… ist nicht leicht. Von Überlebensstrategien erzählen drei sehr verschiedene Filme.
Italien, heute: Nina Martini, alleinerziehende Mutter und arbeitslose Restauratorin, findet eine Stelle in einem kirchlichen Sanatorium als Putz- und Küchenkraft. Bald merkt sie, dass in dem Heim nicht alles mit rechten Dingen zugeht: Der Direktor findet Uniformen äußerst erregend und setzt die Dienstmädchen massiv unter Druck. Unter dem Vorwand, ihnen in schwierigen Lebenslagen helfen zu wollen, nutzt er Notlagen aus, um sie wenig subtil zum Sex zu zwingen. Das ist ekelhaft, aber alle machen mit – bis auf Nina. Sie widersetzt sich und muss erleben, dass Solidarität unter Frauen nicht existiert. Dass sie sich mithilfe der Gewerkschaftsvertreterin an eine Fachanwältin wendet, macht sie zur Verräterin, die das auf schreckliche Weise funktionierende System gefährdet. Aber Nina hält den Prozess, den das Gericht als »Nome di Donna« tituliert, durch – und gewinnt. Regisseur Marco Tullio Giordana führt überzeugend vor, was »Toleranzschwelle« bedeutet, wenn der Direktor schamlos von »Wertschätzung und Respekt« gegenüber den Frauen redet, die er missbraucht, gedeckt von der Kirche und geschützt von seinem nicht nur männlichen Kollegium. Wie viel Mut und Kraft nötig sind, um seine Würde zu bewahren, zeigt Cristiana Capotondi als Nina mit ambivalenter Zerbrechlichkeit.
Brasilien, 50er Jahre: Eurídice (Carol Duarte) und Guida (Júlia Stockler) wollen nichts als selbstbestimmt leben: Guida folgt heimlich einem griechischen Matrosen nach Athen, kehrt hochschwanger zurück und wird von ihrem Vater verstoßen. Euridice träumt von einer Karriere als Pianistin in Wien, bleibt aber mit Mann und Kind in Rio. Sie schreiben sich viele Jahre lang Briefe, in der Annahme, auf verschiedenen Kontinenten zu leben, weil die Eltern Euridice verschweigen, dass Guida längst schon wieder zurück ist. Ihre Lebenswege laufen weit auseinander: Guida führt mit ihrem Sohn ein ärmliches Schattendasein, Euridice ist relativ gut situiert, wird aber krank, als sie erfährt, dass ihre Schwester scheinbar tot ist. Erst als alte Frau entdeckt sie die von den Eltern unterschlagenen Briefe, die ihr Guida jahrelang geschrieben hat. Karim Ainouz ist ein streckenweise psychedelisches Gemälde mit immenser Sogkraft gelungen. In trunkenen Bildern in rot-grün-blauem Licht, satten Naturaufnahmen und -geräuschen und hyperrealistischen Straßenansichten, untermalt von Klaviermusik, die an Nouvelle-Vague-Magie und manchmal an Satie und Chopin erinnert (Musik: Benedikt Schiefer), erzählt Ainouz nach dem Roman von Muriel Hauser berührend von Hoffnungen und ihrem Scheitern.
Auch in »All I never wanted«, das heute in Deutschland spielt, geht es um Macht und Unterordnung: Allerdings crasht diese Dokufiction-Variante von Annika Blendl und Leonie Stade schnell an ihrem eigenen Anspruch. Sie wollen am Beispiel einer 17-jährigen Schülerin und einer 42-jährigen Schauspielerin zeigen, welchem Instagram-Selbstinszenierungsdruck sich Frauen heute aussetzen. Die eine will Model werden, die andere wird, weil zu alt, vom Film weg ins Provinztheater degradiert. Das dramaturgische Konzept ist hochgradig verwirrend und verheddert sich in sich selbst. Manche Figuren treten unter ihrem echten Namen auf, andere nicht. Dass man weiß, dass die beteiligten Darsteller bei entsprechender Regie wirklich gute Schauspieler sind, macht die Sache nicht besser. Blendl und Stade führen ihre Protagonisten als Klischeekasperl auf eine Weise vor, die nur hoffen lässt, dass diese 90 Minuten eigentlich als Parodie gemeint sind. Was man in diesem Beitrag zur Positionierung von Frauen im Leben und in der Kunst lernt: Der größte Feind der Frau ist oftmals nicht der Mann, sondern das sind die Frauen selbst – nicht nur als Modelagenturchefin, rivalisierende Hungerhaken oder Schauspielkolleginnen, sondern auch als Regisseurinnen, die nicht wissen, was sie eigentlich wollen. SchauspielerInnen, überlegt Euch, wo Ihr
nächstes Mal mitmacht! ||
NOME DI DONNA
Italien, 2018 | Regie: Marco Tullio Giordana
Mit: Cristiana Capotondi, Michela Cescon, Valerio Binasco u. a. | 98 Minuten | Kinostart: 5. Dezember
Trailer
DIE SEHNSUCHT DER SCHWESTERN GUSMAO
Brasilien, Deutschland 2019 | Regie: Karim Ainouz | Mit: Carol Duarte, Júlia Stockler u. a.
139 Minuten | Kinostart: 26. Dezember
Trailer
ALL I NEVER WANTED
Deutschland, 2019 | Regie: Leonie Stade, Annika Blendl | Mit: Mareile Blendl, Jochen Strodthoff, Lida Freudenreich, Jörg Witte u. a.
89 Minuten | Kinostart: 12. Dezember
Trailer
Das könnte Sie auch interessieren:
Il buco – Ein Höhlengleichnis | MF Online Deluxe
Drei Etagen: Nanni Morettis neuer Kinofilm
The Banshees of Inisherin: Jetzt im Kino!
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton