»Nurejew – The White Crow«, der beim Münchner Filmfest Premiere hatte, versucht, große Kunst zu sein, kommt aber über Konventionen und Klischees nicht weit hinaus.
In einer Schlüsselszene des Films erklärt der Tanzlehrer Alexander Puschkin, subtil gespielt von Ralph Fiennes, der zugleich auch Regie führt, seinem Ballettschüler Rudolf Nurejew: Beim Tanzen ginge es nicht nur selbstzweckhaft ums Tanzen, sondern um Aussage und Inhalt. Gleiches beansprucht Fiennes auch für seinen Film: Er ist mehr als nur Bilder, die einen außergewöhnlichen Balletttänzer darstellen. Er will eine Aussage transportieren. Nur welche?
Der Film begleitet Nurejew im Jahr 1961 auf einem Gastspiel des Leningrader Kirow-Balletts nach Paris. Dort kapselt er sich zusehends von seinen russischen Kolleg*innen ab und verbringt seine Zeit mit neuen Bekanntschaften wie dem französischen Balletttänzer Pierre Lacotte oder der jungen Chilenin Clara Saint. Gemeinsam mit ihnen besichtigt er die schönsten Ecken der französischen Hauptstadt: ihre Museen und schicken Restaurants, aber auch ihre Jazzclubs und avantgardistischen Tanzbars. In Rückblenden wird seine triste Lebensgeschichte in der Sowjetunion beleuchtet: Seine Geburt in einem Zug, seine Kindheit in der sibirischen Kälte ohne Vater und seine Ausbildung zum Balletttänzer unter strengen Lehrern, von denen er sich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlt. Diese Vergangenheit verfolgt ihn wortwörtlich auch in Paris: Wo immer er sich mit seinen neuen Freund*innen zu vergnügen versucht, liegen KGB-Agenten auf der Lauer. Schließlich beantragt er in Paris politisches Asyl.
Die zentrale Aussage des Films ist leicht verständlich. Geradezu holzschnittartig werden filmische Topoi aus der Zeit des Kalten Kriegs bemüht, um einen Kontrast zwischen westlicher Freiheit und sowjetischem Zwang zu konstruieren. Das fängt schon mit der Charakterzeichnung an: Russische Sympathieträger*innen sucht man vergebens – streng genommen ist nicht einmal die Hauptfigur zu ihnen zu zählen. Daher bleibt Nurejew auch ein Außenseiter in russischen Kreisen, eine »white crow« eben, wie im Prolog des Films erläutert wird. In Frankreich aber schließt er rasch neue und wahre Freundschaften. Auch die Bildsprache passt sich diesem Narrativ an und taucht die Szenen aus Nurejews Kindheit in düster entsättigte Farben; im Gegensatz dazu wird das Paris der 60er Jahre in einer Weise dargestellt, als bestünde die gesamte Bevölkerung aus Künstler*innen. Wie man die Sowjetunion ohne Klischees darstellt und zugleich eine sinnvolle Kritik formuliert, zeigt aktuell die HBO-Serie »Chernobyl«.
Was bei »Nurejew« bleibt, ist eine ausgesprochen gut in Szene gesetzte Tanzchoreografie. Insbesondere der Hauptdarsteller Oleg Ivenko liefert eine eindrucksvolle Performance. Aber mehr als purer Ästhetizismus ist dem Film trotz anderslautender Ansprüche nicht abzugewinnen. ||
NUREJEW – THE WHITE CROW
GB, Frankreich, Spanien 2019 | Regie: Ralph Fiennes | Mit: Oleg Ivenko, Adele Exarchopoulos u. a. | 127 Minuten | Kinostart:
25. September
Trailer
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