Sidi Larbi Cherkaoui holt an der Staatsoper Glucks »Alceste« aus dem Repertoireschrank und führt das barocke Stück in die Gegenwart.

Die »Alceste« an der Bayerischen Staatsoper
mit der Eastman Company | © Wilfried Hösl

Dienen – gar sich opfern? Ganz schön uncool in unseren Zeiten der Egomanen und ihrer Egotrips! Um solche anscheinend in der Menschheitsentwicklung immer wieder zu behauptende Werte ranken sich Mythen. Deren zeitlose Stärke ist ein Kern, den jede Generation für sich neu erzählen muss, wie Mythenforscher Mircea Eliade festgestellt hat. »Dienende Demut« und »Opferbereitschaft« finden sich in der mythischen Königin Alceste. Sie hat ihren geliebten Mann Admèto bis an die Schwelle des Todes gepflegt – und ist gegenüber den Göttern schließlich bereit, für ihn zu sterben, um ihn weiterleben zu lassen; schmerzzerquält bereit, neben dem Geliebten auch die gemeinsamen Kinder zurückzulassen. Als sie den Todesfluss überschritten hat, will Admèto ihr folgen – doch die Größe des Opfers ruft besondere Rettung herbei: Herkules kämpft die Kräfte der Unterwelt nieder. Das liebende Königspaar Alceste-Admèto beginnt eine neu geprägte Herrschaftsperiode.

1767 hätte das ein höfisches Barockspektakel mit Kastraten, Primadonnen und Maschinenzauber werden können, doch der Reformer Christoph Willibald Gluck formulierte die Absicht, »alle jene Missbräuche, welche die falsch angebrachte Eitelkeit der Sänger und die allzu große Gefälligkeit der Komponisten in die italische Oper eingeführt hatten, sorgfältig zu vermeiden, Missbräuche, die eines der schönsten und prächtigsten Schauspiele zum langweiligsten und lächerlichsten herabgewürdigt haben. Ich suchte daher die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, das ist: die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne die Handlung zu unterbrechen oder durch unnütze Verzierungen zu entstellen.«

Das sind Reformprinzipien, die geradezu zeitgenössisch klingen. Sie haben in der französischen Fassung von 1776 – die jetzt auch im Nationaltheater gewählt wurde – damalssogar das verwöhnte Pariser Publikum beeindruckt. Nicht virtuose Kehlkopfartistik dominierte, sondern dramatisch verdichtete Rezitative, deren tiefe Emotionen sich dann in eher kleinen Arien entluden. Um sowohl der damaligen Tanzbegeisterung zu genügen, mehr aber noch den mythisch überhöhten Gleichnischarakter zu betonen, hat Gluck quasireligiöse Ritualtänze, Pantomimen-, Kampf- und Feiermusik in die Handlung integriert. Eine spezielle Herausforderung, weshalb der flämisch-marokkanische Choreograf und Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui seine Tanztruppe Eastman mitbringt. Das kann auch ein Signal dafür sein, dass die vermeintlich mythisch entrückten Werte als sehr heutig vorgeführt werden. Das zusätzlich ganz aktuell wirkende Ringen einer eminent starken Frau wie Alceste, reizt jedenfalls die ohne Allüren in die Staretage aufgestiegene Sopranistin Dorothea Röschmann. Eine Aufführung für hier und heute, in der ein vermeintlich alter Mythos für uns neu erzählt wird. ||

ALCESTE
Nationaltheater| 1., 6., 13. Juni, 18. Juli
19 Uhr | 10. Juni| 18 Uhr
Tickets: 089 21851903

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