Beklemmend eindringlich zeigt Christian Stückl in »Der Kaufmann von Venedig« eine zutiefst antisemitische Gesellschaft.
Die jungen Kerle, die durch die goldenen Drehtüren flitzen, schauen aus, als kämen sie gerade von der Börse oder einem Businessmeeting. Die Männer tragen im Volkstheater Geschäftsanzüge. Äußerlich unterscheidet sich Shylock nicht von ihnen, doch wie sehr er sich auch anstrengt, dazugehören darf der Jude nicht. Die christliche Profit- und Spaßgesellschaft ist zutiefst antisemitisch.
Als Bassanio (Jonathan Hutter) den Kaufmann Antonio um Hilfe bittet, muss sich dieser an Shylock wenden. Damit sein Freund in Belmont um die Erbin Porzia werben kann, leiht er sich von dem Juden Geld, der daran eine ungeheuerliche Bedingung knüpft: Er fordert bei nicht fristgerechter Rückzahlung ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper.
Unablässig wirbeln die Türen auf der an eine Hotellobby oder ein protziges Firmenfoyer erinnernden Bühne (Stefan Hageneier). Übermütig albern die Yuppies herum. Stückl verbindet in seiner Shakespeare-Adaption eine mit Scherzen im Alltagsjargon aufgepeppte Komödie mit einem erbarmungslos finsteren Stück über Ressentiments und Ausgrenzung. Silas Breidings aalglatt charmanter Antonio beschimpft Shylock hasserfüllt und spuckt ihn an. Sympathien kann man für keinen der Jungkapitalisten aufbringen. Wie selbstverständlich und ungeniert ihnen allen antisemitische Sprüche über die Lippen kommen, ist gruselig. Auch die Liebe hält Lorenzo (Vincent Sauer), der mit Shylocks Tochter durchgebrannt ist, nicht davon ab, in die Hetzparolen einzustimmen. Ohne zu zögern lässt er Jessica (Henriette Nagel) stehen, die sich in der Hoffnung, endlich nicht mehr die ewige Außenseiterin zu sein, taufen ließ, um mit den anderen Party zu feiern.
Die märchenspielhaften Züge der Belmont-Handlung hat Stückl getilgt. Die zu Schrillheiten neigende Carolin Hartmann als Männerwitze reißende, ihren Körper sexy ausstellende Porzia macht aus der Kästchen-Szene, in der Bassanio das richtige wählen muss, um ihre Hand zu gewinnen, eine irre, grell komische Nummer. Stückl hat den Klassiker gekürzt und thematisch konzentriert verdichtet. Natürlich geht das nicht ohne Verluste. Für Subtilitäten und psychologische Zwischentöne bleibt da kein Raum, und damit kann man hadern. Doch die radikale Konsequenz von Stückls klug pointiertem Zugriff ist bestechend und rundum überzeugend.
Unaufdringlich eindrucksvoll führt Pascal Fligg als Shylock einen seine Emotionen zähmenden Geschäftsmann vor, der vor Gericht für seine Rache und sein Recht kämpft. Das erhält er zwar, aber er wird mit einem juristischen Kniff ausgetrickst. Fligg zeigt berührend einen ge- und enttäuschten Vater und einsamen ausgegrenzten Mann. Frei von Pathos und mit leiser Wucht trägt er den berühmten Monolog (»Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?«) vor.
Am Ende der beklemmend eindringlichen Inszenierung zitiert Shylocks Tochter Sätze aus dem Tagebuch des in Auschwitz ermordeten Mosche Flinker. Ganz allein steht Jessica mit einem Messer in der Hand auf der Bühne und schaut uns an. »Ich habe Angst« sagt sie, ehe das Licht erlischt. ||
DER KAUFMANN VON VENEDIG
Volkstheater| 1., 9., 10. , 25., 26. Dez., 7. Jan. | 19.30 Uhr | Tickets: 089 5235556
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