»DepARTures« zeigt Tanz und Performance aus Katalonien.
Warum planen, wirtschaften und lernen wir stets für die Zukunft, ohne uns genauer für unsere Situation im Hier und Jetzt zu interessieren? Die Erkundung des je individuellen Standpunkts sei von hoher persönlicher,gesellschaftlicher und politischer Relevanz, erklärte Cristina Caprioli kürzlich bei ihrem Gastspiel im Schwere Reiter. Diese Frage teilt die 65-jährige Grande Dame des schwedischen Tanzes mit dem 34-jährigen Quim Bigas, derzwischen Stockholm, Kopenhagen und seiner Geburtsstadt Barcelona pendelt. Der Choreograf erforscht in seinem fortlaufenden Projekt »APPRAISERS«, wie unsere unmittelbare Gegenwart sichtbar gemacht werden kann, und folgt dabei dem Konzept des Kommunikationstheoretikers Paul Watzlawick, dass wir alle unsere eigene Realität konstruieren.
Bigas’ Konzentration gilt »der Information, die bereits da ist«, wahrgenommen durch den Blick und die Körper der PerformerInnen sowie durch das Publikum, das den gemeinsamen Raum teilt. Ende März wird er mit Münchner KünstlerInnen drei neue Varianten von »APPRAISERS« erarbeiten und bei »DepARTures« präsentieren, einer von Joint Adventures im Rahmen von Access to Dance veranstalteten Reihe zu Positionen neuer Choreografie. Standen letztes Jahr niederländische Tanzschaffende im Fokus, widmet sich die von Walter Heun kuratierte Veranstaltung diesmal vier ChoregrafInnen aus Katalonien, ergänzt durch ein Programm mit Tanzfilmen der Regisseurin Núria Font Solà, das Àngels Margarit, Direktorin des Tanzhauses in Barcelona, zusammengestellt hat.
Drei Abende widmen sich auf unterschiedliche Weisen der Frage, was Tanz ausmacht und wie er seine intensive Wirkung entfalten kann. Albert Quesada untersucht in »One Two Three One Two« (6.4. im HochX) den Flamenco und seine Rhythmik. In »No Dance, No Paradise« (3.4. im HochX) collagiert Pere Faura persönliche Favoriten, die zugleich Höhepunkte im kollektiven Tanzgedächtnis sind: den »Sterbenden Schwan« und John Travolta in »Saturday Night Fever«, den zeitgenössischen Tanz von Rosas und Gene Kellys fabulösen Stepdance in »Singing in the Rain«. Tanzreflexion mit Pop-Appeal und eigener Lebensgeschichte. Seit 2004 präsentiert Maria Muñoz ihr Solo »Bach« (5.4. in der Muffathalle), mit live gespielten Präludien und in der StillegetanztenErinnerungenan Fugen aus dem »Wohltemperierten Klavier«. Ein Klassiker des katalanischen Tanzes, der persönliche Hingabe und unermüdliches Erforschen des Tanzens selbst verbindet. Zurück zum choreografischen Forscher Quim Bigas. Die Komplexität der Anforderungen an die Selbstvergewisserung über den Kontext, in dem wir leben, erklärt Bigas auf seiner Website zu dem Projekt, hat sich drastisch erhöht. Angesichts der Informationsflut, neuer Technologien und bei den alltäglichen Routinen in sozialen Medien, stellt sich um so mehr die Frage nach dem Filter unserer Aufmerksamkeit und welchen Wert wir etwas zumessen. Darauf bezieht sich Bigas’ Titel »APPRAISERS«: Gutachter, Schätzer, Sachverständige. »Einfach im Hier und Jetzt zu sein wird heute schwieriger als je.«
Hilft nun die Hinwendung an die konkrete Gegenwart, unser Verhalten im Alltag zu ändern? Oder gar im Umgang mit den Mechanismen des globalen Kapitalismus? Zunächsteinmal, antwortet Bigas, hinterfrage er die Produktionsformen des Tanzes, die zu Stücken als tourfähigen Produkten führten. Stattdessen möchte er die Komplexität eines Projekts sichtbar machen. Zugleich unterscheidet sich jede Version von den bisherigen; die im gegebenen Kontext in München entwickelten Formatierungen werden anderswo nicht wiederholt, es geht um Präsenz im Kontext. Eine einfache, aber zentrale Frage des Projekts, erläutert Bigas, ist, wie wir Echtzeit betrachten und mit ihr umgehen. Vielleicht haben wir, wenn wir etwas sehen, schon etwas anderes im Blick, nehmen Projektionen vor. Der Blick, speziell die Perspektiven einer Situation im Raum, setzt bereits Bewegung in Gang. »Das Wahrnehmen ist selbst eine Bewegung, die uns in einem weitgespannten Netz des Verständnisses, der sinnlichen Erfahrung mit Dingen und Verhältnissen verbindet.«
Bigas’ choreografische Formate »arbeiten mehr als Auslöser denn als Manifestationen ihrer selbst«. Das Publikum ist darin mit einbezogen. »Was macht das mit dir, wohin führt dich das,worinliegtder Wert, dassind großartige Fragen, die man sich selbst in vielen Situationen stellen kann.« Ein sinnlicher,
auch mit der Resonanz auf Absenzen arbeitender »Zugang zu Standort und Raum, ohnedie Zumutung ihn besitzen zu müssen«. ||
DEPARTURES – UNIQUE PERFORMANCE
AND DANCE FROM CATALUNYA
Verschiedene Spielorte| 30. März–6. April
Info | Tickets: 089 54 818181
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