Raffael für daheim: In Zeiten geschlossener Museen kann man zum Kunstgenuss auf Ulrich Pfisterers faszinierendem Bildband »Raffael – Glaube, Liebe, Ruhm« zurück greifen.

Glaube, Liebe, Ruhm

raffael

Ein von Raffael geschaffener neuer Bildtypus und ein Meisterwerk der Blickbeziehungen: Die »Sixtinische Madonna« aus dem Kloster San Sisto in Piacenza (wo die Reliquien der Hlg. Barbara und von Sixtus II. aufbewahrt werden), heute das Highlight der Dresdener Gemäldegalerie|© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Nach drei Tagen war Schluss. Dann waren sie wieder zu, die Türen zur gerade eröffneten, größten jemals organisierten Raffael-Ausstellung in der Scuderie del Quirinale in Rom. 120 Werke, zusammengetragen aus ganz Europa – darunter Highlights wie sein Selbstbildnis aus den Uffizien, die Porträts von Papst Julius II. aus London oder des Schriftstellers Baldassare Castiglione aus dem Louvre – müssen wegen des Coronavirus bis auf weiteres ohne Besucher ausharren; ursprünglich sollte die Schau bis zum 2. Juni dauern. Auch die »Madonna Tempi« aus München war nach Rom ausgeliehen, und hier bei uns sind die »Madonna della Tenda« und seine »Heilige Familie« nicht zu sehen, denn die Alte Pinakothek hat auch erst mal zu. Und das im großen Raffael-Jubiläumsjahr: Am 6. April jährt sich der Todestag des Malers zum 500. Mal. Wer sich Raffael trotzdem nähern will – und das lohnt sich! – muss zum Buch greifen.

Empfohlen sei der große Raffael-Bildband aus dem C.H.Beck-Verlag von Ulrich Pfisterer, Professor für Kunstgeschichte an der Münchner LMU. Der Titel lässt aufhorchen: »Glaube, Liebe, Ruhm«. Es sind tatsächlich jene drei Themengebiete, die helfen Raffael zu verstehen. Raffaels Ruhm ist dabei ein ganz eigenes Phänomen: Bereits zu Lebzeiten galt er als »Gott der Malerei«. Über Jahrhunderte hinweg setzte sich seine Verehrung fort. Man muss sich das mal klarmachen: So sehr sich Lebensbedingungen, Weltvorstellungen und Kunststile in den letzten 500 Jahren immer wieder verändert haben, standen die Arbeiten Raffaels dabei doch nie zur Diskussion.

Raffael, der göttliche Maler

Als Raffael 1529 in Rom stirbt, ist er gerade einmal 37 Jahre alt. Die Zeitgenossen sind erschüttert. In zeitgenössischen Berichten heißt es, im Moment seines Todes habe die Erde vor Trauer gebebt; der Papst habe wegen Rissen in der Wand seine Gemächer verlassen müssen. Als Christus am Kreuz starb, so die Bibel, soll die Erde auch gebebt haben. Die Zeitgenossen interpretieren die Parallelen zwischen Christus und Raffael als Beweis für die Göttlichkeit des Malers. Beide sind an einem Karfreitag gestorben, beide waren etwa im gleichen Alter, kinderlos und unverheiratet. Beigesetzt wird Raffael im altehrwürdigen Pantheon.

Doch warum wurde gerade Raffael so verehrt? Anders als etwa Michelangelo und Leonardo, die von der Nachwelt erst im 19. und 20. Jahrhundert in den Malerolymp erhoben wurden? Der Aufstieg des Rapphaello Santi aus Urbino war kometenhaft. Eines seiner frühen Meisterwerke zeigt die Grablegung Christi: Zwei Männer tragen den Leichnam des Heilands auf einem weißen Leintuch, im Hintergrund ist der Berg Golgatha mit den drei leeren Kreuzen zu sehen, links vorn das Ziel ihres Wegs, die dunkle Grabkammer. Die zahlreichen Figuren um das Geschehen herum sind zutiefst bewegt – körperlich und emotional: Maria Magdalena hat die Hand des Toten ergriffen, scheint ihm noch etwas zuzurufen; einer der Jünger hat grollend die Augen zum Himmel erhoben; und seine Mutter Maria ist ohnmächtig zusammengebrochen. Aus einem sonst eher statischen Bildmotiv macht Raffael hier eine dramatisch bewegte Bilderzählung. Und er macht aus dem biblischen Geschehen eine sehr irdische Erfahrung. Da ist zum Beispiel der Umgang mit dem Körper: Raffael hat den Leichnam so gemalt, dass man die Schwere des toten Körpers regelrecht spüren kann. Die Begleiter sind bei ihm nicht irgendwelche Bibelfiguren, durch ihre Gefühle werden sie zu Menschen aus dem Hier und Jetzt: zur liebenden Mutter, zu mitfühlenden Freunden, alleingelassenen Mitstreitern.

Raffael das Sozialgenie

Die Zeitgenossen sind überwältigt von dem Gemälde, von nun an stehen dem jungen Maler Tür und Tor der mächtigsten Häuser offen. Der kunstsinnige Papst Julius II. beauftragt ihn, seine Privatgemächer auszumalen. Als er die ersten Arbeiten sieht, lässt er die gerade fertig gewordenen Fresken anderer Maler wieder abschlagen, damit Raffael noch mehr ausgestalten kann. Die Zeitgenossen schätzen Raffael aber nicht nur als Maler, sondern auch als Mensch. Er ist ein beliebter Gesprächspartner, vielseitig interessiert und von einnehmender Persönlichkeit. Kurz, Raffael muss ein Sozialgenie gewesen sein. Und ein guter Geschäftsmann obendrein: Raffael ist einer der ersten Künstler, die eine große Werkstatt führen. Er ist offen für neue Techniken und Medien. So erkennt er zum Beispiel schnell, welche Möglichkeiten der Kupferstich ihm bietet: mit dessen Hilfe kann er seine Bilderfindungen vervielfältigen und verbreiten. Vor allem aber ist Raffael ein hochinnovativer Künstler, der immer wieder versucht, über Jahrhunderte tradierte Bildthemen neu zu begreifen.

Zum Beispiel seine »Sixtinische Madonna« in der Gemäldegalerie Dresden: Im oberen Bereich sieht man Maria mit dem Jesuskind im Arm, umgeben von Wolken, die bei näherer Betrachtung kleine Engelsköpfe sind. Zu ihren Füßen knien Papst Sixtus und die heilige Barbara. Das Bildthema »Maria mit Heiligen« zeigt üblicherweise Maria in der Mitte auf einem Thron sitzend. Raffael aber macht daraus ein Ereignisbild: Bei ihm sitzt Maria nicht, sie steht auch nicht, sie schreitet auf den Betrachter zu, in Richtung irdische Welt. Ihr im Wind sich bauschender Schleier lässt die Bewegung extra schwungvoll erscheinen. Und warum schreitet sie auf die Menschen zu? Sie will ihnen ihr Kind geben. Raffael hat hier die überirdische und die weltliche Sphäre miteinander verbunden.

Immer wieder hat Raffael es so geschafft, Geschehnisse aus der Bibel oder sogar abstrakte theologische Themen für die Menschen verständlich zu machen. Zuvor machten vor allem Symbole und Attribute Bilder lesbar, man musste sie kennen, um das Bild zu verstehen. Raffael appelliert nicht an das Wissen des Betrachters, sondern an seine Fähigkeit, Emotionen aus Gesichtern, Gesten und Körperhaltungen herauszulesen und mitzuempfinden. Das macht ihn noch heute so modern. ||

ULRICH PFISTERER: RAFFAEL – GLAUBE, LIEBE, RUHM
C.H. Beck, 2019 | 384 Seiten, 235 farb. Abb. | 58 Euro | Beliefern lassen Sie sich am besten von Ihrer lokalen Buchhandlung

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