Trash und Diskurs: Stefan Pucher inszenierte »König Lear«, nicht von Shakespeare.
Drohend prangt auf der drehbaren Palast-Baracke die Leuchtschrift »The End«: Das Motel zur letzten Einkehr für abgehalfterte Weltherrscher. Hier geht es nicht nur um das klägliche Ende des König Lear, der dummerweise seine Macht abgibt und gnadenlos ausgemustert wird, sondern ums Ganze: die Abschaffung der Herrschaft der alten weißen Männer und die Erschaffung einer neuen, feministischen Ordnung. So stellt sich das der Schriftsteller Thomas Melle vor in seiner Fortschreibung des »König Lear«, die Stefan Pucher an den Kammerspielen trashig und plakativ inszeniert hat.
Der vielfach prämierte Dramatiker Thomas Melle folgt dem Shakespeare-Plot, aber mit sehr eigenem Text, der Akzente verschiebt und die bösen Frauen ins Recht setzt. Melle packt reichlich aktuelle Diskursthemen rein: Lears Gefolgschaft sind Internet-Follower, die Jungen hassen deren Pöbeleien. Sie wollen Taten statt Worte, Feminismus gegen Patriarchat, Mütter und Väter töten, das Alte zerstören, um eine neue Ordnung der absoluten Gleichheit zu schaffen. Die dazu nötige Härte führt dann, wie man seit der Französischen und Russischen Revolution und dem Dritten Reich weiß, schnell in den Faschismus. Alles muss gesagt und redundant wiederholt werden, doch am Überraschungsschluss hängen die Themenstränge nur als lose Enden herum.
Pucher inszenierte – wie immer mit vielen Live-Videos und Popsongs – szenische Spotlights, Statements, aber keine Prozesse, Entwicklungen oder eine stringente Erzählung. Vor einem Rundhorizont mit wechselndem Wolkenhimmel und dem royalen Bungalow (Bühne: Nina Peller) spielt Thomas Schmauser den Lear als verlebten Playboy in der Midlife-Krise, mit wildgeblümtem Anzug und rosa Sonnenbrille. Er ist anfällig für Schmeichelei, wer widerspricht, wird aus Macht-Arroganz abgeschoben. Die herbe, aufrechte Cordelia (Jelena Kuljic) muss nach Frankreich heiraten, der getreue Graf Kent wird verbannt. Er begleitet Lear dann inkognito als Narr durch Einsamkeit und Wahn. Samouil Stoyanov als geschmeidiger Entertainer versteckt Vernunft hinter schlechten Witzen, er und Schmauser werden zum Komiker-Duo.
Die Töchter Goneril (Julia Windischbauer) und Regan (Gro Swantje Kohlhof) sind hübsche Anziehpuppen für erlesen geschmacklose Glitzerfummel (Annabelle Witt), sie haben Macht und Blut geleckt, tragen Wut im Herzen und Befreiungsthesen auf der Zunge. Aus dem Grafen Gloucester wurde eine Gräfin, Wiebke Puls als moderate Ratgeberin erleidet souverän das Ödipus-Schicksal: Blind für die Charaktere ihrer ungleichen Söhne, verliert sie ihre Augen. Ihr unehelicher Sohn Edmund (Thomas Hauser) vertreibt intrigant den legitimen Edgar und wird für Lears Töchter in Krieg und Bett zum Heilsbringer. Christian Löbers Edgar mutiert zu Major Tom, der samt E-Gitarre aus dem All auf die stürmische Heide schwebt als Unterstützer von Lear und Narr. Melle und Pucher werfen viele Fragen auf und liefern Denkansätze, beziehen jedoch keine eindeutige Haltung. Da hat Shakespeare mehr zu sagen. ||
KÖNIG LEAR
Kammer 1| 12., 14., 20. Oktober| 19.30 Uhr
Tickets: 089 23396600
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