München gibt sich gerne geregelt. Wer sich auskennt, kann Musik aber auch spontan an ungewohnten Orten hören. Ein Streifzug.

Das Flair des Spontanen: Straßenmusiker am Marienplatz | © Ralf Dombrowski

Konzerte jenseits der dafür vorgesehenen Spielstätten hat es schon immer gegeben. So hätte man vor Jahren sogar die US-amerikanische Band Violent Femmes in der Münchner Fußgängerzone beim damaligen Schallplattenladen WOM als Straßenmusiker erleben können, wenn man nur zu den glücklichen Passanten gehört hätte, die von dem unangekündigten Freikonzert in der Innenstadt überrascht wurden. Heutzutage wäre dergleichen nicht nur in Windeseile via Mobiltelefon verbreitet worden. Wahrscheinlich hätte die Band selbst schon im Vorfeld auf einer Internetseite auf ihren Auftritt hingewiesen. Vorausgesetzt natürlich, alle Beteiligten wären damit einverstanden gewesen. Als nämlich das österreichische Duo Attwenger im Auftrag einer Brauerei ein Geheimkonzert auf dem diesjährigen Tollwood spielte, schwiegen Band und Plattenfirma wie vereinbart. Weil es an dem Abend aber regnete und also wenig Laufpublikum über das Gelände flanierte, fiel das Konzert zum Ärger der Schweigenden besonders geheim aus.

Dergleichen versuchen andere öffentlich musizierende Menschen nicht selten damit zu vermeiden, dass sie ihre Auftritte auf entsprechenden Internetseiten kundtun. Dann können sich zumindest die Freunde der Bands schon einmal auf einen flauschigen Abend etwa an der Isar vorbereiten, wo diesen Sommer unter anderem das Loop-Orchester-Projekt Joasihno zwischen Wittelsbacher- und Fraunhoferbrücke spielte. »Ähem. Die Band verspätet sich etwas. Beginn ist wohl so um 18.30. Bis gleich«, informierte kurz vor Termin die Internetseite der Band. Die bereitete dann auch zufällig Vorbeispazierenden eine optimale Beschallung des Sonnenuntergangs.

Dass solche Konzerte auch mal zu volksfestartiger Größe expandieren können, beweisen vor allem die häufiger im öffentlichen Raum gastierenden Landlergschwister, deren Mischung aus alpiner Volksmusik und Countrymusik à la Hank Williams auch unverstärkt eine einnehmende Mischung aus Party und Erholung sichert. Kurz nachdem es heuer regelrecht auf dem ehemaligen Klohäuschen am Nockherberg gespielt hatte, dem Crönlein, lud das Ensemble wie jedes Jahr zum Freiluftkonzert an ihrem gewohnten Isaruferplatz nahe der Braunauer Eisenbahnbrücke. Viele ihrer Zuschauer, die wie Sommerfrischler am frühen Abend auf mitgebrachten Decken in der Wiese lagen, hatten eigene Getränke dabei, bisweilen sogar etwas zum Essen im Picknickkorb. Andere nutzten den nahe gelegenen Kiosk, der so auch vom Konzert der Landlergschwister an der Isar profitierte. Und natürlich gesellten sich zahlreiche Passanten hinzu, die zufällig an diesem Teil der Isar spazierten oder radelten. Weil die unterschiedlich große Formation, die auf dem Oktoberfest gelegentlich sogar die Krinoline beschallt, weitgehend akustisch spielt, zerfließt ihr Sound schon wenige Meter flussauf- und flussabwärts. Von Lärmbelästigung kann da keine Rede sein, auch nicht von Musikbelästigung, wie es zutreffender heißen müsste. Interessierte müssen sich der Musik nämlich erst nähern. Entsprechend funktioniert sie zugleich als konzertantes Erlebnis wie auch als angenehme Hintergrundbeschallung für ein frühabendliches Treffen mit Freunden am Fluss.

So also klingt der Sommer in der Stadt. Wenn die Express Brass Band schon mal an einem Sonntagnachmittag im Englischen Garten probt oder im Bauwagencafé am Mollsee im Westpark, der sogenannten Gans am Wasser, spielt. Immer wieder prüfen die Betreiber persönlich die Lautstärke in der Nachbarschaft. Dann spaziert der Chef zu den nahe gelegenen Häusern und lauscht aufmerksam, ob die Nachbarn sich gestört fühlen könnten. Doch die nutzen das Kulturangebot gerne selbst. Immerhin hatte dort sogar schon mit Unterstützung des Kulturreferats ein Klassikkonzert stattgefunden. Womit Gans am Wasser eine Klientel bediente, die von derartigen Spontankonzerten meistens unberücksichtigt bleibt. Neben lauten Blaskapellen und Singer-Songwritern sind es zumeist nämlich kleinlaute, will sagen nicht gar so laute Rock- und Bluesformationen, die wie die Moonband auch mal an öffentlichen Orten wie dem Königsplatz die Frage stellen: Wem gehört der öffentliche Raum eigentlich? Und ist er wirklich nur zum Durchqueren gedacht oder darf man in ihm auch mal verweilen? Womöglich tanzenderweise oder zumindest doch musizierend?

Das müssen übrigens nicht auf herkömmlichen Instrumenten spielende Menschen sein, wie etwa jene Künstler, denen der Wirt des Biergartens am Olchinger Badesee, dem sogenannten Haus am See, kleinere Gigs einräumt. Vor dem wunderbaren Seepanorama spielt dort dann zum Beispiel die französische One-Man-Band Fred Raspail, die am frühen Abend gleichzeitig in die Saiten der elektrisch verstärkten Gitarre und in die Kick-Drum drischt. Im Nussbaumpark am Sendlinger Tor lässt Zehra Spindler auch mal DJs für eine angenehme Atmosphäre an einem Ort sorgen, der überwiegend von Obdachlosen und Junkies genutzt wird und in Folge selbst von Anwohnern meist als Unort gemieden wird. Seit Zehra Spindler zusammen mit anderen Menschen diesen Park mit kulturellen Angeboten bereichert, scheinen die Vorbehalte zu verschwinden. Der Park wird von den Münchnern als Verweilort angenommen. Und das wohlgemerkt, ohne die darin Schutz suchenden Obdachlosen und Drogenabhängigen zu vertreiben. Stattdessen genießen einige Obdachlose hier auch mal eine Clubmusik, von der sie normalerweise ausgegrenzt sind.

Zehra Spindler bezahlt ihre DJs und Bands übrigens angemessen. An den meisten solcher Spielorte lässt man sonst einen Hut rumgehen, in den die zufälligen und absichtlichen Besucher eine Spende legen. Wobei manche Veranstalter durchaus auch zu Mindestspenden anregen. Sofar Sounds zum Beispiel, für deren Konzerte man sich vorab anmelden muss, ohne zu wissen, wer spielen wird. Entsprechend der Anmeldungen suchen die Veranstalter sodann einen geeigneten Raum für das Konzert aus, der dann nur den Angemeldeten mitgeteilt wird. Das war Ende letzten Jahres sogar mal das Büro des Oberbürgermeisters, dessen goldene Dire-Straits-Platte man dort an einer Wand hängend beäugen konnte, derweil Impala Ray neben dem Schreibtisch des Oberbürgermeisters ein ungewöhnlich intimes Konzert boten. Um solche Heimeligkeit nicht zu stören, ist der Zugang nur über eine Gästeliste möglich. Wer da nicht angemeldet ist, muss draußen bleiben. Aber es gibt ja genügend andere Orte zum spontanen musikalischen Verweilen. ||

AD-HOC-KONZERTE UND FREILUFTMUSIK
Isarbrücken, Nussbaumpark, Haus am See u. a. | unangekündigt

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