… freut sich der SZ-Feuilletonist Alex Rühle. Auf der Bücherschau junior lässt er das Schlossgespenst »Zippel« munter spuken.
Wenn man selbst Kinder hat, fängt man an, Kinderbücher zu schreiben?
Eigentlich nicht. Ich habe nur jeden Abend am Bett Geschichten erzählt und zwei, drei davon auch einmal aufgeschrieben, aber das ist nie wirklich weitergegangen. Jetzt sind meine Kinder groß, ich bin selbst auch größer geworden und habe manchmal mit Schlafstörungen zu tun. Das betrifft schon eher das Schreiben. Wir wohnen in einem alten Haus, mit alten Türschlössern. Eines Abends bin ich nach Hause gekommen, das Schloss hat geklemmt, und ich dachte, das ist bestimmt ein Schlossgespenst. Tief in der Nacht bin ich dann mit diesem Wort aufgewacht: Schlossgespenst. Ich habe mich in die dunkle Küche gesetzt und die Anfangsszene geschrieben, wo Paul nach Hause kommt und im Schloss stochert. Das hat so Spaß gemacht, aus dem Stand, dass ich dann weitergemacht habe.
Der Impuls kam nicht von außen, von anderen?
Im Gegenteil. Erst nach einem halben Jahr habe ich bei einem Kollegen nachgefragt, von dem ich wusste, dass er eine Agentin hat. Ich habe mit ihr Kontakt aufgenommen, die Agentin hat dann dtv gefragt und die haben es genommen. Und ich habe mich sofort mit der Lektorin verstanden und gewusst, dass ich mit ihr arbeiten kann. Ich bin ja ein zweifelnder Typ, der ständig meint, etwas wäre nicht gut genug. Die Lektorin hat mich fantastisch unterstützt und zugleich genau die Szenen angesprochen, die noch nicht funktioniert haben. Es ist mein erstes Kinderbuch, ich war da ja komplett unerfahren.
Worin besteht der besondere Reiz, ein Kinderbuch zu schreiben?
Es ist dieses andere Schreiben, nicht das journalistische, wo man zu Recht auf jede Tatsache aufpassen muss, sondern das freie Fabulieren, das nachts kommt. Es ist viel wilder, hineinschreiben ins Unbekannte. Alles darf sein, es muss nur in sich stimmig bleiben,eine wohltuende Ergänzung zum Journalistischen. Auch dieses Anarchische, Chaotische beim »Zippel«, Hauptsache, es geht in jedem zweiten Kapitel etwas kaputt. Und das ThemaFreundschaft, lebensnotwendig, gerade für Kinder.
Beim »Zippel« lassen sich ja Vorbilder finden …
Mit dem Sams und dem Pumuckl gibt es schon Wesensverwandtschaften. Es war aber nicht so, dass ich bewusst Bezug genommen habe. Mir fi el nur beim Schreiben selbst auf: Oh, der Zippel ist echt eine Art Cousin vom Pumuckl, auch weil er dichtet. Das ist ein Motiv, was mich schon immer begleitet. Ich schreibe selbst gerne Gedichte, ohne zu glauben, dass das große Kunst ist, einfach aus Spaß, für den Alltag. Und beim Sams gibt es ja auch diese Entropie, eigentlich etwas ganzund gar Gutes zu wollen, aber am Ende solch einer Szene wäre zum Beispiel das ganze Café nach dem Interview hier verwüstet.
Welche Rolle spielen die Illustrationen?
Ich freue mich natürlich wahnsinnig, dass Axel Scheffler mitgemacht hat. Als ich das Buch fertig hatte, habe ich ihm geschrieben, wie großartig ich seine Illustrationen fände und ob er sich vielleicht auch zum »Zippel« etwas vorstellen könne. Er schrieb eher missgestimmt zurück, ich solle mich doch an den
Verlag wenden. Es war mir peinlich, ich wollte ihm ja nicht zu nahe treten, habe mich entschuldigt. Dann meinte er, er würde jetzt mitseiner Tochter in den Urlaub fahren, ich solle das erste Kapitel schicken und wenn es ihr gefällt, dann macht er es. Sechs Wochen habe ich nichts gehört, dann schrieb er zurück: Es
gefällt ihr, also gut.
Wie entwickelt sich so eine Geschichte?
Irgendwann war klar, dass ich einen Konfliktfür das Gespenst Zippel brauche. Wenn es entdeckt ist, muss es ja trotzdem spannend bleiben. Also dachte ich mir, dass das alte Türschloss verschwinden muss, ausgewechselt gegen ein Sicherheitsschloss. Ganz am Anfang habe ich das Manuskript auch mal einem Freund gegeben, der meinte, es sei ganz witzig, nur die Eltern wären sterbenslangweilig. Gleichzeitig brauchte ich noch einen Parallelkonfl ikt, damit das Gespenst auch dem Jungen etwas geben kann, und so kam die Freundschaftsgeschichte hinzu und die Idee mit Tim und Tom, den beiden Kindern, die Paul in der Schule mobben. Bei den Eltern gibt es die Mutter, die nicht kochen kann, und den Vater mit dem dritten Konflikt, der Arbeitslosigkeit, die man als Kind erst spät als Problem mitbekommt.
Ich dachte erst, der Vater tindert heimlich …
(lacht) Hm, wer weiß, was der alles allein zu Hause gemacht hat. Jedenfalls war es dann viel Herumprobieren. Ich hatte zum BeispielAngst, mit der Handlung in die Schule hinauszugehen. Alles, was in der Wohnung passierte, war so schön in sich geschlossen. Oder die Szene in dem echten Schloss gegen Ende, das war viel Arbeit, bis es in sich logisch war. Auch die Figur der Frau Wilhelm, der alten Nachbarin, die erst unheimlich wirkt, dannaber für die Rettung sehr wichtig wird .
Wie weit ging denn die Identifikation? Manche Autoren fangen an, sich mit ihren Figuren
zu unterhalten, als wären sie echte Personen …
So weit ging es nicht. Bei dem anderen Buch, dem »Traumspringer« allerdings, haben mich
die Figuren schon sehr begleitet, bis in meine Träume hinein. Das ist ein ganz anderes Kaliber, dunkler, schwerer, unheimlicher. »Zippel« ist so hell und freundlich, der »Traumspringer« mit Figuren wie Krato und Morpheus, dem Wolf und den Fledermäusen, geht in eine andere Richtung.
Traumwelten und Traumreisen sind ein beliebtes Motiv, bei Kai Meyer zum Beispiel oder Andreas Brandhorst oder auch im Film .
An »Inception« hatte ich auch gedacht. Es ist ja wirklich schwer, etwas Neues zu finden, alles ist schon vorhanden. Vor kurzem bin ich zum Beispiel sehr erschrocken, als ich auf Roald Dahls »Sophiechen und der Riese« gestoßen bin. Der sammelt Träume in Gläsern, was in anderer Form auch im »Traumspringer« vorkommt. Ich hab das erst jetzt zu Weihnachten bei Freunden in Mainz entdeckt, als mein Buch längst gedruckt war.
Was unterscheidet die Arbeit an einem Jugendbuch von der an einem Kinderbuch?
Bei mir sind es zwei sehr unterschiedliche Welten. Mit dem »Zippel« habe ich das Gefühl, eine Lücke erwischt zu haben. Die Nachfrage ist auch erfreulich groß, vielleicht weil es fürdiese Altersstufe wenig Heutiges gibt und auch wenig Internationales. Was das Jugendalter angeht, da ist die Konkurrenz auch aus dem amerikanischen und englischen Raum viel umfassender. Jedenfalls habe ich am »Traumspringer« enorm viel gearbeitet, wieder und wieder und wieder. Ich fand es beispielsweise sehr anspruchsvoll, den Übergang von Traum und Wirklichkeit glaubhaft zu machen, die Momente, in denen die Hauptfigur Leon in die Träume seiner Freunde schlüpft, durch diesen Tunnel in verschiedener Form. Das Schreiben war in dem Fall auch ein langer Prozess. Die Idee für ein Jugendbuch kam mir schon vor fünf Jahren während eines Sabbaticals. Ich habe vier Monate daran gearbeitet, dann verschwand es in der Schublade. Erst als der »Zippel« fertig war und die Frage im Raum stand, ob ich noch ein Buch schreiben wolle, meinte ich, am ehesten ein Jugendbuch. Das
war insofern schwierig, als es hieß, ich wäre doch jetzt Kinderbuchautor. Dann auch noch Jugendbuchautor? Aber ich wollte diese Baustelle unbedingt fertigstellen.
Für Kinder sind solche Unterscheidungen unwesentlich.
Kinder wollen vor allem keine Moral hören. Ich liebe es zum Beispiel, den »Zippel« vorzulesen. Es ist eine solche Gaudi, in einer Turnhalle, mit vier, fünf Klassen. Und ich lese dann eigentlich nur die Stellen vor, wo es kracht. Wenn sich die Kinder dann wegschmeißen vor Lachen, das ist das Höchste. Wie es mit dem »Traumspringer« wird, weiß ich noch nicht, da wird es eher darum gehen, in das Geschehen hineinzuziehen …
… Kerzen anmachen, Raum verdunkeln …
(lacht) … um neun Uhr morgens in der Schule … na, wir werden sehen … ||
13. MÜNCHNER BÜCHERSCHAU JUNIOR
Münchner Stadtmuseum| 16.–24.März
9–19 Uhr | Buchausstellung täglich, Eintritt frei
Veranstaltungen
Die Lesung mit Alex Rühle am 16. März, 15 Uhr, im Studio des Münchner Stadtmuseums ist bereits ausverkauft.
ALEX RÜHLE: ZIPPEL, DAS WIRKLICH WAHRE SCHLOSSGESPENST
dtv, 2018 | 144 Seiten | 12,95 Euro
ab 6 Jahren
ALEX RÜHLE: TRAUMSPRINGER
dtv, 2019 | 224 Seiten
12,99 Euro
ab 10 Jahren
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