Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin waren wegweisende Protagonisten der Avantgarde. Das Lenbachhaus präsentiert das Künstlerpaar erstmals in einer gemeinsamen Aussellung.
Zwei Selbstbildnisse. Beide mit Hut. Alexej von Jawlensky trägt 1904 einen Zylinder, Marianne von Werefkin 1910 eine rote Kopfbedeckung mit breiter Krempe und Schmuckblüte. Beide Bilder in der Ausstellung im Kunstbau des Lenbachhauses zeugen davon, dass die Kunstrevolution des Expressionismus von der Erschütterung durch und Begeisterung für van Gogh geprägt wurde, von dessen dynamischen, vibrierenden Pinselstrichen und seinen in Konstrasten gesteigerten Farben. Diese malerischen Mittel demonstrieren auch Jawlenskys Porträts von Werefkin aus den Jahren 1905 und 1906, weiter gesteigert in den breiteren Pinselhieben, die auch auf seine Begegnung mit der Kunst des »wilden« Matisse zurückgehen. Denn Jawlensky war im ersten Jahrzehnt in München ein wichtiger Vermittler und als Maler selbst Impulsgeber der Moderne, der Konzeption eines »neuen Bildes«. Nicht allein – und damit ist nicht Kandinsky gemeint, der wie sein russischer Landsmann die private Malschule von Anton Azbe in der Georgenstraße besucht hatte. Sondern eben Marianne von Werefkin, die als kunsttheoretische Vordenkerin Kandinsky anregte und auch die anderen des Kreises um den »Blauen Reiter«. Dessen Keimzelle, die Neue Künstlervereinigung München, wurde 1908 in
Werefkins Salon in der Giselastraße 23 ins Leben gerufen; beide hatten dort eine großzügige Doppelwohnung mit Atelier. Zur »Familie« gehörten auch Werefkins junge Bedienstete Helene Nesnakomoff, deren Schwester Marie sowie der 1902 geborene Andreas, der Sohn von Alexej und Helene.
Zum ersten Mal werden die beiden »Lebensmenschen« in einer gemeinsamen Ausstellung präsentiert. (Wer Werefkin sehen will, muss sonst nach Ascona reisen, wo sie seit 1918 – bis 1921 gemeinsam mit Jawlensky – lebte und dort das Museo Communale mit initiierte, in dem seit ihrem Tod 1938 ihr Nachlass betreut wird.) Jawlenskys Œuvre ist hier in vielen schönen Beispielen vertreten: Er war der kühnste der vier, als im Sommer 1908 Kandinsky, Münter, Jawlensky und Werefkin sich in Murnau trafen und dort und seither in intensivsten Farben und abstrahierten, die Details drastisch vereinfachenden Formen Landschaften, Ortsansichten und Stillleben malten. Der monumentale expressive Köpfe schuf, von denen einige in der Ausstellung gezeigt werden, ebenso wie Beispiele der zauberhaften »Variationen« aus St. Prex am Genfer See, nachdem er mit Werefkin und der »Familie« 1914 in die Schweiz emigrierte. In der Schweiz begann Jawlensky auch mit der Serie von »Abstrakten Köpfen«, dem »Heilandsgesicht«, die er in schwebenden und dunkel leuchtenden Tönen und geometrischer Reduktion ab 1922 in Wiesbaden fortsetzte, wo er – nach der Trennung von Werefkin – mit seiner Frau Helene und An -dreas lebte. Am Schluss der Schau hängen ein nur 22 cm hohes »Großes Stilleben« und zwei seiner noch kleineren »Meditationen«, abstrakte Köpfe in Form eines Doppelkreuzes, die der an zunehmender arthritischer Lähmung erkrankte Maler, den Pinsel unter Schmerzen mit beiden Händen führend, in parallelen Zügen und glühenden Farben 1934–1937 schuf.
Neben manchen Spezialitäten im Werk Jawlenskys ist hier Werefkin neu zu entdecken. Schon bei ihrem Selbstbildnis fallen – im Verhältnis zu Jawlenskys prüfendem Blick in dessen Selbstporträt – die rot glühenden Augen in der Wendung zum Betrachter auf, der eingearbeitete Bronzelack, der rotierende Raum, ein Hauch Magie. Die ungewöhnlichen Stilisierungen ihrer Figuren-Reihen und seltsam belebten Räume formulieren einen symbolisch, seelisch vibrierenden Expressionismus.
»Die Kunst der Zukunft ist die emotionale Kunst«, notierte sie schon vor der Jahrhundertwende. Ein faszinierendes frühes Selbstporträt in der Ausstellung – die 37-jährige Malerin in Matrosenbluse – ist auch auf einem Foto zu sehen, das sie neben Jawlensky 1893 im Atelier ihres Landgutes in Litauen bei der Arbeit zeigt. Kennengelernt hatten sich damals die 1860 geborene Tochter eines Militärbeamten und Enkelin eines Gouverneurs und der vier Jahre jüngere Offi zier Jawlensky beim russischen Malerstar Ilja Repin, bei dem Werefkin zehn Jahre Schülerin war. 1896 schuf sie ihr letztes Bild – ein Porträt Jawlenskys im Besitz des Lenbachhauses – und gab die Malerei auf, zugunsten ihres selbstbewussten Schützlings, dessen Karriere (und damit das von ihr imaginierte »neue Werk«) sie in München als Mäzenin, Kunst- und Lebenspartnerin voranbrachte. Und wirkte als Theoretikerin im Tagebuch und im Gespräch. Erst 1906 begann Marianne von Werefkin wieder mit Gemälden ihren eigenen Weg. ||
LEBENSMENSCHEN. ALEXEJ VON JAWLENSKY UND MARIANNE VON WEREFKIN
Kunstbau des Lenbachhauses | U-Bahnhof Königsplatz, Zwischengeschoss | bis 16. Februar| Di 10–20 Uhr, Mi–So/Fei 10–18 Uhr | Persönliche Führungen von MitarbeiterInnen des Hauses: 10. Dez., 18.15 Uhr (Matthias Mühling); 21. Jan., 18 Uhr (Anna Straetmans u. Iris Winkelmeyer); 14. Feb., 16.45 Uhr (Annegret Hoberg), auch online buchbar | tägl. Führungen und weitere Veranstaltungen
Der umfangreiche Katalog (Prestel, 320 S., 240 Abb.) kostet im Museum 39 Euro
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