Alexander Kluge gastiert mit seiner Ausstellung »Pluriversum*« im Literaturhaus.

Alexandra und Alexander Kluge bei den Dreharbeiten zu »Abschied von gestern«, 1966 © Archiv Alexander Kluge

Mit dem cleveren wie autoreflexiv gewählten Motto »Ohne von anderen Gestirnen beleuchtet zu werden, leuchtet mein Mond nicht« variiert und ergänzt Alexander Kluge ab Ende Mai seine »Pluriversum*«-Welten mit neu geschaffenen Bezügen zur deutsch-deutschen Wiedervereinigungsgeschichte. Dabei richtet sich der künstlerisch-kreative Fokus Kluges ein weiteres Mal explizit auf die Zusammenarbeit mit befreundeten und geschätzten Kunstschaffenden, wie der Münchner Universalgelehrte und Adorno-Schüler selbst betont.

So sind dort neben den wunderbar komplexen Einblicken in die Gedanken- und Lebenswelt Alexander Kluges in verschiedenen Räumen beispielsweise auch Werke von Thomas Demand, Kerstin Brätsch, Paul Klee, Thomas Tiede, Anselm Kiefer oder Stefan Moses zu sehen. Mit dem Letztgenannten verband Kluge eine enge Freundschaft als Künstler wie als Nachbar, bis der für seine Schwarz-Weiß-Fotografien viel gerühmte Fotograf im Februar des letzten Jahres verstarb. 1963 hatten sich die beiden »Chronisten der Bundesrepublik« in Frankfurt am Main kennengelernt, als Moses seine berühmten Porträtbilder von Theodor W. Adorno aufnahm.

Überhaupt ermöglicht diese absolut sehenswerte, mit zahlreichen Querverweisen (z. B. von Helmut Dietl über Fritz Lang und Peter Berling bis hin zu Alexandra Kluge, der unvergessenen Hauptdarstellerin seines Schlüsselwerks »Abschied von gestern«) arbeitende Ausstellung ein posthumes Wiedersehen mit wichtigen lebenden (u. a. Helge Schneider, der im Zuge des umfangreichen Rahmenprogramms extra nach München kommen wird) und verstorbenen Weggefährten aus der Gedankenwelt Alexander Kluge. Zusammen mit bekannten
Kluge-Metathemen (wie biografische Herkunft, Kriege, Menschheitskatastrophen und Traumata, Arbeit und Evolution) verbinden sich einzelne Ausstellungsstücke wie zum Beispiel ein Sehrohr, aber auch reale Devotionalien aus Kluges Arbeitszimmer gemeinsam beim Schreiten durch die Ausstellungsfläche quasi automatisch zu universellen Gedankenketten. Naturgemäß liefert Alexander Kluge dem Besucher dafür keinen festen Fahrplan. Und wer bisher einen einzelnen roten Faden im gigantischen Œuvre des Münchners gesucht hat, wird auch in dieser mit Mehrfachprojektionen arbeitenden Multimedia-Ausstellung möglicherweise heillos überfordert sein.

Für klassische Alexander-Kluge-Exegeten verspricht diese gerade auch im Verbund mit der Neusichtung diverser Einminutenfilme sowie einzelner Film- und Fernsehklassiker hervorragend funktionierende Ausstellung dagegen einen fulminanten intellektuellen Farbrausch. Im brillanten Zusammenspiel aus Lücken, Chiffren, Einzelaspekten und Kluge’scher Montagetechnik, die von vornherein auf die volle Assoziationskraft jedes Besuchers oder Zuschauers vertraut, entfaltet dieses kaleidoskopartig zusammengestellte »Pluriversum*« eine enorme Anziehungskraft. Sie wird dem »Kopf des Neuen Deutschen Films« (Wolfram Schütte) ebenso gerecht wird wie dem unentwegten Schöpfer intellektueller Wunderkammern 2.0, die das hochvitale Spätwerk Kluges repräsentieren, dem scheinbar nie die Ideen ausgehen. Wie in Walter Benjamins »Passagen-Werk« kann man hier jeden Moment neue Denkanstöße und jede Menge wunderbarer Querverbindungen entdecken: Manege frei für den größten Artisten unter dem Zirkuszelt der Bundesrepublik, der wundersamerweise nie ratlos zu sein scheint. ||

ALEXANDER KLUGE: PLURIVERSUM*
DIE POETISCHE KRAFT DER THEORIE
Literaturhaus München| bis 29. September

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