Angebote für Jugendliche an Münchens Theatern verstehen sich nicht nur als pädagogische Projekte, sie wollen eigenständige Kunst machen.

Oben: Die Gärtnerplatz-Jugend versucht sich an »Frida Kahlo« © Christian POGO Zach

Der Schauburg gelang Anfang des Jahres ein Coup: Schon als das im LAB mit Jugendlichen erarbeitete Stück »Bodybild!« am 12. Januar Premiere feierte, stand fest, dass es in das Repertoire des Hauses übergehen würde. Ein Novum, denn die LABProduktionen wurden bis dahin nur für einen kurzen Zeitraum gezeigt. Das hat bei Jugendtheater oft damit zu tun, dass die Mitwirkenden meist kurz vor dem Schulabschluss oder dem Ende der Ausbildung stehen und anschließend wegziehen und somit nicht mehr für Aufführungen verfügbar sind. Die Aufnahme ins Repertoire ist also allein schon eine organisatorische Leistung. Doch »Bodybild!« zeigt auch: Jugendtheater kann viel mehr sein als Schul- oder Ferienprojekt, denn es ist von und für Jugendliche gemacht und setzt damit genau bei den Themen an, die Jugendliche akut beschäftigen. Dass dabei Inszenierungen herauskommen, die nicht nur ein junges Publikum ansprechen, zeigt »Bodybild!«. Wir haben uns umgesehen, welche Jugendtheatergruppen es neben der Schauburg an den Häusern der Stadt gibt, an was sie gerade arbeiten und was die Macherinnen und Macher umtreibt.

»Wie soll ich mit über 30 denn abschätzen, was Jugendliche heutzutage bewegt!«, ruft die Regisseurin Christine Umpfenbach. Gemeinsam mit der Leiterin der Kammer4You Elke Bauer erarbeitet sie gerade in der Kammerklicke ein Stück, das am 23. Juni im Theatersaal des Bellevue di Monaco uraufgeführt wird. Jeweils zum Spielzeitbeginn im Herbst können sich Jugendliche ab 15 Jahren zu den Workshops anmelden und sehen, ob sie sich in der Gruppe wohlfühlen. Für das Stück »#LOVE« haben die beiden seit Oktober in Workshops und spielerischen Übungen mit 23 Jugendlichen die virulenten Themen herausgefiltert, die sie bewegen. Dieses Jahr ist es das Thema Liebe und wird anhand von Shakespeares »Romeo und Julia« verhandelt. »Wir haben lange überlegt, ob ein so oft inszeniertes Stück nicht abgedroschen wirken würde«, so Elke Bauer, doch sie wagten den Schritt dennoch. Der Dramentext diente dabei als Gesprächsgrundlage.

Die Kammerklicke erfindet Shakespeares »Romeo und Julia« neu | © Christine Umpfenbach

Schnell wurde deutlich, dass Liebe und Sexualität heute weit vielfältiger sind, als es bei Shakespeares »star-crossed lovers« noch verhandelt wird. Bin ich trans, bi oder pan? Das muss sich erst herausstellen und wird in »#LOVE« ebenso diskutiert wie die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen. Dabei gelingt der Kammerklicke ganz selbstverständlich ein integrativer Schritt, denn hier arbeiten Jugendliche mit und ohne Flucht- und Migrationshintergrund zusammen. Die Sprachbarriere verlangsamt die Proben bisweilen ein wenig, doch lernenso auch alle voneinander und jeder findet seinen oder ihren Platz in der Theatergruppe und kann in freien Übungen abwägen, in welche Rolle er oder sie letztendlich schlüpfen möchte.

Hier geht es auch viel darum, die eigenen Fähigkeiten und Grenzen auszuloten. Das ist Susanne Schemschies, der Leiterin der Gärtnerplatz Jugend, besonders wichtig. »Ich bin nur die Hebamme für die Kreativität der Jugendlichen. Das machen sie alles selbst«, sagt die Dramaturgin und Regisseurin. Auch sie erarbeitet jedes Jahr ein neues Thema mit ihrer Gruppe. Die 16 Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren beschäftigen sich in dieser Spielzeit mit der Malerin Frida Kahlo und haben ihr Leben als Fernsehshow gefasst. Im Musiktheater muss jeder auch tanzen und singen: »Ich verlange nicht, dass alle ein Solo singen, aber zumindest in den Chor müssen sie stimmlich passen.« Susanne Schemschies schreibt daher am Anfang jeder Spielzeit ein neues Projekt online und in den Partnerschulen aus, die sie mit theaterdidaktischen Projekten besucht, und findet in Workshops und Kennenlerntreffen ihre Truppe für das Jahr. Sie freue sich besonders darüber, wenn schüchterne Kinder sich in den Proben zu selbstbewussten Rampensäuen im positiven Sinne entwickeln. Einige ihrer Schützlinge studieren anschließend Schauspiel oder lernen in den Proben Theaterberufe hinter der Bühne kennen, die sie später selbst ausprobieren und verfolgen wollen.

Anja Sczilinski vom Residenztheater sieht genau darin ihre Aufgabe: Sie will mit ihren Inszenierungen der intergroup Nachwuchs fördern und sich für den Schauspielberuf stark machen. Sie hatte erst am 27. April mit ihrer Inszenierung von Anja Hillings »Sinn« Premiere im Marstall. Gemeinsam mit Raphaela van Bommel und Anna Horn führte sie in dem Stück Regie und es gelang ihnen, ein knapp 40-köpfiges Jugendensemble anzuleiten und zu choreografieren. Wie auch Christine Umpfenbach ist es Anja Sczilinski wichtig, dass ihre Inszenierungen nicht nur als theaterpädagogische Projekte wahrgenommen werden, sondern als das, was sie sind: Kunst. Der Anspruch ist immer, einen eigenständigen Theaterabend zu gestalten, was bei »Sinn« voll aufgeht. Ganz selbstverständlich gehen chorische und solistische Parts ineinander über, werden Beziehungen, Eifersucht und Liebeskummer in abstrakten Choreografien ausgehandelt. Auch im Residenztheater können sich Jugendliche zum Anfang der Spielzeit für das neue Projekt bewerben und werden in Workshops herangeführt. Das war für »Sinn« besonders anspruchsvoll, allein wegen der schieren Zahl der Jugendlichen, die mitmachen wollten. Die alle aufzunehmen, war Anja Sczilinski ein Anliegen, denn oft mussten motivierte und talentierte Jugendliche weggeschickt werden, weil die Gruppe zu groß wurde. In ihrer letzten Spielzeit vor dem Intendantenwechsel hat sie sich gemeinsam mit ihren Regiekolleginnen dieser Herausforderung gestellt und mit den Jugendlichen eine schlau strukturierte Inszenierung entworfen.

Theater ist ein Ort der Begegnung. Lebendig, nachdenklich, diskursiv. Das wird besonders in der Jugendarbeit deutlich, denn hier verhandeln die Theater nicht nur allgemeingesellschaftliche und politische Themen, sondern auch genau die Themen, die die Jugend bewegen. Das sind oft zeitlose Coming-of-age-Geschichten, aber immer mit Verknüpfungspunkten zu virulenten Themen, an die jedes Alter anknüpfen kann – seien es Geschlechteridentitäten, die Rolle der Frau in der Gesellschaft oder Gewalt gegen Frauen. Es lohnt sich, die wenigen Aufführungstermine im Blick zu behalten, denn nicht nur die Jugendlichen können sich in den Inszenierungen selbst erproben, sie fordern ihr Publikum mit aktuellen Fragestellungen heraus. ||

SINN
Residenztheater – Marstall| Marstallpl. 5 | 6. Juni| 10.30 und 20 Uhr | Tickets: 089 21851940

#LOVE
Bellevue di Monaco| Müllerstr. 2–6 | 23.–25. Juni, 12.–14. Juli| 19 Uhr | Tickets 089 23396600

FRIDA KAHLO
Gärtnerplatztheater| 4., 5. Juli| 19.30 Uhr
Tickets 089 21851960

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