Sigi Zimmerschied geht in seinem neuen Bühnensolo »Heil. Vom Koma zum Amok« an die Wurzeln der Gewalt.
Man sollte Sigi Zimmerschied längst nicht mehr einen Kabarettisten nennen. Seine Soloprogramme waren schon früh Monodramen: Er verwandelte sich seinen meist höchst unsympathischen Protagonisten an, schlich sich in deren Köpfe und abgründige Gefühlswelten. Weil der Passauer Zimmerschied letztes Jahr 65 wurde, feiert auch im neuen Solo »Heil. Vom Koma zum Amok« seine Bühnenfigur 65. Geburtstag. Der fiese Held heißt ebenfalls Sigi, aber mit Nachnamen Heil – man darf assoziieren. Und vom Koma zum Amok ist kein langer Weg, wenn man Koma rückwärts liest.
»Totmachen in Deutschland – nur mit Handschuhen!«, schreit Sigi Heil seinem unsichtbaren serbischen Helfer zu, während er selbst, mit Handschuhen, im Publikum nach Schädlingen sucht. Der Mann ist von Beruf Kammerjäger, also Schädlingsbekämpfer, und geübt im Ausrotten ganzer Populationen. Prügel bekam er als Kind vom Vater und an der Schule, da hat man sich halt geprügelt – »aber Gewalt hat’s damals nicht gegeben«. Ihn nannte man schnell »Knochenbrecher«, weil er alle Konflikte mit Zuschlagen löste. Gewalt hat für ihn andere Dimensionen: Jesus hält er für den größten ideologisch motivierten Serienkiller der Geschichte mit mindestens zwei Millionen Todesopfern des katholischen Glaubens. Doch das von Söder verordnete Kruzifix hängt er brav auf. Daneben baumelt wenig später einträchtig eine tote Ratte.
Am 65. Geburtstag säuft er sich mitSchnaps seine Gratulanten herbei. Deren Laudationes sind entlarvend: Der Pfarrer, den er zum Krüppel gefahren hat, erkannte dadurch demütig: »Ja, es gibt das Böse!« Der Leutnant, dem er das Auge verätzt hat, bescheinigt ihm Friedenssicherung, weil er den Frieden Tag für Tag zerstört habe. Und ein blindes rechtes Auge sei in der Bundeswehr ein Geschenk. Die Ästhetik der Gewalt erschloss dem Sigi der Dichter Ernstl: Keiner fiel so schön in den Dreck wie der. Doch dann öffnet Sigi seinen Rentenbescheid: 257 Euro. Und steigert sich in einen furiosen Wutrausch gegen die Gesellschaft, für die er doch immer da war: »Ich hab immer Feuer gelegt oder Senegalesen präventiv verletzt.« Und jetzt das? Er hat vorgesorgt mit Bewerbungsbriefen: Vom Massenmörder Niels Högel will er Tipps für den Pflegeberuf, dem IS empfiehlt er sich als Ungläubigen-Vernichter und Frauen-Steiniger. »O Scharia hilf«, mit freundlichen Grüßen.
Am Ende muss es ein medienwirksames Massaker sein. Ganz großes Hollywoodkino, das Publikum muss mitspielen. Perfide macht er es zu Mittätern seines Amoklaufs. Wie Zimmerschied mit seiner grundbösen, von Hass getriebenen Figur die überall präsente Gewalt in der Gesellschaft aufspürt, das ist trotz pointierter Komik kein Kabarett mehr, sondern in seiner vehementen Wucht ein verstörendes Grusel-Drama zum nachhaltigen Fürchten-Lernen. Grausam und großartig. ||
HEIL. VOM KOMA ZUM AMOK
Theater im Fraunhofer | 3.–6., 23.–27. April | 20.30 Uhr | Tickets 089 267850 | info@.fraunhofertheater.de
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