Claudia Bauer inszeniert PeterLichts Molière-Bearbeitung »Der eingebildete Kranke oder Das Klistier der Vernunft« als durchgeknallte Freakshow.

In einer monströs übersteigerten Rokokowelt dreht jeder sich nur um sich selbst (Ensemble) | © Sandra Then

Natürlich ist er eine Diva. Argan, der eingebildete Kranke aus Molières gleichnamiger Komödie. Dieser weiße, alte Mann, der die anderen beherrscht mit seinem Fordern und seinem Geld. Für das Residenztheater hat PeterLicht den französischen Klassiker neu geschrieben: »Der eingebildete Kranke oder Das Klistier der reinen Vernunft« überführt das Stück in eine eitle Glitzerwelt, in der alle um sich selbst kreisen – und um Argan, der ihr Verharren im Nichtstun finanziert.

Claudia Bauer hat die Uraufführung des Auftragswerks am Residenztheater inszeniert. Wie gewohnt schrill und expressiv. Eine Freakshow, in der alle mal so richtig die Sau rauslassen dürfen – und sichtlich Spaß daran haben. Vanessa Rust hat das Ensemble in macaronsfarbene Kostüme und exaltierte Perücken gesteckt und einzelne Körperteile grotesk ausgestopft. Andreas Auerbachs Bühne kreist wie die Figuren unaufhörlich um sich selbst. Ein runder, halb offener Turm. Innen mit lindgrüner Brokattapete verkleidet, außen auf mehreren Stockwerken umlaufende, durch Treppen verbundene Freigänge: der Backstagebereich. Daneben auf einem Podest die Musiker Cornelius Borgolte und Henning Nierstenhöfer, die das wilde Treiben mit charmanten französischen Popsongs der Sechziger und Siebziger wie Françoise Hardys »Comment te dire Adieu?« oder Nino Ferrers »Alexandre« begleiten.

In einem bodenlangen, mit ausladenden Rüschen versehenen Morgenmantel und einer barocken Sonnenkönigperücke schreitet Florian von Manteuffel genervt die Showtreppe herunter. Das Publikum lässt sich nicht vertreiben, drum muss er es unterhalten. Oder zumindest: irgendwas sagen. Er berichtet von seinen diversen Behandlungen und seinen Arztrechnungen. Der alte Mann, Inbegriff einer patriarchalen
Gesellschaft, als abgehalfterter Showstar mit Verdauungsproblemen. PeterLicht unterzieht eine übersättigte, an Wohlstand krankende Gesellschaft einer Darmspiegelung und findet an einem Aufmerksamkeitsdefizit leidende Kreaturen, die ihre Individualität gegen das obligatorische Smartphone an der Kette eingetauscht haben. »Obdachlose of pain«, die die sexuelle Revolution längst durch eine depressive ersetzt haben und das einmal Gesagte wieder- und wiederkäuen.

Christoph Franken spielt den Purgon als Horror von einem Arzt. Mit Gummihandschuhen bis über die Ellbogen stellt er sich als »Darm-Gott« vor, knetet dem Argan unsanft den Bauch und singt »Nimm doch mal ein Ibuprofenchen oder ein Paracetamölchen«. Mit Totsein könne man ihn jagen, das finde er eher »ungeil«. Immerhin. Das ist von einer lockeren Durchgeknalltheit, wie man sie bisher hier vermisst hat. Ob Ulrike Willenbacher, Pia Händler, Antonia Münchow, Thomas Lettow, Myriam Schröder, Max Rothbart oder die bereits Genannten: Das Ensemble spielt sich frei und lässt es krachen. Durchaus ein Abend im Geiste Molières. Finaler Abgang vor Publikum inklusive. ||

DER EINGEBILDETE KRANKE ODER DAS KLISTIER DER REINEN VERNUNFT
Residenztheater| 4., 18. Jan., 5., 11., 22. Feb.| 19.30 Uhr
Tickets: 089 21851940

 


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