Der Oberstdorfer Walter Steffen macht seit mehr als zehn Jahren Dokumentationen, vor allem über unsere Region, etwa »Trüffeljagd im Fünfseenland« oder »Bavaria Vista Club«. In seinem aktuellen Film »Alpgeister« beschäftigt sich der 64-Jährige mit Sagen und Mythen aus den bayerischen Bergen.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Film! Endlich einmal eine Kino-Dokumentation, die auch leinwandtaugliche Bilder besitzt.
Vielen Dank. Das höre ich natürlich sehr gerne. Ich habe mich bei diesem Film auch tatsächlich genau darum bemüht, zusammen mit unserer Kamerafrau, Dixie Schmidle, hatten wir ein entsprechendes Konzept erarbeitet. Leider standen uns nur 25 Drehtage zur Verfügung, ich hätte gerne fünf mehr gehabt, weil wir doch mit den Animationen und den Spielszenen einen Riesenaufwand betrieben haben.
Im Abspann werden zahlreiche Gemeinden aus dem bayerischen Alpenraum genannt. Sind Sie von diesen unterstützt worden?
Ja, von allen, die da genannt werden. Es waren wohl nur drei, die aus welchen Gründen auch immer nicht dabei waren. Aber 80 Prozent haben gesagt, das ist toll, da machen wir mit. Allerdings sind das eher kleine Mittel, die die Kommunen zur Verfügung haben. Das hat dann pro Gemeinde etwa 2000 Euro ausgemacht. Ich realisiere meine Filme immer als Low-Budget-Produktionen und hoffe dabei, dass man es ihnen nicht ansieht. Und da hilft natürlich jeder Euro. Aber im Moment geht es meinem Konto nicht so gut. Es wird Zeit, dass der Film in die Kinos kommt (lacht).
Wenn man so weitgereist ist wie Sie und sämtliche Erdteile kennt, entwickelt man dann einen anderen Blick auf Heimat?
Ich glaube schon. Ich hatte ja vor einigen Jahren für einen anderen Film recherchiert, für den ich auf vier Kontinenten unterwegs war. Wenn ich in dieser fernen, fremden Welt war, habe ich viele Strecken zurückgelegt, weil ich das Gefühl hatte, dadurch mehr zu sehen. Aber irgendwann bin ich darauf gekommen, dass ich, wenn ich mich an einem Ort umsehe, viel mehr von dem Land erfahre als wenn ich Hunderte von Kilometern reise und alles nur an mir vorbeifliegt. Die Essenz eines Landes erfährt man, wenn man irgendwo bleibt und genau hinguckt. Ich bin ja in Oberstdorf geboren, komme aus den Bergen und wenn man wirklich aufmerksam sein möchte, dann muss man in der Nähe schauen.
Wenn man sich die Trommeln, die Gesänge, die Geschichten um Medizinmänner in Ihrem Film »Alpgeister« anhört, dann entdeckt man viele Parallelen zur indianischen Kultur.
Einer der Protagonisten, die in meinem Film zu Wort kommen, ist Rainer Limpöck. Der ist mit schamanischen Netzwerken auf der ganzen Welt verbunden. Und die Ärztin Hildegard Ringsgwandl ist zu den indigenen Völkern gereist, um sich schamanisches Wissen anzueignen. Letztlich haben auch im Alpenraum vor 10 000 Jahren indigene Völker gelebt, die Riten gepflegt haben, wie man sie auf der ganzen Welt ausgeübt hat. Da gibt es tatsächlich eine Vielzahl von Parallelen.
Wie haben Sie Ihre Interviewpartner gefunden? Steckt da ein großer Rechercheaufwand dahinter?
Wir hatten zunächst einmal keine Kontakte. Aber ich habe eine sehr gute und liebe Kollegin, Kim Koch, die enorm viel Vorarbeit geleistet hat. Wir haben im Dezember 2014 mit den Recherchen angefangen und eine Liste von spannenden Menschen zusammengestellt, die für den Film in Frage kommen. Dann habe ich mit allen Vorgespräche geführt, um zu verifizieren, ob das mit der Kamera funktioniert und über welche Inhalte wir sprechen werden, um Redundanzen zu vermeiden.
Sehr oft kommt Bärbel Bentele zu Wort, ihre Präsenz zieht sich wie ein roter Faden durch Ihren Film.
Das hat sich im Laufe der Produktion so ergeben. Ich wusste von einer guten Freundin, dass Bärbel Bentele über unglaublich viel Wissen verfügt. Leider hatten wir keine Zeit für ein Vorgespräch und sie besaß auch eine gewisse Scheu vor der Kamera. Aber dann hat es letztendlich doch geklappt, und als das Interview mit ihr zu Ende war, wusste ich, dass sie diejenige sein wird, die durch diesen Film führt.
Warum waren Sie sich da so sicher?
Ich finde sie einfach ganz wundervoll. Man versteht zwar nicht alles, was sie sagt, aber ich hatte sofort das Gefühl, die Menschen verstehen trotzdem, was sie meint. Denn Bärbel Bentele vermittelt zwischen den Zeilen ganz viel Information, die wir gar nicht kognitiv verstehen können. Das begreifen wir auf einer anderen, intuitiven Ebene, und darum geht es letztendlich auch bei »Alpgeister«.
Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Film zu realisieren?
Tatsächlich war ich schon als Kind ganz stark verbunden mit jenseitigen Welten. Das liegt wohl an der alten Bäuerin von dem Hof, auf dem ich in Oberstdorf groß geworden bin. Und diese Frau kannte noch die alten Geschichten. Bei ihr bin ich ganz oft auf dem Schoß gesessen und dann hat sie mir die ganzen Mythen und Sagen aus den Bergen erzählt.
»Alpgeister« ist ein spezieller Film für ein spezielles Publikum. Glauben Sie, dass sich auch der »normale« Kinogänger dafür interessieren könnte?
Ich denke, da stehen die Chancen ganz gut. Der Film schafft ein Bewusstsein darüber, welche Verbindung unsere Vorfahren in den Alpen zur Natur hatten. Und das ist ein großes Thema. Denn es reicht nicht aus, zu wissen, dass wir unser Leben und unseren Bezug zur Natur verändern müssen. Wir brauchen eine gesamte Veränderung unserer Grundhaltung. Da ich überzeugt davon bin, dass der Mensch nicht nur ein materielles, sondern auch ein spirituelles Wesen ist, sucht er in gewisser Weise nach einer Transzendenz, und das spüre ich auch, wenn ich mit Menschen spreche, dass da tatsächlich ein großes Interesse besteht. ||
ALPGEISTER
Deutschland 2019 | Produktion, Drehbuch & Regie: Walter Steffen | Mit: Bärbel Bentele, Rainer Limpöck, Dr. Hildegard Ringsgwandl
Kinostart: 18. Juli
Trailer
Das könnte Sie auch interessieren:
Verbrannte Erde: Kritik zum neuen Film von Thomas Arslan
Stella. Ein Leben: Der neue Film von Kilian Riedhof
Memory: Kritik zum neuen Film von Michel Franco
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton