hauruckaktion wunderbar angenommen worden: » Isadoras Kinderwar bis vor Kurzem noch die Nummer eins der meistgekauften Titel auf Kino-on-Demand. Man merkt also ganz deutlich, die Menschen wollen, dass die Kinos bestehen bleiben und die Filmkultur aufrechterhalten wird.
Und bei den Kinos kommt am Ende auch was an, das sind nicht nur Kleckerbeträge. Denn wenn man drei Euro pro Kauf bekommt, dann entspricht das faktisch einer Kinokarte.« Dennoch muss man abschließend feststellen, dass die Aktionen von eksystent und Grandfilm kaum mehr als ein paar wenige Tropfen auf den heißen Stein sind, also maximal eine Übergangslösung sein können. Zudem kann nichts davon ein Kinoerlebnis auch nur annähernd ersetzen. Unabhängig davon arbeitet Tobias Lindemann mit seinem Team an weiteren kreativen Zwischenlösungen. So plant er etwa einen virtuellen Filmclub, wo man über Skype oder Ähnliches zusammenfindet und so über Film diskutiert. Er glaubt außerdem: »Das Entscheidende ist, dass man Kino wieder wertschätzen lernt und zum Beispiel gezielt Filme sieht, von deren Streams auch die Kinos profitieren. Das kann natürlich nur eine Art Ersatzhandlung sein. Aber trotzdem sollte man immer an das denken, was man nach der Krise vorfinden möchte.«
Leider ist ein Ende der momentanen Situation nach wie vor nicht abzusehen. Man kann nur hoffen, dass der Staat seine Fördertöpfe auch für Kulturtreibende weiter aufstockt, dass die Regelungen für Großveranstaltungen schnellstmöglich gelockert und dass möglichst viele Kinos die desaströsen Folgen der Corona-Pandemie überleben werden. ||
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