Nicht unbedingt ein Jugendbuch – aber unbedingt ein Buch für Jugendliche: »Blackbird« von Matthias Brandt überschreitet Grenzen.
Weiter, bitte!
Es hätte so schiefgehen können! Selbst wenn der Autor Matthias Brandt heißt und ein begnadeter Schauspieler, Sprecher und Sprachbeherrscher ist. Im Sommer 2019 hat er nach einem Band mit Erzählungen seinen ersten Roman veröffentlicht: In »Blackbird« tragen Vögel Trauer. In »Blackbird« wird gestorben. Mal wieder, denken misstrauische Jugendliteratur-Insider angesichts auf die Spitze getriebener Sick-Lit. Das ist die, bei der als Ausgangspunkt des Erzählens eine schwere Erkrankung herhalten muss, oder eben noch tiefschürfender: eine lebensgefährliche. Diese Bücher gibt es en masse.
Nun ist »Blackbird« kein Jugendbuch – aber unbedingt ein Buch auch für Jugendliche. Denn Matthias Brandt erzählt ungeahnt präzise und souverän nicht-pc – vielleicht gerade weil er kein Jugendbuch geschrieben hat. Und er hat sich mit Morten Schumacher, 15, genannt Motte, eine Jungs-Figur ausgedacht, die durchlässig und spöttisch ist, verknallt, verzweifelt, still und wortgewandt, (selbst)ironisch, kurz: einen neuen Typus von jugendlichem Protagonisten, wie er zuletzt Wolfgang Herrndorf in »Tschick« geglückt ist.
Mottes bester Freund Bogi erkrankt an Krebs. Mottes Eltern trennen sich, er selbst verrennt sich in der Liebe, Jacquelineführt ihn vor, aber Steffi, mit Nachnamen ausgerechnet Heugabel, angehende Kaminkehrerin und also Glücksbringerin qua Profession, kehrt das Untere nach oben. Sie liebt Wortspiele wie diese: »Wenn es Antilopen gibt, gibt es dann auch Lopen?«
Ja, das ist so eine Frage. Matthias Brandt nimmt sie genauso beim Wort wie andere Fragen: ans Leben, die Liebe, das Erwachsenwerden, die Abschiede. Den größten Abschied, das Sterben, erträgt Motte nur, indem er ihn ignoriert. Er besucht Bogi so gut wie nie im Krankenhaus. Er hält es einfach nicht aus. Wie auch? Sein Verleugnen zeigt das Ausmaß des Verlusts. Überhaupt brilliert Brandt mit enormem Gespür für adäquate Situationen, Charaktere, Bilder, für ein eigenes Tempo, einen dialogstarken Sound. Bei ihm ist der Tod kein Sprungbrett für Betroffenheitsliteratur. Stattdessen spielt eine der unvergesslichsten Szenen auf dem Sprungturm eines Freibads im Winterschlaf. Hier hat ein Bademeister seinen großen Auftritt und verhilft Motte zu einer Erkenntnis, die alle bisherige Erfahrung auf den Punkt bringt: »Und dass ich einfach nicht wusste, wie ich weiterleben sollte, ohne meinen besten Freund.« Doch Motte muss und wird weiterleben. Auch wenn er erst mal verstummt. All das Denken, Glauben, Hoffen, all die Worte nutzen doch sowieso nichts.
Nein? Doch. Dann nämlich, wenn mit derartiger Konsequenz, Aber-Witz und Zärtlichkeit dieses Weiter erzählt wird, damit dann vom Weiterleben weitergelesen werden kann. ||
MATTHIAS BRANDT: BLACKBIRD
Kiepenheuer & Witsch, 2019 | 288 Seiten | 22 Euro
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