Abbas Khider schildert in seinem Roman »Palast der Miserablen« die Grauen der Diktatur unter Saddam Hussein und erschafft unvergessliche Figuren voller Leben.

Überleben

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»Menschen können alles meistern, wenn sie wollen«, sagte Abbas Khider in einem Gespräch im Deutschlandfunk, das alternativ zu den abgesagten Veranstaltungen der Leipziger Buchmesse stattfand. Das sagt jemand, der weiß, wovon er spricht. Über seine wechselvolle Biografie muss der in Bagdad geborene Autor, der vor Gefängnis und Folter unter der Herrschaft Saddam Husseins flüchtete und auf entbehrungsreichen Umwegen nach Deutschland kam, wohl in jedem Interview Auskunft geben und sie zu seinem Schreiben in Bezug setzen.

Wer schon Bücher von Abbas Khider gelesen hat (etwa »Ohrfeige«, 2016, oder »Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch«, 2019), kennt seinen subtilen Humor und seine satirische Ader. Auch der »Palast der Miserablen« steckt voller Humor trotz des Grauens, von dem hier auch erzählt wird. Das Buch beginnt damit, dass sich dem Ich-Erzähler im Gefängniskrankenhaus plötzlich die Möglichkeit zur Flucht auftut. Doch er erwägt sie erst gar nicht, weiß er doch, dass er trotz Folter sogarin der Zelle noch besser dran ist als draußen, wo er einer skrupellosen Soldateska schutzlos ausgeliefert wäre. Das ganze Land ist ein Gefängnis.

»Eine grandiose, starke Frauenfigur, die Khider da geschaffen hat. «

So erzählt er aus dem Rückblick, was geschehen ist, Gefängnisgegenwart und Erinnerung wechseln sich ab. Letztere beginnt im Irak der 90er Jahre, der sich in einem dauerhaften Ausnahmezustand befindet. Nachkriegszeit, Totalembargo und Diktatur bilden eine grausame Trias. Der zwölfjährige, eher zurückhaltende und schüchterne Shams Hussein, seine ältere Schwester Qamer und seine Eltern verlassen ihr Dorf im Süden des Landes an der Grenze zu Kuwait. Sie ziehen nach Bagdad, in der Hoffnung, dort, im Zentrum des Sturms, vor den Schergen der Baath-Partei sicherer zu sein. Ein paar Wochen kann die vierköpfige Familie noch bei Verwandten unterkommen, dann bleibt ihnen nichts anderes, als sich im sogenannten »Blechviertel«, einem Müllberg nahe Saddam City, aus allem was sie finden können, eine Behausung zu bauen. Bald beginnen sie, sich mit der Situation zu arrangieren, Wege aus der existenziellen Not zu finden. Die Mutter kann als Wahrsagerin dazuverdienen, der Vater verdingt sich als Träger, sucht Reparierbares aus dem Müll, das er verkauft. Shams verkauft Plastiktüten. Wenn er in schwierige Situationen gerät, verlässt er sich ganz auf seine ältere Schwester Qamer, die er geradezu verehrt. Qamer trotzt allem, was ihr im Weg steht, und wird noch mit den brenzligsten Situationen fertig. Eine grandiose, starke Frauenfigur, die Khider da geschaffen hat. Bald freilich wird sie Opfer ihres stürmischen Gestaltungswillens und ihrer unbedingten Aufstiegssehnsucht und reißt viele Menschen mit ins Unglück.

Für Shams ändert sich das Leben, als er die Welt der Bücher entdeckt – Eintrittstor sind erotische Erzählungen von Alberto Moravia, die dem Pubertierenden auf einem Flohmarkt in die Hände fallen. Von nun an spielen Bücher eine zentrale Rolle in seinem Leben. Jeden Freitag begibt er sich auf Bagdads Büchermarkt, der ihm zur Oase wird inmitten von Gewalt und Elend. Bald lernt er eine Gruppe von Lesern und Intellektuellen kennen, die sich regelmäßig trifft und ihn aufnimmt: »Willkommen im Palast der Miserablen.« Sie wissen, dass das Lesen eine revolutionäre Tat ist, Widerstand in einer Welt, in der ein Wort das Leben kosten kann. Doch die neue Gemeinschaft wird nicht von großer Dauer sein, denn die Ereignisse spitzen sich zu, und wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, landet im Gefängnis.

Florian Welle über Abbas Khiders Roman »Ohrfeige«

Khiders Figuren sind in ihrer allzu menschlichen Ambivalenz, in ihren völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die äußeren Umstände, an denen sie so wenig ändern können, mit viel Verständnis und Humor gezeichnet. In poetischen Bildern erzählt er vom einfachen Leben, dem Alltag im Elend, dem Halt, den die Familie gibt, und der Enge, die sie zugleich bedeutet. Die Gefängniserfahrungen auf der zweiten Erzählebene werden dagegen in klarer, nüchterner Sprache geschildert und wirken dadurch umso eindringlicher. Ein zutiefst trauriges Buch von tiefer Menschliebe mit so lebendigen Figuren, dass sie einen weiterbegleiten und sich zu Wort melden im eigenen Gedächtnis. Unbedingt lesenswert! ||

ABBAS KHIDER: PALAST DER MISERABLEN
Hanser, 2020 | 320 Seiten | 23 Euro

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