So charakterisiert Pieke Biermann den Roman »Oreo« von Fran Ross, für dessen Übersetzung sie gerade ausgezeichnet wurde.

»Satirisch ja, feministisch sowieso und natürlich antirassistisch«

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Pieke Biermann | © Isolde Ohlbaum

Es war einmal in Amerika – anno 1974. Da veröffentlichte ein kleiner Verlag in den USA den Roman »Oreo« der afroamerikanisch-jüdischen Autorin Fran Ross. Er fand keine Aufmerksamkeit und verschwand in der Versenkung. Wiederentdeckt wurde er 2000 von Harryette Mullen, einer schwarzen USLiteratin, und wieder veröffentlicht 2015 in einem populären US-Verlag sowie 2018 in einem britischen. Der jamaikanische Schriftsteller Marlon James rezensierte ihn 2018 im »Guardian«. Das weckte die Neugier von Pieke Biermann: Sie wollte das Buch nach der Lektüre unbedingt übersetzen. Pieke Biermann ist Schriftstellerin, Journalistin, dazu Übersetzerin aus dem Italienischen und Englischen. Und zwar derzeit die beste Deutschlands. Im März hat sie den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung erhalten – für ihre kongeniale Übertragung von »Oreo«.

Frau Biermann, als ich zum ersten Mal ein Buch von Stefano Benni las, »Komische Krieger«, dachte ich: Wow, wer das übersetzen kann, ist eigentlich ein Co-Autor. Da hat sich mir Ihr Name eingeprägt. Sehen Sie sich als Mit-Dichterin?
PIEKE BIERMANN: Jein. Natürlich ist der Übersetzer auch ein Schöpfer und Kreator. Trotzdem gibt’s die Vorlage als eigene kreative Leistung. Wenn eine Übersetzung der qualitätsmäßig entspricht, kann man vielleicht von zwei Autoren sprechen.

Wie lange haben Sie an dieser Übertragung gearbeitet?
Nur drei bis vier Monate, das aber nonstop. Ich arbeite sonst immer nur eine Schicht von drei bis vier Stunden am Nachmittag. Hier habe ich zwei Schichten vormittags und nachmittags gearbeitet, jeweils mindestens zwei Stunden. Ich war so gefesselt und neugierig. Die erste Rohfassung ist unlesbar, weil ich mich inzwischen so der Originalsprache anverwandelt habe, dass ich fast nicht mehr richtig Deutsch kann. Ich brauche eine Pause, fange an zu recherchieren, dann mache ich mich an die erste »Polierphase«. Es gibt noch zwei, drei weitere, erst die letzte ging an meine Lektorin Hella Reese für die Redaktion. Wir sind gemeinsam per Telefon bestimmt noch drei-, viermal alles durchgegangen und wir haben jedes Mal schallend gelacht.

Und nun sind Sie dafür mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden.
Ich fand schon die Nominierung irre. Denn das Buch ist reine Asphaltliteratur, ein Genrehopper, gar nicht Highbrow. Ich glaube, in den 70er Jahren hätte »Oreo« keine Chance auf eine Übersetzung gehabt. Der atmosphärische und sprachliche Background, die schwarze Musikkultur waren damals im deutschen Sprachraum längst nicht so präsent.

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Dieser sprunghafte Stilmix aus schwarzen Idiomen, Jiddisch und dann noch inhaltlichen Bezügen zur griechischen Mythologie ist allerdings mühsam zu lesen.
Das hieß es auch über meine eigenen Romane. Die kann man nicht einfach wegschlucken. Das erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration. Aber fordernde Autoren geben sich so viel Mühe mit ihren Texten, also bitte, liebe Leser, strengt euch auch an. »Oreo« ist so sauklug, so saukomisch und so gebildet – das ist cut-up-mäßig genial verknüpft.

Ich habe das stellenweise fast wie einen Comicstrip empfunden. Aber damit war Fran Ross ihrer Zeit Anfang der 70er
Jahre weit voraus.

Die schwarze amerikanische Literatur hat mit den Frauen begonnen, und Fran Ross war absolut zu früh dran. Sie hat das Buch im Selbstverlag mit ihrer Freundin herausgebracht. Mal sehen, ob man mit der Furore, die es jetzt im deutschen Sprachraum macht, nicht auch auf die Rezeption in Amerika einwirken kann. Da will ich mich dahinterklemmen. Es gibt ja noch Leute, die Ross kannten in den 70er Jahren. Da gehörte sie zur New Yorker Boheme-Szene. Leider ist sie schon 1985 mit nur 50 Jahren an Krebs gestorben.

»Oreo« strotzt auch vor ausgefallenen Fremdwörtern, die man noch nie gehört hat. »Indehiszent« für Blumen, deren Blüten sich nicht öffnen, kennen wohl nur Biologen.
Die Fremdwörter stehen alle so im Original und sind nicht erfunden. Aber bei Wortspielen habe ich viel erfunden. Wenn Oreo die zweite Frau ihres Vaters georgisch-jüdisch nennt, spielt »Georgia« einerseits auf die mythologische Medea an, die aus Georgien stammte, meint aber auch den US-Bundesstaat Georgia. Da muss man den Witz rüberbringen, ohne ihn erklären zu müssen. Das war bei Stefano Benni auch schon so.

Der Roman lässt sich in keine Kategorie einordnen. In einer Rezension wurde er als »satirisch-feministischer Schelmenroman« bezeichnet.
Ja, das ist alles drin. Auch das Spiel mit den französischen Dekonstruktivisten und ihrem Gesäusel, mit Jargon und Wissenschaftssprache. Ross springt durch alle Genres und hat die Chuzpe, alle Formen zu kneten und zu verwenden. Satirisch ja, feministisch sowieso und natürlich antirassistisch. Ross besetzt alle Räume jenseits der »slave narratives«, klug und auch noch komisch – herrlich.

Sollte der Leser vorher das jiddische Glossar am Ende und den Theseus-Mythos nachlesen, dem die Personen zugeordnet sind? Oder ohne Vorwissen anfangen?
Einfach loslesen, sich davon verführen lassen und Spaß haben.

Sie selbst haben vier Kriminalromane und einen Band mit Kurzgeschichten geschrieben. Was interessiert Sie am Krimigenre?
Ich hatte mal in den 80er Jahren eine unheimliche Wut auf die Selbstbefindlichkeits-Überprüfungen von Kritikern, ich wollte die am liebsten alle umbringen. Und wenn man das literarisch anstellt, geht’s keinem ans Leben, und wenn man’s gut anstellt, hat man vielleicht auch noch Erfolg. Ich guck’ gern in fremde Lebenswelten rein, und wollte keine Märchen schreiben, sondern genau wissen, wie’s bei der Polizei zugeht. Da kriegt man als Schriftsteller ganz andere Einblicke denn als Journalist, das war total spannend. Aber nach vier Krimis wurde mir das Genre zu eng, das mag ich nicht. Dann hab’ ich wieder Reportagen und Übersetzungen gemacht und Kritiken geschrieben.

Sie hatten vorher schon ein Buch über Prostitution veröffentlicht und haben auch selbst gelegentlich angeschafft. Wie kam das?
In meiner Studienzeit in Hannover gab’s jedes Jahr die Industriemesse. Das war eine Verdienstmöglichkeit: Als Standhilfe bekam man 100 Mark am Tag für zehn Stunden Arbeit. Aber die Bars hatten auch Hochkonjunktur, und eine Freundin erzählte, da könne man in einer Nacht das Dreifache verdienen. Also hab’ ich mir so eine Bar angeschaut. Für eine Flasche Sekt konnte der Gast in ein Separee gehen. Bei meinem ersten Gast nahm mich eine Kollegin beiseite: Verdirb uns hier nicht die Preise! Für alles extra zahlt der extra! Da sind mal kurz die Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt: Der Mann ist darauf angewiesen, dass ich will. Aus diesen Erfahrungen und weil mich die Welt der Huren interessiert hat, ist mit anderen Frauen zusammen das Buch entstanden.

Damit wurden Sie zur »Frontfrau der Hurenbewegung«.
In der Phase bin ich mit dem Buch getingelt. Ich konnte damals als Einzige damit öffentlich sein.

Wie kommen Sie eigentlich zu dem ungewöhnlichen Vornamen Pieke?
Den hat mir mit zehn, elf Jahren meine liebste Freundin zugedacht, weil wir beide unsere treudeutschen Vornamen nicht mochten. Sie hatte in einem der damals verpönten Comics die Namen Pyke und Tyke gefunden, das waren zwei Bulldoggen. Pieke blieb kleben an mir und ich hab’ es gern beibehalten.

Sind Sie denn als Person piksig?
Das kann ich durchaus sein. Ich bin sehr pointiert im Punktuellen und ich bin ein Widder. Und die Pike ist ja eine gute Waffe, das gefällt mir. Der Name passt in alle Richtungen.

Und welche Pläne haben Sie als Nächstes?
Erst mal keine! Der Preis schenkt mir ein Jahr Leben ohne Arbeitenmüssen. Ich würde gern mit »Oreo« tingeln und das genießen. Vielleicht sollte ich mal ins »Milieu Politik« eintauchen, dann hätte ich alle Ps durch … Wie ticken die da, wie betriebsrund wird man warum – von meinen Steuergeldern! Aber ich glaub’, das ist mir doch zu langweilig. ||

Fran (eigtl. Frances Dolores) Ross (1935–1985) war ein Wunderkind. Bereits im Alter von 15 Jahren studierte sie als Stipendiatin Kommunikationswissenschaften, Journalistik und Theater in Philadelphia. 1960 ging sie nach New York und war bald Teil der Intellektuellenszene, musste sich aber mit Korrekturlesen ihren Lebensunterhalt verdienen. Nebenbei schrieb sie für Magazine. »Oreo« erschien 1974, blieb damals aber ohne Echo. Fran Ross starb mit 50 Jahren an Krebs.

ZUM BUCH:
Schwarz, jüdisch, weiblich, das alles ist sie, die 15-jährige Protagonistin Oreo (benannt nach dem schwarzen Keks mit der weißen Füllung). Die Suche nach dem weißen jüdischen Vater und dessen Geheimnis führt sie nach New York ins Labyrinth des Minotaurus. Als moderne Wiedergängerin des antiken Helden Theseus begegnet Oreo in irrwitziger Abfolge den schrägsten Figuren, Zuhältern und Satyrn, die sie als Superwoman mit Superhirn alle zur Strecke bringt. Und auch Samuel Schwartz, den Vater, stöbert sie am Ende auf, wenn es auch anders endet als gedacht. Keine Gewissheit bleibt erhalten, kein Tabu ungebrochen, Jargons werden rücksichtslos durcheinandergewirbelt. Lautes Lachen beim Lesen garantiert.

FRAN ROSS: OREO
Aus dem amerikanischen Englisch von Pieke Biermann
dtv, 2020 | 288 Seiten | 22 Euro

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