Lukian Guttenbrunner lässt in »Die lächerliche Finsternis« vier Schauspieler mit Karacho durch Wolfram Lodz’ Hörtext brettern.
Der »schwarze Neger« Ultimo Michael Pussi wäre ja gerne etwas anderes geworden als Pirat. Mit dem Boot namens Hoffnung und seinem Freund Tofdau hat er sich als Fischer versucht. Doch das Meer war leer – da warendie Frachter aus Indien, Holland, Japan und Deutschland schneller – und an seinem verwaisten Grund lauerte die Wut. Wolfram Lodz’ viel gerühmter und gespielter Hörspieltext »Die lächerliche Finsternis« stellt den Monolog des als Enterer so tollpatschigen wie als Selbstverteidiger beredten Somaliers einer Spritztour voran, die den Spuren von Joseph Conrads »Heart of Darkness« und Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now« folgt, dabei aber den dunklen Kontinent von der bloßen Kulisse emanzipiert. Es geht hier um dieSchicksale im toten Winkel des westlichen Blicks, unter denen jedes einzelne zehn Mal als Fluchtursache durchgehen würde. Es geht um die (Un-)Verhältnismäßigkeit des Urteils.
Und es geht auch wieder nicht darum, denn der Autor karikiert und macht sich lustig– über die Karikierten, das Sichlustigmachen, uns alle und sich selbst als weißen Mann. Lukian Guttenbrunner, der das Stück zum Abschluss seiner Regieassistenz am Münchner Volkstheater inszeniert hat, reagiert darauf, indem er den Jux nackt macht und konsequent alles Atmosphärische vermeidet. Die Stille, die gleißende Hitze, das Patrouillenboot, mit dem Lodz zwei Bundeswehrsoldaten den Fluss Hindukusch (sic!) hinunterfahren lässt, bleiben bloße Behauptung. Jenny Schleif hat die kleine Bühne des Volkstheaters mit Papierstellwänden und Kisten verengt, auf die gemalt oder aus denen geräuschvoll herausgeploppt wird. Ein Papagei, ein Kommandeur über Coltan-»Erntearbeiter«, der sich über deren fehlende Körperteile beömmelt, ein kriegsgeschädigter Verkäufer: Diese Ausbeuter und Elendsgestalten aus dem »Schlund und Anus der Globalisierung« werden von Agnes Decker als flotte Karikaturen gespielt.
Der wendige Pascal Fligg setzt sich als Pussi glasklar über jede Sentimentalität des Textes hinweg und gibt auch den sabbernden Reverend, der muslimische Schönheiten zur Nacktkultur bekehrt, und den Oberstleutnant, der nach einer fiebrigen Kosten-Nutzen-Rechnung lieber zwei Kameraden als 24 Eingeborene tötet. Diesen »Wahnsinnigen« sollen Oberfeldwebel Pellner und Unteroffizier Dorsch aufspüren, also Pola Jane O’Mara als süffisant lächelnde Kaltfront gegen den tumb freundlichen Jakob Immervoll, der diesen ehrlichen Loser spielt, als schaue er die ganze Zeit ins Licht. Immervolls verweinter Blick trübt sich noch weiter ein, als er eine rohe Zwiebel isst und damit für den ersten wehen Moment an einem Abend sorgt, der durch das Stück prescht, als träten zu der Reise ins (lächerliche) Herz der Finsternis noch jede Menge sprintstarker Konkurrenten an. Sowerden zumal auf den letzten Metern dieses Rennens geräuschvoll Papierwände durchstoßen, aber keinerlei Hallräume aufgemacht, in denen man als Zuschauer und -hörer dem Neben- und Hintersinn der Worte lauschen könnte. Eineinhalb Stunden dauert der Abend: beste Spielfilmzeit. Und er ist fast ebenso schnell wieder abgehakt. ||
DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS
Volkstheater | 16., 24. April| 19 Uhr | Tickets: 089 5234655
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