Zum 40. Geburtstag gönnt sich die deutsche »Vogue« eine Ausstellung in der Villa Stuck.
Das Schönste an der »Vogue« sind die lustigen Horoskope. Die kurzen, knappen mit den kryptischen Ratschlägen, vor allem aber die langen, in denen sich ein wahrhaft begabter Autor mit boshafter Lässigkeit der Leserin und ihrem Schicksal widmet. Dass das kiloschwere Papierkonvolut vollgestopft ist mit Fotostrecken, die von Anzeigen kaum zu unterscheiden sind, stört da nicht weiter. Es sind ja zumeist schöne, immer aber äußerst intensiv aufgenommene Fotos, die man betrachten oder überblättern kann, je nach Lust und Tagesstimmung, nach Wartezimmer oder Friseursalon.
»Mode ist Kreativität, ist Kunst, ist Provokation, ist Gesellschaftspolitik, ist Tabu, ist Nachhaltigkeit, ist Rebellion, ist Nacktheit«, teilt Christiane Arp, Chefredakteurin von »Vogue« Deutschland, anlässlich des 40. Geburtstags des Magazins mit. Schön und gut, das ist sehr ambitioniert, was die Chefin da sagt, aber was soll sie auch sonst sagen? Die »Vogue«, die seit 1909 im Condé-Nast-Verlag erscheint und in 20 Ländern mit eigenen Ausgaben auf dem Markt ist, schafft Begehrlichkeiten und verdient damit Geld, sonst gäbe es sie schon längst nicht mehr. Soweit o. k. Aber dass die in München beheimatete deutsche »Vogue« Nachhaltigkeit postuliert, bringt den Besucher der Geburtstagsausstellung dann doch zum Schmunzeln. Wer traut sich denn heute noch, keinen Wert auf Nachhaltigkeit zu legen?
Im zweiten Raum fächelt sich das Magazin – neben einem Duschvorhang voller »Vogue«-Cover – den Wind der Geschichte zu: mit einer über die Wände laufenden, erstaunlich zusammengemixten Chronologie über Events, People und Politik (so ist der Grünen-Eintritt in den Bundestag 1983 flankiert von den deutschen Nummer-eins-Hits wie »People are People« von Depeche Mode, dem Abdruck der gefälschten Hitler-Tagebücher im »Stern« und Madonnas erstem Album). Dass daneben der zweiseitige »Code of Conduct« gerahmt an der Wand hängt, ist bizarr. Das Miteinander aller »Vogue«-Tätigen soll von Würde und Respekt geprägt sein, ist da zu lesen. Vor allem bei den Fotoshootings. Dass man trotz »MeToo«-Zeitalter sofort an »Der Teufel trägt Prada« denkt, muss eine Klischee-Assoziation sein.
Bestimmt sehen alle MitarbeiterInnen sowieso gut genug aus, dass sie das Redaktionsinterieur keinesfalls mit eventueller Gewöhnlichkeit verunstalten könnten. In Raum vier bleibt man an den Fotos von Juergen Teller hängen: tolle Bilder, vor allem von Sandra Hüller und Diane Krueger. Es sind zwar Modestrecken, aber die Klamotten sind den Personen, die sie tragen, erstaunlich untergeordnet, egal, ob es sich um die beiden Schauspielerinnen, die schillernde Fürstin Gloria oder Jogi Löw, um Leberknödel oder Currywurst handelt. Hier nimmt die von Christiane Arp, Museumsdirektor Michael Buhrs und dem Fotografen und Illustrator Martin Fengel kuratierte Ausstellung kurz Fahrt auf und kriegt die Kurve, die sie braucht: Ein bisschen Spaß muss sein! Christiane Arps Huldigungsraum an Karl Lagerfeld dagegen ist wieder vor allem eine Huldigung an sich selbst: Ich kannte ihn, gut sogar, wie vertraut wir waren, er war der Meister, der Held, ich durfte in seinem Inner Circle sein, er schickte mir sogar Päckchen, per Post, HANDBESCHRIFTET! – so raunt es in diesem Raum. Da rettet die kleine KL-Playlist mit Lou Reed oder Ornella Vanoni die aufgebauschte Lage. Und die hybriden Porträts von Ugo Rondinone schaut man an, weil sie so groß sind, dass man sie nicht ignorieren kann.
Lustig ist Raum sieben, das »Vogue Atelier«. Nicht so sehr wegen der Schaukästen, in denen kunstvolles Papierdurcheinander den Redaktionsalltag illustrieren will, sondern weil die Redaktion hier die Villa Stuck als Fotolocation nutzt. Wenn man Glück hat, wird man Zeuge, wie Settings und Bilder entstehen. Dafür gibt es keine festen Zeiten, alles purer Zufall. Wenn das Publikum sich daran erfreut, könnte dies ein neues Geschäftsmodell werden: den »Vogue«-Mitarbeitern gegen Eintrittsgeld beim Arbeiten zusehen. In den letzten beiden Räumen schließlich wird versucht, den Bogen zur Kunst und zur Mode der Zukunft zu schlagen. Was in einem anderen Zusammenhang und ausführlicher interessant sein könnte, wirkt im Geburtstagsjubel leider wie ein Blinddarm und wird den Arbeiten der Studierenden der Kunstuniversität Linz nicht gerecht: Die Spitzenschuhe mit aufgesetzten Schweißkristallen von Alicia Potts sind pathetisch, die Idee mit den Steinchen per se durchaus erstaunlich. Belinda Winkler entwirft Stücke, die maschinell direkt dreidimensional aus dem Garn entstehen und Zuschnitt und Vernähen von Stoffteilen überflüssig machen.
Simon Hochleitner designt dem Kunden seinen Wunschkörper auf den Leib, und Aleksandar Murkovic interpretiert textile Spitze mittels flüssiger Komponenten wie Rasierschaum neu. Dass Kleidung mit Werten und Bedeutung aufgeladen wird, ist nicht neu, aber immer nötig, damit sie sich verkaufen lässt. Der Versuch wiederum, Kommerz als Kunst zu verhökern, wirkt fadenscheinig. Zelebriert wird ein Boomerang-Storytelling: Die Welt der »Vogue« ist ein Ausbund nicht nur an herrlichem Überfluss, sondern vor allem an sinnloser Überflüssigkeit. In den stolz präsentierten »Reportagen« nimmt auf einer Doppelseite der Text im Idealfall ein Sechstel der Fläche ein. Der Mensch kann besser schauen als denken? Man vermisst Karl Lagerfelds kaltschnäuzige Ehrlichkeit in dieser wenig originellen Verlagsveranstaltung.||
IST DAS MODE ODER KANN DAS WEG!? 40 JAHRE VOGUE DEUTSCHLAND
Museum Villa Stuck| Prinzregentenstr. 60 | bis 12. Januar| Di bis So 11–18 Uhr | EinblickeFührungen (Führung frei, Eintritt ermäßigt): mit Susanne Niessen (Director of Photography) und Andrea Vollmer-Hess (Photoeditor): 13. Nov.; mit Bernd Skupin (Kulturredakteur) 4. Dez.; mit Robert Emich (Stv. Chefredakteur) 8. Jan., jew. 17 Uhr | Friday Late (Abendöffnung 18–22 Uhr, Eintritt frei): 6. Dez. / 3. Jan.vo
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