Podcasts können schon lange mehr als nur labern. Ein Preis würdigte nun diese Medienform.
Kopfkino auf Knopfdruck
Veranstaltungsabsagen und -verschiebungen sind dieser Tage kaum mehr eine Nachricht wert. Zu viele Live-Events sind der Corona-Krise zum Opfer gefallen. Umso wichtiger ist es, auf schlichte Meldungen zusammengedampfte Ereignisse nicht einfach unter den Teppich zu kehren, sondern sie eben auf anderem Wege zu würdigen. Dazu gehört sicher auch die erstmalige Verleihung des Deutschen Podcast Preises, die Ende März in Berlin hätte stattfinden sollen. Denn damit wird in Deutschland zum ersten Mal der Podcast als eigenständige Medienform gefeiert.
Da hatte sich in den letzten Jahren sicherlich viel getan: 2013 wurde mit »Soziopod« von Nils Kölbel und Patrick Breitenbach der erste Podcast beim Grimme-Preis ausgezeichnet, 2019 fügten sowohl der Deutsche Hörbuchpreis als auch der Deutsche Radiopreis eine eigene Kategorie für Podcasts hinzu. Sie bedachten die Dokumentarformate »Transformer« von Christina Wolf (Bayerischer Rundfunk) und »Geheimakte Peggy« von Ralf Zinnow und Christoph Lemmer (Antenne Bayern) mit Preisen. Dreizehn Akteure der Audiobranche haben nun den Deutschen Podcast Preis ins Leben gerufen, um alle Aspekte und Genres des Formats würdigen zu können.
Dass Podcasts nun in ihrer thematischen wie formalen Vielfalt einen eigenen Preis zugedacht bekommen, ist nur folgerichtig, haben sie sich doch von einer Verbreitungstechnologie zu einem eigenen Genre in der Audiolandschaft entwickelt. Ursprünglich von Radiosendern dazu verwendet, ihre Inhalte auch nach der analogen Ausstrahlung online verfügbar zu machen, also im archivarischen Sinne einer Mediathek, entstehen Podcasts mittlerweile unabhängig von festen Sendungen oder Redaktionen – irgendwo zwischen Hörspiel, Feature, Interview und Dokumentation. Radiosender haben ihre Angebote aus gebaut und eigene Podcastredaktionen eingesetzt, Produktionsfirmen spezialisieren sich auf das Medium und digitale Labels wie Spotify, Audible und Deezer machen nicht nur externe Produktionen verfügbar, sondern realisieren auch eigene Formate. Laut der Online-Monitor-Studie nutzten 2019 über 7,3 Millionen der Nutzer von Onlineangeboten inDeutschland Podcasts, das sind 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Auffällig ist auch, dass die Zahl der regelmäßigen Hörer steigt: Podcasts werden gezielt eingeschaltet.
Die Ausdifferenzierung sowohl von dokumentarischen, fiktionalen als auch nachrichtenorientierten Themen und Umsetzungsformen hat entsprechend auch die Podcastszene erweitert und spezialisiert. Wer noch glaubt, der »Laberpodcast« ohne roten Faden oder inhaltliche Substanz sei Standard, wird überwältigt sein von der Fülle an Wissen, Unterhaltung und journalistischem Gespür für Themen, die die hiesige Podcastlandschaft zu bieten hat. Auch tagesaktuelle Entwicklungen werden fundiert abgebildet und reflektiert. Der Politikpodcast »Fest & Flauschig« von Jan Böhmermann und Olli Schulz zählt quasi schon zu den Klassikern. Das prominenteste Beispiel ist momentan wohl der täglich vom NDR produzierte Podcast mit Christian Drosten, dem Chefvirologen der Charité Berlin. In halbstündigen Gesprächen diskutiert er Entwicklungen zur Corona-Krise, ordnet ein und gibt wissenschaftliche Einschätzungen dazu.
Wissensformate funktionieren ohnehin sehr gut, das bestätigt auch Klaus Uhrig, der die Podcastserien beim Bayerischen Rundfunk redaktionell betreut. Die Podcastausgabe der Sendung »radioWissen« werde besonders gut angenommen. »Podcasts werden gezielt aufgerufen, weil sie ein Thema vertiefen. Deshalb ist auch das serielle Erzählen hier so geeignet«, so Uhrig. Formate wie das von Uhrig betreute »Vier Tage Angst« sind entsprechend sehr erfolgreich. Darin erzählt Redakteur Till Ottlitz in fünf Teilen den Fluchtversuch seiner Mutter aus der DDR. Genau dieses Storytelling will auch die Münchner Produktionsfirma »Kugel und Niere« ausbauen und perfektionieren. Vorbild hierfür sind amerikanische Podcasts wie »This American Life« oder »Love+Radio«, in denen eben nicht nur Experten ihre Themen in Gesprächsformaten erläutern, sondern Geschichten erzählt werden. Die Journalistin Anna Bühler ist eine der fünf Mitbegründerinnen der 2015 gebildeten Firma und erklärt deren Herangehensweise: »Podcast ist etwas sehr Unmittelbares und Persönliches. Es geht um die Geschichten der Leute, und das muss auch im Hörszenario abgebildet werden – wer sind sie, wie klingen sie, was bewegt sie?« Dieses Kopfkino entfacht der Podcast »Der Moment«, die erste Auftragsproduktion von »Kugel und Niere« für Audible, in dem jede Folge von einem einschneidenden Moment im Leben einer Person erzählt – von einer heilenden Jesuserscheinung, einer unfallbedingten Amnesie, aber auch von der einen dummen Entscheidung, die aus einem Studenten einen Kunsträuber machte. Das Konzept funktionierte so gut, dass der Podcast bereits in die dritte Staffel geht und »Kugel und Niere« mit Bedacht auswählen können, welche Aufträge sie annehmen. Eine besonders aufwendige Produktion ist für April angekündigt: In Zusammenarbeit mit dem »Spiegel« schauten die Journalisten hinter die Kulissen des Berliner Flughafens und ergründen dessen holprige Entstehungsgeschichte.
Die Themen und Erzählformate im Podcast sind nahezu unendlich. »Das ist ja das Schöne«, so Anna Bühler, »egal welche Interessen ich habe oder wie alt ich bin – für jeden ist etwas dabei!« Auch die Liste der Gewinner beim Deutschen Podcast Preis spiegelt diese Vielfalt wider. In sechs Kategorien wurden die besten Podcastformate prämiert, zudem wurde ein Publikumspreis vergeben, der in einer Onlineabstimmung ermittelt wurde. Sowohl dokumentarische Podcasts wie »Zeit Verbrechen« (»Die Zeit«) für die beste journalistische Leistung oder Eva Schulz als beste Interviewerin im Politikpodcast »Deutschland3000« (Funk) als auch die fiktionale Story »Das allerletzte Interview« der Rapperin Visa Vie (Spotify) wurden ausgezeichnet. Die Moderatorin Charlotte Roche und ihr Ehemann Martin Keß, die im Gesprächspodcast »Paardiologie« (Spotify) Beziehungsthemen diskutieren, wurden als beste Newcomer und als bestes Talk-Team geehrt. ||
PUBLIKUMSPREIS
»Gemischtes Hack«, Spotify
BESTES SKRIPT / BESTE*R AUTOR*IN
»Das allerletzte Interview«, Spotify >> fiktional!
BESTE*R INTERVIEWER*IN
»Deutschland 3000«, Funk
BESTES TALK-TEAM
»Paardiologie«, Spotify; Charlotte Roche mit Ehemann
BESTE PRODUKTION
»Talk-O-Mat«
BESTE*R NEWCOMER*IN
»Paardiologie«
BESTE JOURNALISTISCHE LEISTUNG
»Zeit Verbrechen«
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