Christina Tscharyiski inszeniert Stefanie Sargnagels Satire »Am Wiesnrand« als Tanz auf dem Bierbauch.
Kein Prosit der Gemütlichkeit
In »Statusmeldungen« schreibt die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel: »Mein Traumjob als Kind war eigentlich immer Märtyrerin.« Von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet hat sie dieses Ziel erreicht. Für das Münchner Volkstheater war sie letzten Herbst zwei Wochen lang täglich auf der Wiesn – meistens nüchtern – und hat ein Stück darüber geschrieben. Herausgekommen ist ein Bilderreigen des Grauens, des Jammers und des Fremdschämens, eine nur unwesentlich verböserte Bestandsaufnahme des größten Besäufnisses der Welt, bei dem Drogenkonsum allerdings aufs Schärfste verfolgt wird.
»Am Wiesnrand« heißt Sargnagels scharf und witzig auch den faschistoiden Untergrund dieser »eigentümlichen Massenveranstaltung« sezierender Text, stand sie doch als Beobachterin am Rand. Am Rand liegt aber auch der Kotzhügel, auf den die Wiesn alles ausspeit, was nicht mehr kreuchen kann. Also hat Sarah Sassen einen Hügel auf die Bühne des Volkstheaters gebaut, in Form eines Bierbauchs mit leicht behaarter Brust. Wie Bergsteiger erklimmen Henriette Nagel, Pola Jane O’Mara, Nina Steils, Jan Meeno Jürgens und Jonathan Müller diesen Hügel. Erst auf den zweiten Blick entpuppen sie sich als Flöhe (Kostüme: Svenja Gassen), die, wie es so Floh-Art ist, wuselig auf dem Bauch herumhüpfen und -krabbeln, lustig durcheinanderpurzeln und an der Wampe saugen. Christina Tscharyiski stellt dem Ensemble in ihrer rustikalen Inszenierung die Band Euroteuro zur Seite. Die nervt wie die Originalkapellen mit der Wiederholung schlimmer Musik und gruseligem Wir-haben-Spaß-Duktus von Schlagermusikanten. Nur die Ausflüge ins Punk-Genre wirken recht unglaubwürdig.
Wartet der Traumprinz am Wiesnrand?
Derweil trägt das Ensemble in freundlichem Erzählerton abwechselnd das Wiesntagebuch Sargnagels vor, fällt auch mal besoffen in der Gegend umher, zuckt wie unter Elektroschocks, kreist im Hula-Hoop-Reifen oder frömmelt im katholischenBetsingsang. Sargnagels Text zeichnet Bilder, die die Menschheit als deprimierenden Bodensatz der Schöpfung erscheinen lassen, über den man trotzdem lachen muss. Ihre satirische Überhöhung der Trachtenumzugskommentare lässt an Schrecken nichts zu wünschen übrig. Auch die zweifelhafte Geschichte der Wiesn als Ort sogenannter Exotenschauen bleibt nicht unerwähnt. Die Bekanntschaft mit Security und Polizei offenbart der Autorin nichts Neues, denn Rassismus ist ihr als Österreicherin vertraut.
Durchzogen ist der Text von der Suche nach dem Traumprinzen, denn die Gesellschaft trägt eine Tendenz von Torschlusspanik an Sargnagel heran, doch erscheint ihr der unbedingte Wille sich zu vereinen in diesem Umfeld als Akt der Verzweiflung. Die geschilderten Beischlafszenen erregen dann auch eher Mitleid. Das Ganze mündet in Splatter, wenn Frauen eine wundersame Wandlung ins Schreckliche gemacht haben. Vor lauter Hunger beißt eine dem Typen mit dem Stoffhendlhut in den Kopf, dass das Hirn raushängt. Darauf ein Prosit der Gemütlichkeit. ||
AM WIESNRAND
Volkstheater |5., 6. März, 2. April| 19.30 Uhr
Tickets: 089 5234655
Die komplette Ausgabe:
Online-Kiosk
Verkaufsstellen
ikiosk.de
Das könnte Sie auch interessieren:
Lucky Punch Comedy Club: Stand-Up in München
Schauburg München im Herbst
Wolf Haas erhält den Erich Kästner Preis
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton