Walter Moers reflektiert das Bücherwesen. Dabei helfen ihm ein Dichter, ein Drache und ein paar Buchlinge

Walter Moers: »Der Bücherdrache«

Sumpfgedanken

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Walter Moers im Selbstporträt © Walter Moers

Als der Bücherdrache Nathaviel vom Buchling Hildegunst Zwei gefragt wird, warum er, der doch so viel über Literatur, die Welt und das Leben in Zamonien an sich wisse, nicht selbst ein Buch schreibe, platzt es aus ihm heraus: »Na ja, ich schreibe aus denselben Gründen nicht, aus denen die meisten Leute nicht schreiben. Weil sie keine Lust haben, jahrelang mit ein paar fixen Ideen im Kopf herumzulaufen, die vielleicht irgendwann mal einen Roman ergeben könnten. Wer will das schon? Nur Schriftsteller. Nur Dichter. Außer denen unterhalten sich nur Kinder und Geisteskranke in Gedanken mit Figuren, die sie sich selbst ausgedacht haben. Genau das ist es, was Dichter eigentlich tun: Sie drehen durch, ganz langsam und systematisch. Satz für Satz, Seite für Seite, Kapitel für Kapitel, Buch für Buch, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Bis sie endlich aus Papier und Buchstaben ihre eigene Irrenanstalt gebaut haben, in der sie alleine hausen dürfen.« Haufenweise Bonmots, mit denen Walter Moers, der sich über mehrere Erzählebenen hinter Figuren wie dem Bücherdrachen verbirgt, in etwa seine Poetik umreißt.

Natürlich geht es um eine Form von Wahn, genannt Fantastik, die es dem inzwischen 62-jährigen Zeichner und Autor aus Mönchengladbach ermöglicht, sich in einer wilden Welt der Bilder zu bewegen, die mit der Tendenz zur intellektuellen Anarchie Gewissheiten kommentiert und umdeutet. Dafür hat er sich seit zwei Jahrzehnten über sechs Romane, ein Märchen und ein Weihnachtsbuch hinweg die Spiegelwelt Zamonien geschaffen, in der Drachen Literaten, Bücher lebendig und Antiquariate der Einstieg zur Unterwelt sein können. Nachdem die ersten Folgen mit dem Simplizissimus Blaubär und dem pfiffigen Wolpertinger Rumo noch vor Figuren und Ideen nur so überquollen, verdichtet sich das Personal inzwischen auf den Dichterfürsten und Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz, dem allerhand im zamonischen und geträumten Leben passiert. »Der Bücherdrache« ist dabei mehr Novelle als Roman, von überschaubarem Umfang, auf ein Kerngeschehen konzentriert, das dem Echsen-Autor als Rahmenhandlung von einem Binnenerzähler, dem Buchling Hildegunst Zwei, kolportiert wird. Das ist klassisches Handwerk, von Moers durch Illustrationen und Comic-Episoden noch weiter in die Ebene der Illusion entführt.

Damit weist auch diese Episode einen Hauch über viele Fantasy-Titel hinaus. Moers spielt nicht nur mit dem Figureninventar und dem Genre, sondern mit den Ansprüchen überhaupt, die an das Erzählen herangetragen werden. Ein durch das Intuitions-Orm, den Musenkuss Zamoniens, anhand von Büchern als Hautschuppen kontaminierter Drachen sinniert in der Unterwelt der Buchhandelsmetropole Buchhain gegenüber seinem eher tumben Besucher im Büchersumpf über die Prozesse der Aneignung, Verbreitung und Ausbeutung von Literatur. Er orakelt, fabuliert und wird am Ende von seinem Besucher und dessen zu Hilfe geeilten Freunden wie der Zyklop des Odysseus hilflos im Trüben verlassen – eine absurde Geschichte, die man als Hirngespinst, aber auch als clevere Sammlung von Verweisen auf Mythen und Gestaltungsformen lesen kann. Und das macht den »Bücherdrachen«, auch wenn er nicht mehr ganz so kreativ funkelt wie die meisten seiner Buchvorgänger, zu einem Vergnügen für Bilderschürfer des Literarischen. ||

WALTER MOERS: DER BÜCHERDRACHE
Penguin Verlag, 2019 | 192 Seiten
20 Euro

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