Der Singer-Songwriter Dirk von Lowtzow präsentiert im Münchner Volkstheater seine persönliche Enzyklopädie und spielt Tocotronic-Songs.
Dirk von Lowtzow: »Aus dem Dachsbau«
In Flausch und Braus auf den Dachs gekommen
Früher, zu Schulzeiten, hat sich Dirk von Lowtzow in langweiligen Unterrichtsstunden die Zeit mit Comiczeichnen vertrieben. Zu den aus gedachten Figuren, die er auf jeden Fetzen Papier kritzelte, erfand er »Produkte, Hefte, Aufkleber, Merchandiseartikel«. Einer der damaligen Protagonisten, ein melancholischer Dachs namens Daniel, hat ihn längst eingeholt: »Seit meine Haare grau geworden sind, fühle ich mich wie ein Dachs.«
»Aus dem Dachsbau« heißt das literarische Debüt des Tocotronic-Sängers und Songwriters, das direkt in seinen (Denk-) Kosmos führt. Die 72 ein- bis fünfseitige nMiniaturen sind alphabetisch geordnet und folgen inhaltlich keiner klaren Chronologie. Da wechseln sich Kindheits- und Jugenderinnerungen mit Tourerlebnissen, Reiseberichten, Alltagsbetrachtungen sowie Tag- oder Nachtträumen ab, die gerne mal ins Skurril-Fantastische kippen. Neue Verse und Lyrics stehen neben erstmals veröffentlichten Zeichnungen und Skizzen, Fotos von Buch- oder Plattencovern, Monchhichis und anderem Getier.
Der enzyklopädische Aufbau erlaubt es, sich auf verschiedenen Fährten in diesen »Dachsbau« zu graben. Wer bei A wie Abba, Alexander, Aliens, Apokalypse und Aufruhr losliest, trifft auf einen Jungen, der früh von Musik, aber auch von Aliens getrieben ist und sich in andere Welten zurück zieht. Als ihm der Kinderpsychologe an der Freiburger Uniklinik, zu dem ihn die besorgten Eltern schleppen, Rohrschach-Bilder vorlegt, ahnt er schnell, »worauf der Doktor hinauswollte, erkannte jedoch in allen Klecksen bloß Furcht einflößende Alienschädel mit gebleckten Zähnen und emporgereckten Klauen. »Ich war allein mit meinen Erkenntnissen, die noch die alltäglichste Umgebung in ein unheimliches Licht tauchten.« Passend dazu ist ein Foto von einem Ufo-Landeplatz abgebildet, der sich als Kinderspielplatz mit Klettergerüst tarnt.
Wenige Jahre später hat der Erzähler mit seinem besten Freund Alexander seine erste Band gegründet– »Die Kranken« – und führt im heimischen Keller imaginierte Interviews mit sich selbst. Von hier aus könnte man direkt zu »Selbstgespräche« knapp 150 Seiten weiter springen und erfahren, welche Bedeutung diese bis heute in Lowtzows Leben und vor allem für sein kreatives Schaffen haben. Wer sich gerne von Zufall und Neugier leiten lässt, startet vielleicht mit dem obskuren »Operettenbären«, einer Lieblingstraumfigur des Autors in Gestalt eines rundlichen uniformierten Bären mit Hut und schönem Bass, der nachts vom Mond herabkraxelt, sich in Lowtzows Zimmer schleicht, in dessen Bett krabbelt und ihn fest in seinen Tatzen hält. »Das geht mir fast etwas zu weit, doch ich lasse es geschehen.«
Eine andere mögliche Leseschneise sind Stichwörter wie »Festival« oder »Rekapitulation«, die Anekdoten vom Bandleben vermuten lassen. Das geht manchmal, jedoch nicht immer auf, beispielhaft erwähnt seien hier die Schlagwörter »Hüsker Dü« und »Unendlichkeit«.
In »Expedition« führt Lowtzow ein Zwiegespräch mit einem großen Hund, der seit einiger Zeit bei ihm wohnt. Das erinnert an Marc-Uwe Klings Konversation mit seinem kommunistischen Känguru und lässtaufmerken: Erstens fehlt das Stichwort Hund in Lowtzows Alphabet, obwohl er in einem Video zu Protokoll gibt, dass es »das schönste Wort der deutsche Sprache ist«. Ober zweitens selber gerne einen hätte, wisse er nicht, denn »noch viel mehr als der wirkliche Hund interessiert mich das abstrakte Prinzip Hund, und auch die Art, wie sich das zeichnerisch darstellen lässt«. Ebendas präsentiert er im Folgenden in fünf Beispielen, zu sehen auf YouTube unter dem Titel: »Dirk von Lowtzow malt das Wort Hund«.
Eine Live-Zeichnen-Performance gibt’s im Münchner Volkstheater nämlich leider nicht. Dafür hat der Künstler seine Akustikgitarre dabei und wird ausgewählte Lesepassagen mit Tocotronic-Songs verknüpfen. Und wer weiß: Vielleicht tauchen neben dem Dachs noch ein paar wollige Wesen auf, schließlich entdeckte Dirk von Lowtzow 1996 in Budapest »den Ort, an dem die Stofftiere wachsen«, nachzulesen unter: »Walross«. ||
DIRK VON LOWTZOW: AUS DEM DACHSBAU
Kiepenheuer & Witsch, 2019 | 192 Seiten | 16 Euro
DIRK VON LOWTZOW: LESUNG UND MINIKONZERT MIT AKUSTIKGITARRE
Münchner Volkstheater| 24. März| 20 Uhr
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