Wie geht es dem freien Theater seit dem Corona-Shutdown? Sabine Leucht fragte bei einer Reihe von Spielstätten und Einzelkünstlern nach.

Keine Rücklagen, keine Einnahmen, keine Planungssicherheit

Das liebe Geld oder die Verwirrung um den Wert der Kultur

Die Halbwertszeit von Nachrichten ist in diesen Tagen minimal. Kaum hat man etwas hingeschrieben, schon ist es überholt. Eigentlich sollte dieser Artikel mit dem Ärger darüber beginnen, dass weder die »Leopoldina« in ihren Empfehlungen zur Lockdown-Lockerung, noch die jüngsten Corona-Verlautbarungen von Angela Merkel und Markus Söder die Kultur auch nur erwähnen. Nun aber hat Bayern zwar noch immer nicht den Sack mit den verbotenen »Großereignissen« aufgemacht, in denen die intimste Theateraufführung zwischen Kalibern wie der Wiesn und der Bundesliga festklemmt, dafür aber den Geldbeutel.

Künstler und Kreative, so heißt es Stand heute, 20. April, sollen die nächsten drei Monate 1000 Euro monatlich erhalten. Vorausgesetzt, sie sind über die KSK versichert. Man orientiere sich damit am Konzept von Baden-Württemberg, so Söder. Und kommt damit den von verschiedenen Verbänden und Netzwerken geäußerten Forderungen nach, die bestehenden Soforthilfen für Soloselbstständige von Bund und Ländern der ganz anderen Lebenswelt von Künstlern anzupassen. Das entspricht dem bedingungslosen Grundeinkommen auf Zeit, das sich in unserer Umfrage in der freien Szene auch viele Einzelne wünschten, und lindert hoffentlich erst mal die allergrößte Not. Denn viele freie Theaterleute haben seit dem Tag X ein Einkommen von null Euro.

Die Situation der Spielstätten der freien Szene

Ob sie nun nur drei Tage nach der letzten Premiere reihenweise ausverkaufte Vorstellungen absagen mussten wie das Metropol oder vom Virus mitten in den Geburtstagsfeierlichkeiten ausgebremst worden sind wie das TamS: Alle Spielstätten der freien Szene mussten von einem Tag auf den anderen den Betrieb einstellen und stehen seitdem vor vielen Fragezeichen. Die Verlegung abgesagter Premieren machen die vielerorts lange im Voraus disponierten Spielpläne nicht oder nur sehr langfristig möglich: Das HochX geht beispielsweise von Verwerfungen um ein Jahr aus. Und auch im Herbst warten ja schon etliche Ereignisse auf ihren vorreservierten Slot, wie etwa das noch nicht abgesagte Rodeo-Festival und das Freie Theater München (FTM), das vom 9. bis 12. September seinen 50. Geburtstag nachfeiern will. Ganz zu schweigen davon, dass dann hoffentlich auch wieder die Stadt- und Staatstheater aufmachen. Wenn der Herbst also nicht auch noch kulturfrei hat, wird es da sehr sehr eng.

Da die städtisch geförderten Häuser über die zugesagten Mittel für 2020 weiter verfügen und sie – wie Jochen Schölch für die Metropol GmbH vermeldet – außerplanmäßig auch für laufende Kosten verwenden dürfen, leiden die Theater selbst vorerst »nur« unter Einnahmeausfällen, der fehlenden Nähe zum Publikum, dem Planungsvakuum und der Tatsache, dass durch Umdisponierungen entstehende Mehrkosten nicht gedeckt sind. Wobei die finanzielle Situation wie die nervliche Konstitution unterschiedlich sind und etwa Heiko Dietz für das theater … und so fort Gefahr in Verzug meldet. Nach langer Heimatlosigkeit hat es eine erst im Februar offiziell genehmigte neue Bleibe gefunden – weshalb Dietz trotz eines bewilligten Antrags auf Soforthilfe seine Fixkosten nicht gedeckt sieht: »Wenn die Schließung zu lange dauert, werden wir die sich angesammelte Miete nie bis zum erweiterten Zahlungsziel zurückzahlen können. Wir können nicht plötzlich doppelt so viel einnehmen.

Und es gibt ja auch noch offene Rechnungen aus der Theaterneueröffnung und Neueinrichtung zu begleichen.« Rücklagen zu bilden, schafft in der freien Szene praktisch niemand. Und auch wenn die Spielstätten nicht gleich zusperren müssen, stehen ihre freien Mitarbeiter schnell vor dem Nichts: Die Schauspieler des Theater Viel Lärm um nichts haben laut dessen Leitern Margrit Carls und Andreas Seyferth beim Wirtschaftsministerium Geld für entgangene Einnahmen beantragt und bekommen. Und auch das Pathos meldet, dass zwei künstlerische Mitarbeiter erfolgreich Soforthilfe beantragt haben. Das Metropol bezahlt auf freiwilliger Basis 60 bis 67 Prozent der ausgefallenen Gagen, angelehnt an die Regelungen der Kurzarbeit. Sein Freundeskreis hat eine Spendenaktion gestartet, um die freien Künstler auch weiterhin unterstützen zu können – und auch viele andere Theater wie etwa das TamS oder das theater … und so fort sammeln Spenden.

Statement der Regisseurin Christiane Mudra
theater

Christiane Mudra | © Jeanne Degraa

Mich beschäftigen die unterschiedlichen Reaktionen auf den Shutdown. Von großer Solidarität bis zu chauvinistischen Gedanken und wilden Verschwörungstheorien ist da alles mit dabei. Ich hoffe, dass man sich auch nach der Krise daran erinnert, was verzichtbar war. Videokonferenzen könnten zum Beispiel dauerhaft manches Meeting ersetzen und damit den Flugverkehr reduzieren.Ganz nebenbei hat auch die AfD seit Corona jegliche Bedeutung verloren. Ich hoffe sehr, dass das so bleibt, bin aber noch verhalten optimistisch. Für uns Freischaffende hoffe ich auf eine neue Debatte zur sozialen Absicherung. Das betrifft sowohl Vertragsstandards bei Ausfallhonoraren als auch die grundsätzliche Stellung der unzähligen Soloselbstständigen. Unser Sozialsystem ist auf Angestellte zugeschnitten. Das genügt längst nicht mehr den gesellschaftlichen Realitäten. ||

Die Fortsetzung können Sie demnächst hier lesen oder bereits ab dem 2. Mai in der aktuellen Ausgabe. Zu haben über den Online-Kiosk, ikiosk.de und an den Verkaufsstellen.

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