Philipp Franz von Siebold war im 19. Jahrhundert ein Pionier der Japanologie. Sein »Museum«, die Kategorisierung und Präsentation seiner einzigartigen Sammlung, mit der man die fremde Kultur kennenlernen konnte, wurde nun rekonstruiert.
Im Arkadengebäude im Hofgarten präsentierte ab Mai 1866 Philipp Franz von Siebold 1600 Objekte seiner Japan-Sammlung. Eine wissenschaftliche Großtat, ein grandioser Überblick über Brauchtum, Handwerk und Kunstfertigkeit Japans. Andererseits lag ein Schatten über dem »Siebold’schen Japan-Museum«. König Ludwig II. kam nie zu Besuch. Eintritt durfte Siebold nicht erheben, als Privatmann zu Gast in dem öffentlichen Gebäude, das oben die königliche ethnografische Sammlung beherbergte. Dass die Räume so gut wie nicht beheizt waren und Feuchtigkeit eindrang, schadete den Exponaten wie der Gesundheit des Sammlers. Denn der arbeitete, wenn er nicht als Führer parat stand, in einem Nebenraum weiter an seinem großen »Nippon«-Werk, einer ethnografischen Darstellung dieses lange verschlossenen, nun sich öffnenden Landes.
Auch in seinem Münchner Logis, einem Zimmer in der heutigen Von-der-Thann-Straße, schrieb er unermüdlich, forschte an seinen weiteren Materialien, die zwischen Japan, Holland, Würzburg und München verstreut waren. Mit seinem 14-jährigen Sohn Heinrich, der dem Vater half, lebte er dort spartanisch, sie aßen »gewöhnlich zusammen für 40 Kreuzer zu Mittag«. Eine dritte Japanreise, die Siebold zusammen mit seinem Ältesten, Alexander, damals Sekretär der Englischen Gesellschaft in Japan, unternehmen wollte, ließ sich nicht realisieren.
Happy End?
Siebolds Verkaufsangebot der Sammlung an den Staat lief beim König und bei den Abgeordneten des Landtags ins Leere. Bayern hatte damals kein Geld. Auch nicht nach seinem Tod im November 1866 an Erkältungsfieber oder Blutvergiftung. Siebolds Familie musste das Zimmer räumen und den wissenschaftlich bedeutenden Nachlass in Teilen zu Geld machen. Einem Buchhändler wurden 85 Zentner Schriften und Bücher zur Auswertung übergeben, aber der Betrüger vernichtete 20 Zentner als Altpapier und verschleuderte unter der Hand die kostbaren illustrierten Exemplare von Siebolds »Fauna Japonica« und »Nippon«. Und auch 1869 wurde der stets von der Reichsrätekammer befürwortete Ankauf der Sammlung für 5000 Gulden der Witwe gegenüber wiederum abgeschlagen.
Erst 1874 wurde der Erwerb der Siebold-Sammlung genehmigt, die einen wichtigen Grundstock der 1868 im Galeriegebäude des Hofgartens eröffneten staatlichen ethnografischen Sammlung bildete, dem späteren Völkerkundemuseum und heutigen Museum Fünf Kontinente. (Schon 1835 hatte Siebold König Ludwig I. ein Konzept für ein ethnografisches Museum präsentiert.)
Die aktuelle Ausstellung im Museum Fünf Kontinente hat aus diesem grandiosen Siebold-Bestand 310 Stücke ausgewählt, nachdem sechs Jahre Forschung in Kooperation mit dem National Museum of Japanese History investiert wurden, um die Sammlung in einer Datenbank zugänglich zu machen. Auch wurden Siebolds Ordnungssystematik und seine Ausstellungspraxis rekonstruiert, so dass die Besucher*innen nun – mithilfe eines Begleithefts – die Kategorien nachvollziehen und befragen können. Erstens bei den Rohstoffen (wie Tabak) und gewerblichen Erzeugnissen (etwa Flechtwerk), von alltäglichen Gebrauchsgegenständen bis
zu meisterlichem Kunsthandwerk wie die faszinierenden Lackarbeiten. Zweitens bei Wissenschaft und Kulturdiskursen (Münzen, Literatur, Malerei, religiöse Objekte). Am Beispiel jeweils wunderbarer Exponate! Denn die Sammlung sollte sowohl helfen, Handelsbeziehungen anzuknüpfen, als auch Verständnis für die japanische Kultur und Lebenspraxis wecken. Ein Highlight ist das Zeremonialschwert samt kunstvoller Hülle und Ständer, das der als Vertreter der niederländischen Handelskompagnie eingereiste Siebold 1861 vom Shogun zum Dank für sein Wirken als Regierungsberater in Edo (Tokio) erhalten hatte – zum Abschied, denn der niederländische Gesandte ließ den bei den Japanern hochgeschätzten und gut vernetzten Siebold entfernen.
Stoff für eine Fernseh-Saga
Das war der zweite bittere Abschied des Forschers und Kulturvermittlers. Denn Siebolds Geschichte böte Stoff für eine großanlegte Fernsehserie. Der junge Würzburger Arzt bekam 1823 vom niederländischen Gouverneur eine Stelle auf der Enklave Dejima im Hafen von Nagasaki, als das noch streng abgeschottete Japan kaum Kontakte zuließ. Er knüpfte Beziehungen mit führenden Gelehrten des Reiches und zum Hof, bildete Schüler in westlicher Medizin aus, konnte für seine Arbeit sogar ein Landhaus auf dem Festland beziehen. Und sammelte! Vom Hofastronomen erhielt er verbotenerweise aktuelles Kartenmaterial, was auf der Rückfahrt 1828, nach einem Taifun, bei einer Prüfung der Ladung entdeckt wurde: Siebold wurde auf Lebenszeit ausgewiesen, seine japanische Frau (später die erste Frauenärztin Japans sowie Ärztin der Kaiserin) und seine Tochter mussten zurückbleiben.
In den Niederlanden dann begann er seine umfassenden Werke zur Kultur, Pflanzen- und Tierwelt, stellte privat ab 1832 in Leiden seine durchsystematisierte Sammlung aus – das erste selbständige ethnografische Museum! –, die 1837 vom Staat angekauft den Grundstock des völkerkundlichen Rijksmuseums bildete. Er betrieb auch einen Akklimatisationsgarten, um asiatische Pf anzen in Europa bekannt zu machen. Die übrigen Bestände und das in Europa und auf Siebolds zweiter Japan-Reise 1859–1861 weiter Gesammelte wurden dann – siehe oben – ein Grundstock des Münchner Völkerkundemuseums. Wobei vieles noch heute Stoff für die Forschung bietet. »Wie standhaft stark ist er doch!«, das bedeuten die chinesischen Schriftzeichen auf Siebolds Grabdenkmal, was sich auf die harmonische Lebensführung eines Edlen bezieht. Das findet sich (Feld 33, Reihe 13, Nr. 5) auf dem Alten Südlichen Friedhof, und die erstmals seit 100 Jahren ausgestellte Sammlung des bedeutendsten Japanologen seiner Zeit sollte man jetzt unbedingt besuchen. ||
COLLECTING JAPAN. PHILIPP FRANZ VON SIEBOLDS VISION VOM FERNEN OSTEN
Museum Fünf Kontinente| Maximilianstr. 42
bis 26. April| Di bis So 9.30–17.30
Kuratorenführung mit Bruno Richtsfeld: 1. März, 26. April, 14–15 Uhr (max. 25 Pers.)
Führungen der MVHS: 15. März, 19. April, 14–15 Uhr
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